Zu den Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes nach Art. 17 DS-GVO hat aktuell der Bundesgerichtshof Stellung genommen:
Dem zugrunde lag eine Berichterstattung über ein Strafverfahren. Der Betroffene verlangt von der Suchmaschinenbetreiberin, es zu unterlassen, in der von ihr betriebenen Internet-Suchmaschine einen Ergebnislink anzuzeigen. Der Betroffene wurde am 22.02.1988 vom Vorwurf des Raubmordes freigesprochen, weil seine Täterschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Am 5.03.1988 überfiel und ermordete der Betroffene gemeinsam mit einem weiteren Täter drei Menschen. Deshalb wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 23.11.2014 wurde der Betroffene aus der Haft entlassen. Die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe ist erlassen. Bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Betroffenen in der von der Suchmaschinenbetreiberin betriebenen Internet-Suchmaschine Google.de erscheint – nach der Behauptung des Betroffenen stets an vierter Stelle der Ergebnisliste, nach Darstellung der Suchmaschinenbetreiberin an ständig wechselnder Position, dabei mit zunehmendem Zeitablauf immer weiter hinten – ein Link zu einem Artikel, der 1988 in einem Nachrichtenmagazin erschien und im Online-Archiv des Magazins über dessen Webseite zugänglich ist. Der Artikel befasst sich mit dem unter voller Namensnennung bezeichneten Betroffenen und den gegen ihn geführten Strafverfahren. Neben diesem Link erscheinen bei Eingabe des Namens des Betroffenen in der Suchmaschine verschiedene Ergebnisse zu anderen Personen, etwa einem Rosenzüchter, einem Ruderer, einem Baseballspieler und einem Professor. Den Antrag des Betroffenen, den Link aus den Suchergebnissen zu löschen, lehnte die Suchmaschinenbetreiberin ab.
Der Betroffene hat beantragt, die Suchmaschinenbetreiberin zu verurteilen, es im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen, auf der Ergebnisliste der Suchmaschine nach Eingabe des Namens des Betroffenen den Ergebnislink zu verbreiten, der auf den Beitrag im Nachrichtenmagazin weiterleitet, hilfsweise auf der Ergebnisliste der Suchmaschine den Ergebnislink zu löschen, soweit er unter Eingabe personenbezogener Daten des Betroffenen generiert wurde. Das erstilnstanzlich hiermit befasste Landgericht Karlsruhe hat die Klage abgewiesen1. Die Berufung des Betroffenen hat das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückgewiesen2. Auf die vom Oberlandesgericht Karlsruhe zugelassene Revision des Betroffenen hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an das Oberlandesgericht Karlsruhe. Mit der Begründung des Oberlandesgerichts Karlsruhe könne der Hauptantrag des Betroffenen, die Suchmaschinenbetreiberin zu verurteilen, es im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen, auf der Ergebnisliste der Suchmaschine nach Eingabe seines Namens den Ergebnislink zu verbreiten, nicht abgewiesen werden, befand der Bundesgerichtshof. Der Betroffene hat auf der Grundlage des im Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts einen Anspruch gegen die Suchmaschinenbetreiberin auf Auslistung des streitgegenständlichen Ergebnislinks aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe kann sich der vom Betroffenen geltend gemachte Anspruch nicht aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB, sondern ausschließlich aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO ergeben.
Die Datenschutz-Grundverordnung ist zeitlich, sachlich und räumlich anwendbar3. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt insoweit aus Art. 79 Abs. 2 DS-GVO4. Das auf dauerhafte Auslistung gerichtete Rechtsschutzbegehren des Betroffenen ist grundsätzlich von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfasst5. Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des vorliegend unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts und die bei Prüfung eines Auslistungsbegehrens nach Art. 17 DS-GVO vorzunehmende umfassende Grundrechtsabwägung kann der Betroffene seinen Anspruch hingegen nicht auf Vorschriften des nationalen deutschen Rechts stützen6.
Der Betroffene hat auf der Grundlage des im Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts einen Anspruch gegen die Suchmaschinenbetreiberin auf Auslistung des streitgegenständlichen Ergebnislinks aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO, da die von der Suchmaschinenbetreiberin vorgenommene Datenverarbeitung nach den relevanten Umständen des Streitfalls nicht zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Buchst. f, Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO).
Der Betroffene muss sich nicht von vorneherein darauf verweisen lassen, vorrangig das Presseorgan, das für den von der Suchmaschinenbetreiberin verlinkten Artikel verantwortlich ist, in Anspruch zu nehmen. Die Haftung des Suchmaschinenbetreibers bzw. Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes ist nicht subsidiär, da ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Person nicht erreicht werden kann, wenn diese grundsätzlich vorher oder parallel bei den Inhalteanbietern die Löschung der sie betreffenden Informationen erwirken müsste. Die Tätigkeit eines Suchmaschinenbetreibers ist ein für sich stehender Akt der Datenverarbeitung, der folglich auch hinsichtlich der damit einhergehenden Grundrechtsbeschränkungen eigenständig zu beurteilen ist. Daher kann die Abwägung im Rahmen des Anspruches aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO gegen den Suchmaschinenbetreiber zu einem anderen Ergebnis führen als im Rahmen des Anspruchs gegen den Betreiber der verlinkten Webseite, da sowohl die berechtigten Interessen, die die Datenverarbeitung rechtfertigen, unterschiedlich sein können als auch die Folgen, die die Verarbeitungen für die betroffene Person, insbesondere für ihr Privatleben, haben7.
Der Betroffene hat die Suchmaschinenbetreiberin bereits vor Klageerhebung zur Auslistung aufgefordert8.
Einschlägige Grundlage des klägerischen Auslistungsbegehrens ist Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. Danach steht – soweit im Streitfall relevant – der betroffenen Person der Anspruch zu, wenn die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind (Art. 17 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO) oder die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten eingelegt hat und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vorliegen (Art. 17 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO) oder die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden (Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO).
Der Betroffene nimmt der Sache nach das Vorliegen der Voraussetzungen für alle drei genannten Varianten für sich in Anspruch. Die erste Variante betrifft den Zeitablauf zwischen dem erstmaligen Erscheinen des in der Ergebnisliste der Suchmaschinenbetreiberin nachgewiesenen Artikels im Jahr 1988 und dem Schluss der letzten Tatsachenverhandlung im Mai 2020. Die zweite Variante beruht auf dem schon im Auslistungsbegehren selbst liegenden Widerspruch des Betroffenen gegen die Datenverarbeitung durch die Suchmaschinenbetreiberin. Mit der dritten Variante nimmt der Betroffene die Sensibilität seiner im verlinkten Artikel enthaltenen, von der Suchmaschinenbetreiberin vorübergehend gespeicherten und über den Nachweis in ihren Ergebnislisten zugänglich gemachten Daten in den Blick.
Eine binnendifferenzierte Prüfung der genannten Anspruchsvarianten ist hier gleichwohl nicht geboten. Art. 17 Abs. 1 DS-GVO gilt insgesamt nicht, soweit die Datenverarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist (Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO). Dieser Umstand ist Ausdruck der Tatsache, dass das Recht auf Schutz personenbezogener Daten kein uneingeschränktes Recht ist, sondern, wie im vierten Erwägungsgrund der Datenschutz-Grundverordnung ausgeführt, im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden muss. Diese Grundrechtsabwägung ist auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen als betroffener Person einerseits, der Grundrechte der Suchmaschinenbetreiberin, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits umfassend vorzunehmen9.
Im Hinblick auf diese in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht gebotene umfassende Prüfung muss die Abwägung jeweils zu demselben Ergebnis führen unabhängig davon, ob der Abwägungsvorgang seinen Ausgangspunkt in der Frage nimmt, ob die Verarbeitung der Daten allgemein zur Wahrung der berechtigten Interessen der Suchmaschinenbetreiberin oder eines Dritten erforderlich war (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO), ob die Verarbeitung speziell der Daten des Betroffenen aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich war (Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DS-GVO) oder ob die Suchmaschinenbetreiberin zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, die die Interessen, Rechte und Freiheiten des Betroffenen als der betroffenen Person überwiegen (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO). Geboten ist daher eine einheitliche Gesamtabwägung der widerstreitenden Grundrechte, die alle nach den Umständen des Streitfalles aufgeworfenen Einzelaspekte berücksichtigt10.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind in dem Bereich der unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich. Der streitgegenständliche Auslistungsanspruch ist nach dem unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrecht zu beurteilen. Maßstab der konkretisierenden Anwendung von Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO durch den Bundesgerichtshof ist daher die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Wie die Grundrechte des Grundgesetzes gewährleisten auch die Grundrechte der Charta Schutz nicht nur im Staat-Bürger-Verhältnis, sondern auch in privatrechtlichen Streitigkeiten. Eine Lehre der „mittelbaren Drittwirkung“, wie sie das deutsche Recht kennt, wird der Auslegung des Unionsrechts dabei zwar nicht zugrunde gelegt. Im Ergebnis kommt den Unionsgrundrechten für das Verhältnis zwischen Privaten jedoch eine ähnliche Wirkung zu. Die Grundrechte der Charta können einzelfallbezogen in das Privatrecht hineinwirken11.
Auf Seiten des Betroffenen sind die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens aus Art. 7 GRCh und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh einzustellen.
7 GRCh begründet das Recht auf Achtung des Privatlebens, der Wohnung sowie der Kommunikation, Art. 8 GRCh das Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Eine Entsprechung haben diese Garantien in Art. 8 EMRK, der seinerseits das Recht auf Achtung des Privatlebens, der Wohnung und der Korrespondenz – und dabei insbesondere auch vor der Verarbeitung personenbezogener Daten – schützt (vgl. Art. 52 Abs. 3 GRCh). Die Gewährleistungen der Art. 7 und Art. 8 GRCh sind dabei eng aufeinander bezogen. Jedenfalls soweit es um die Verarbeitung personenbezogener Daten geht, bilden diese beiden Grundrechte eine einheitliche Schutzverbürgung. Das gilt insbesondere für den Schutz Betroffener vor Nachweisen einer Suchmaschine12. Art. 7, Art. 8 GRCh schützen vor der Verarbeitung personenbezogener Daten und verlangen die „Achtung des Privatlebens“. Unter personenbezogenen Daten werden dabei alle Informationen verstanden, die eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person betreffen. Demnach ist das Recht auf Achtung des Privatlebens nicht eng zu verstehen und beschränkt sich insbesondere nicht auf höchstpersönliche oder besonders sensible Sachverhalte13.
Auf Seiten der beklagten Suchmaschinenverantwortlichen ist ihr Recht auf unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRCh einzustellen. Demgegenüber kann sie sich für die Verbreitung von Suchnachweisen nicht auf Art. 11 GRCh berufen. Einzustellen sind jedoch die von einem solchen Rechtsstreit möglicherweise unmittelbar betroffenen Grundrechte Dritter und damit vorliegend die Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Informationsinteressen der Nutzer14.
Die unternehmerische Freiheit gewährleistet die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen durch das Angebot von Waren und Dienstleistungen. Der durch Art. 16 GRCh gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb. Hierzu gehört auch das Angebot von Suchdiensten. Die beklagte Suchmaschinenverantwortliche fällt auch in den persönlichen Schutzbereich des Art. 16 GRCh. Die Unionsgrundrechte schützen grundsätzlich nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen. Für die unternehmerische Freiheit folgt das bereits aus dem Wortlaut, der auf „Unternehmen“ abstellt, die typischerweise als juristische Personen organisiert sind. Dem Schutz des Art. 16 GRCh steht auch nicht entgegen, dass die Suchmaschinenbetreiberin eine juristische Person mit Sitz außerhalb der Europäischen Union ist. Die Grundrechte der Grundrechtecharta gelten grundsätzlich für Inländer und Ausländer gleichermaßen und machen insoweit auch für juristische Personen keinen Unterschied15.
Hingegen kann sich die beklagte Suchmaschinenverantwortliche für ihre Tätigkeit nicht auf die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 11 GRCh berufen. Zwar sind die von ihr angebotenen Suchdienste und die von ihr hierfür verwendeten Mittel zur Aufbereitung der Suchergebnisse nicht inhaltsneutral, sondern können auf die Meinungsbildung der Nutzer erheblichen Einfluss ausüben. Jedoch bezwecken diese Dienste nicht die Verbreitung bestimmter Meinungen16.
In die Abwägung zwischen Betroffenen und Suchmaschinenverantwortlichen sind allerdings auch die Grundrechte der Inhalteanbieter einzustellen, um deren Veröffentlichung es geht.
Soweit in einem Rechtsstreit zwischen einem Betroffenen und dem Suchmaschinenverantwortlichen über eine Auslistung notwendig zugleich über eine in der Auslistung liegende Einschränkung von Grundrechten Dritter mitentschieden wird, sind auch diese in die Prüfung einzubeziehen. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung gegenüber Dritten gehört dann zu den objektiven Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Einschränkungen der Unternehmensfreiheit, die unter Berufung auf das eigene Grundrecht des Art. 16 GRCh geltend gemacht werden können. Hierin liegt nicht eine Geltendmachung unmittelbar der Grundrechte Dritter. Einem Suchmaschinenverantwortlichen darf danach nichts aufgegeben werden, was die Grundrechte Dritter verletzt17.
In dem Rechtsstreit, ob einem Suchmaschinenverantwortlichen die Bereitstellung bestimmter Suchnachweise zu untersagen ist, wird die Frage einer möglichen Grundrechtsverletzung des Art. 11 GRCh gegenüber dem Inhalteanbieter als Äußerndem oftmals mit berührt. Dabei kommt es nicht auf die hier nicht zu entscheidende Frage an, ob oder wieweit ein Inhalteanbieter gegenüber einem Suchmaschinenbetreiber Anspruch auf Verbreitung seiner Inhalte haben kann. Denn es geht in dieser Konstellation nicht darum, ob der Suchmaschinenverantwortliche zu einem Nachweis verpflichtet werden kann, sondern ob ihm gegen seinen Willen verboten werden kann, die von einem Inhalteanbieter bereitgestellten Beiträge zu verbreiten. In einem solchen Verbot kann zugleich eine eigenständige Einschränkung der Freiheit des Inhalteanbieters als Äußerndem aus Art. 11 GRCh liegen. Denn diesem wird dadurch ein bereitstehender Dienstleister genommen und so in Teilen zugleich ein wichtiges Medium für die Verbreitung seiner Berichte18.
Soweit über das Verbot gegenüber dem Suchmaschinenverantwortlichen in Ansehung des von dem Inhalteanbieter verantworteten konkreten Inhalts der streitigen Seiten zu entscheiden ist, ist die Einwirkung auf diesen auch nicht etwa ein bloßer Reflex einer Anordnung gegenüber dem Suchmaschinenverantwortlichen. Vielmehr knüpft die Entscheidung unmittelbar an die Äußerung und an den Gebrauch der Meinungsfreiheit an. Es geht in der Entscheidung gezielt darum, die Verbreitung des Beitrags wegen seines Inhalts zu beschränken. In dieser Konstellation kann über den Antrag eines Betroffenen auf Unterlassung des Bereitstellens von Suchnachweisen gegenüber einem Suchmaschinenverantwortlichen nicht ohne Berücksichtigung der Frage entschieden werden, ob und wieweit der Inhalteanbieter gegenüber den Betroffenen nach Art. 11 GRCh zur Verbreitung der Information berechtigt ist19.
In die Abwägung sind ebenfalls die Zugangsinteressen der Internetnutzer einzustellen. Zu berücksichtigen ist das Interesse einer breiten Öffentlichkeit am Zugang zu Information als Ausdruck des in Art. 11 GRCh verbürgten Rechts auf freie Information. Rechnung zu tragen ist dabei auch der Rolle, die der Presse in einer demokratischen Gesellschaft hierbei zukommt. Insoweit stehen allerdings nicht individuelle Rechte der Nutzerinnen und Nutzer aus Art. 11 GRCh auf Informationszugang zu der konkret betroffenen Internetseite in Frage, sondern die Informationsfreiheit als im Wege der Abwägung zu berücksichtigendes Prinzip, dem bei der Einschränkung des Art. 16 GRCh Rechnung zu tragen ist20.
Grundlage der Abwägung ist die Würdigung des Vorgehens des Suchdienstes der Suchmaschinenbetreiberin als für sich stehender Akt der Datenverarbeitung, der folglich auch hinsichtlich der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen eigenständig zu beurteilen ist. Insbesondere geht die Frage seiner Rechtmäßigkeit nicht in der Frage der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung des Beitrags seitens der Inhalteanbieter auf. Da die betroffenen Rechte, Interessen und Belastungen bei einem Vorgehen des Betroffenen gegen den Suchmaschinenverantwortlichen andere sein können als bei einem Vorgehen gegenüber dem Inhalteanbieter, bedarf es einer eigenen Abwägung21.
Die für die Grundrechtsabwägung erforderliche Unterscheidung zwischen den verschiedenen Datenverarbeitern stellt indes nicht in Frage, dass es hierbei Wechselwirkungen geben kann und für ein Unterlassungsbegehren gegenüber einem Suchmaschinenverantwortlichen unter Umständen auch die Situation des Betroffenen gegenüber dem Inhalteanbieter mit in den Blick genommen werden muss. Soweit daher wie in der Regel im deutschen Recht (§§ 823, 1004 BGB analog) bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verbreitung eines Berichts seitens des dem Medienprivileg unterfallenden Inhalteanbieters dessen Wirkung für den Betroffenen im Internet in der Abwägung mitzuberücksichtigen ist, muss regelmäßig die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit solcher Verbreitung auch die Entscheidung gegenüber den Suchmaschinenverantwortlichen anleiten. Soweit ein Inhalteanbieter sowohl unter Berücksichtigung der Verbreitungsbedingungen im Internet (und damit zugleich der namensbezogenen Auffindbarkeit durch Suchmaschinen) als auch unter Berücksichtigung des Zeitfaktors im Verhältnis zu den Betroffenen zur Verbreitung eines Berichts berechtigt ist, kann für den Nachweis einer solchen Seite durch einen Suchmaschinenverantwortlichen diesbezüglich nichts anderes gelten22.
Unberührt bleibt hiervon, dass die Abwägung zwischen Betroffenen und Suchmaschinenverantwortlichen stets im Spannungsfeld der Zumutbarkeit möglicher Schutzmaßnahmen seitens des Suchmaschinenverantwortlichen und der Zumutbarkeit anderweitig zu erlangender Schutzmöglichkeiten seitens der jeweils Betroffenen steht und auch unter diesem Gesichtspunkt der Ausgang der Abwägung gegenüber verschiedenen Datenverarbeitern unterschiedlich ausfallen kann und gegebenenfalls muss. Dabei können auch Unterschiede zu beachten sein, die sich etwa aus der verschieden leichten Erreichbarkeit von Schutz ergeben oder die die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen betreffen23.
Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass das Internet ohne die Hilfestellung einer Suchmaschine aufgrund der nicht mehr überschaubaren Flut von Daten für den Einzelnen nicht sinnvoll nutzbar wäre. Letztlich ist damit die Nutzung des Internets insgesamt auf die Existenz und Verfügbarkeit von Suchmaschinen angewiesen, deren Geschäftsmodell daher von der Rechtsordnung gebilligt worden und gesellschaftlich erwünscht ist. Auf der Kehrseite hat die Tätigkeit von Suchmaschinen maßgeblichen Anteil an der weltweiten Verbreitung personenbezogener Daten, da sie diese jedem Internetnutzer zugänglich macht, der eine Suche anhand des Namens der betroffenen Person durchführt, und zwar auch denjenigen, die die Webseite, auf der diese Daten veröffentlicht sind, sonst nicht gefunden hätten. Dies kann dazu führen, dass die Nutzer der Suchmaschine mit der Ergebnisliste einen strukturierten Überblick über die zur betreffenden Person im Internet zu findenden Informationen erhalten, anhand dessen sie ein mehr oder weniger detailliertes Profil der Person erstellen können. Vor diesem Hintergrund ist das Gewicht allein der wirtschaftlichen Interessen des Suchmaschinenverantwortlichen grundsätzlich nicht hinreichend schwer, um den Schutzanspruch Betroffener zu beschränken. Demgegenüber haben das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie vor allem die hier einzubeziehenden Grundrechte Dritter größeres Gewicht24.
Vorliegend ist die Meinungsfreiheit des durch die Entscheidung belasteten Inhalteanbieters als unmittelbar mitbetroffenes Grundrecht – und nicht nur als zu berücksichtigendes Interesse – in die Abwägung einzubeziehen. Daher gilt hier keine Vermutung eines Vorrangs des Schutzes des Persönlichkeitsrechts, sondern sind die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abzuwägen. Ebenso wenig wie Einzelne gegenüber den Medien einseitig darüber bestimmen können, welche Informationen im Rahmen der öffentlichen Kommunikation über sie verbreitet werden, haben sie eine solche Bestimmungsmacht gegenüber den Suchmaschinenbetreibern. Auf der anderen Seite folgt aus dem Gebot einer gleichberechtigten Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte aber auch, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt. An seiner noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung25 hat der Bundesgerichtshof insoweit nicht festgehalten26.
Wenn sich Betroffene – wie hier der Betroffene – nicht schon gegen die Ermöglichung namensbezogener Suchabfragen überhaupt, sondern gegen deren Wirkung hinsichtlich einzelner sie nachteilig betreffender Beiträge wenden, kommt es für die Gewichtung ihrer Grundrechtseinschränkung maßgeblich auf die Wirkung ihrer Verbreitung an. Bezugspunkte sind dabei die Wirkungen der Verbreitung des streitbefangenen Beitrags für die Persönlichkeitsentfaltung, wie sie sich spezifisch aus den Suchnachweisen ergeben, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit namensbezogener Suchabfragen. Hierfür reicht nicht eine Würdigung der Berichterstattung in ihrem ursprünglichen Kontext, sondern ist auch die leichte und fortdauernde Zugänglichkeit der Informationen durch die Suchmaschine in Rechnung zu stellen. Insbesondere ist auch der Bedeutung der Zeit zwischen der ursprünglichen Veröffentlichung und deren späterem Nachweis Rechnung zu tragen27.
Der Zeitablauf kann sowohl das Gewicht des öffentlichen Interesses als auch das der Grundrechtsbeeinträchtigung modifizieren. Welche Bedeutung dem Verstreichen von Zeit für die spätere Geltendmachung eines Schutzanspruchs gegenüber einer ursprünglich rechtmäßigen Veröffentlichung zukommt, lässt sich nur unter Erfassung des konkreten Schutzbedarfs des Betroffenen in Abwägung mit den entgegenstehenden Grundrechten und dabei zugleich der öffentlichen Bedeutung der fraglichen Informationen beurteilen28.
Ein maßgeblicher Gesichtspunkt liegt hierfür zunächst in Wirkung und Gegenstand der Berichterstattung. Je stärker die Verbreitung zurückliegender Berichte das Privatleben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Person als ganze beeinträchtigen, desto größeres Gewicht kann einem Schutzanspruch zukommen. Dies steht zugleich in einer Wechselwirkung mit Gegenstand und Anlass der Berichterstattung: Soweit Berichte sich mit dem Verhalten einer Person in der Sozialsphäre befassen, kann ihrer Zugänglichkeit auch langfristig eher Gewicht zukommen, als wenn sie allein von privatem, bewusst nicht vor anderen gezeigtem Verhalten oder Fehlverhalten handeln. Maßgeblich ist insoweit nicht zuletzt auch das öffentliche Interesse an der fortdauernden Erreichbarkeit der Informationen29.
Bedeutung kommt auch der Frage zu, wieweit die berichteten Ereignisse in einer Folge weiterer hiermit einen Zusammenhang bildender Vorkommnisse stehen. Zurückliegende Ereignisse können eher fortdauernde Bedeutung behalten, wenn sie eingebunden sind in eine Abfolge etwa gesellschaftspolitischer oder kommerzieller Aktivitäten oder durch nachfolgende Begebenheiten neue Relevanz erhalten, als wenn sie für sich allein stehen30.
Entsprechend kann zu berücksichtigen sein, ob und wieweit Betroffene in der Zwischenzeit dazu beigetragen haben, das Interesse an den Ereignissen oder ihrer Person wachzuhalten. Hat eine Person die Öffentlichkeit gesucht und ohne Not Aufmerksamkeit erzeugt, die das Interesse an den ursprünglichen Berichten reaktualisiert, kann ihr Interesse, von einer Konfrontation mit der Ausgangsberichterstattung verschont zu bleiben, entsprechend geringer zu gewichten sein. Insoweit gehört zu der Chance auf ein Vergessen auch ein Verhalten, das von einem „Vergessenwerdenwollen“ getragen ist31.
Dagegen ist das Kriterium der „Zweckerreichung“ in Bezug auf die Verbreitung von Beiträgen, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, in der Regel kein geeignetes Kriterium, um die Dauer ihrer rechtmäßigen Verbreitung zu bestimmen. Denn bei solchen Beiträgen stützt sich die Verbreitung nicht auf eine spezifische Erlaubnis für einen bestimmten Zweck, sondern wurzelt in den Kommunikationsfreiheiten und dem sich hieraus ergebenden Recht, Zwecke der Kommunikation selbst setzen, ändern oder in Bezug auf das weitere Kommunikationsgeschehen auch offenlassen zu können32.
Für das Gewicht der Beeinträchtigung kommt es auch darauf an, in welcher Einbindung die Informationen unter den konkreten Umständen im Netz kommuniziert werden. So macht es einen Unterschied, ob über ein lang zurückliegendes Ereignis etwa in Form eines auf Skandalisierung hin angelegten personenbezogenen Blogs berichtet wird oder im Rahmen eines Bewertungsportals, bei dem sich die Aussagekraft älterer Informationen durch neuere Eintragungen relativiert und damit unter Umständen auch lange zurückliegende Informationen noch vorgehalten werden dürfen. Es kommt insoweit auf die tatsächliche Belastung für die Betroffenen an33.
Die Belastung der Betroffenen bestimmt sich dabei nicht abstrakt aus der Tatsache, dass eine Information im Netz irgendwie zugänglich ist, sondern hängt auch daran, wieweit sie hierdurch tatsächlich breitenwirksam gestreut wird. Von Bedeutung kann dabei auch sein, wieweit sie von Suchmaschinen prioritär kommuniziert wird. Da Kommunikation und Kommunikationsbedingungen des Internets freilich individuell verschieden und volatil sind, gibt es insoweit kein objektives Maß. Jedoch stellt sich auch im Netz die Bedeutung von Informationen erst aus Kommunikationszusammenhängen her und erhalten diese unterschiedliche Verbreitung und Sichtbarkeit. Maßgeblich ist insoweit eine Beurteilung der gesamten Belastungswirkung aus Sicht des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung über sein Schutzbegehren – die dann in die Abwägung mit den Kommunikationsfreiheiten einzustellen ist34.
Nicht möglich ist es demgegenüber, einen durch Zeitablauf entstehenden Schutzanspruch unter schematischer Übernahme anderweitig geregelter Verwendungs, Veröffentlichungs- oder Löschungspflichten zu bestimmen. Dies gilt für Berichte über Straftaten auch hinsichtlich der Fristen des Bundeszentralregistergesetzes. Solche einfachrechtlichen Regelungen folgen je eigenen Zwecken und können den von Verfassungs wegen gebotenen Ausgleich zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechten nicht leisten. Sie mögen im Einzelfall als Orientierungshilfe herangezogen werden können, ersetzen die eigenständige grundrechtliche Abwägung jedoch nicht35.
Nach diesen Grundsätzen haben auf Grundlage des für die revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Sachverhalts die Grundrechte des Betroffenen nicht hinter den Grundrechten der Suchmaschinenbetreiberin und den in deren Waagschale zu legenden Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und des für den verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgans zurückzutreten. Der Presseartikel darf jedenfalls nicht mehr durch allein namensbezogene Abfragen über die Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin so auffindbar gehalten werden, dass er – so wie vom Betroffenen behauptet – in der Ergebnisliste angezeigt wird.
Die Betroffenenin stellt die Wahrheit der im verlinkten Presseartikel geschilderten Tatsachen sowie die ursprüngliche Rechtmäßigkeit dieser Berichterstattung insgesamt nicht in Frage. Anhaltspunkte für deren Rechtswidrigkeit sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
Die Presse darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei ihrer Berichterstattung über Straftaten nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Darstellung verwiesen werden. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern einzelner oder der Gemeinschaft begründen grundsätzlich ein anzus Interesse an näheren Informationen über Tat oder Täter; wahre Tatsachenbehauptungen müssen insoweit in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für die Betroffenen sind36.
Der von der Suchmaschinenbetreiberin nachgewiesene Presseartikel berichtet unter der Überschrift „[…] Tod konnte ‚nicht geklärt werden‘, […] zur Verurteilung von [Betroffenen] und […] in […]“ über die gegen den Betroffenen geführten Strafverfahren. Er schildert, dass der Betroffene am 22.02.1988 nicht wegen eines ihm vorgeworfenen Raubmordes, sondern nur wegen Unterschlagung und Mißbrauchs von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt und freigelassen wurde. Der Artikel schildert weiter, dass der Betroffene am 5.03.1988 mit einem weiteren Täter drei Menschen überfiel und ermordete, weshalb er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Thematisiert werden neben der Persönlichkeit des Betroffenen die Abläufe der Hauptverhandlungen, das Agieren von Verfahrensbeteiligten und insbesondere die Probleme bei der Aufklärung der Tatvorwürfe. Es handelt sich um einen journalistisch gestalteten Artikel der Tagespresse, bei dem das ganz erhebliche Berichterstattungsinteresse im Ausgangspunkt außer Frage steht. Das Berichterstattungsinteresse erstreckte sich unter den Umständen des Streitfalls ohne weiteres auch auf die Nennung des Betroffenen. Gegenstand des sachlich gehaltenen Artikels ist ein spektakuläres Kapitalverbrechen. Die Strafverfahren waren ein zeitgeschichtliches Ereignis, das untrennbar mit der Person und dem Namen des Betroffenen verbunden ist.
An der fortdauernden Auffindbarkeit des Presseartikels durch eine rein namensbezogene Suche in der Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin besteht freilich nur ein geringes Interesse des Inhalteanbieters.
Zwar ist das im Artikel behandelte gesellschaftspolitische Thema – die Aufklärungsschwierigkeiten in einem Strafverfahren mit der Folge eines möglicherweise „falschen“ Freispruchs und die (deshalb mögliche) unmittelbar nachfolgende Begehung schwerster Straftaten – auch heute noch aktuell. Daher ist das Interesse, den Artikel nach wie vor im Online-Archiv zugänglich zu machen, schutzwürdig. Dies gilt allerdings in erheblich geringerem Maße für die – hier allein streitgegenständliche – Auffindbarkeit des Artikels über die Internet-Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin durch Eingabe (nur) des Namens des Betroffenen. Denn das Interesse der Öffentlichkeit an dessen Person tritt im Kontext des Artikels mit zunehmendem Zeitablauf immer weiter zurück. Seit erstmaliger Veröffentlichung des Artikels und den darin geschilderten Ereignissen sind nunmehr bereits über 30 Jahre vergangen. Demgegenüber steht bei einer (ausschließlich) namensbezogenen Suche über eine Internet-Suchmaschine gerade der Betroffene als Person und nicht das im Artikel behandelte gesellschaftspolitische Thema im Zentrum des Interesses.
Eine gleichwohl fortdauernde Bedeutung gerade der Person des Betroffenen ergibt sich nicht aus anderen Umständen. Der Betroffene wurde im November 2014 aus der Haft entlassen und die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe ist erlassen. Es ist nicht festgestellt, dass der Betroffene nach seiner Verurteilung mit seiner Tat wieder in das Licht der Öffentlichkeit trat. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verweist lediglich darauf, dass sich der Betroffene im Jahr 2008 als namentlich genannter Sprecher der Gefangenenvertretung gegenüber einem Nachrichtenmagazin zur privilegierten Behandlung eines Mitgefangenen äußerte und damit nicht seine Tat, sondern nur die Information über seine Strafhaft an die Öffentlichkeit herantrug.
Die Angaben über den Betroffenen stehen auch sonst nicht eingebettet in eine Abfolge weiterer, aktueller Informationen.
Entsprechendes gilt für die Gewichtung der Zugangsinteressen der Internetnutzer, soweit in diesem Zusammenhang der Rolle Rechnung zu tragen ist, die der Presse in einer demokratischen Gesellschaft zukommt. Im Übrigen ist die Informationsfreiheit nur sehr geringfügig berührt. Denn es geht lediglich um die Auffindbarkeit des Presseartikels bei einer Suche, deren ausschließliche Grundlage der Namen des Betroffenen ist. Jenseits dessen ist weder die Auffindbarkeit des Artikels noch eine Suche auf Grundlage des Namens des Betroffenen eingeschränkt.
Demgegenüber ist die Belastungswirkung aus Sicht des Betroffenen erheblich.
Grundlage der revisionsrechtlichen Prüfung ist der Vortrag des Betroffenen, der ausweislich der tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils bis zuletzt behauptet hat, der beanstandete Link erscheine bei Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste der Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin stets an vierter Stelle. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat für den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz keine abweichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. In den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ist ausgeführt, der Link tauche – wie das Landgericht selbst überprüft habe – nicht immer an vorderer Stelle der Ergebnisliste auf, sondern in wechselnder Priorität, zum Teil erst auf Seite 8 der Suchliste. Damit unterzieht das Oberlandesgericht Karlsruhe die Behauptung des Betroffenen nicht einer erneuten Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt.
Unter den heutigen Nutzungsgewohnheiten des Internets besteht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass Freunde, Nachbarn und insbesondere auch neue Bekannte schon aus einem oberflächlichen Informationsinteresse heraus oder aus geringfügigem Anlass den Namen des Betroffenen im Suchfeld einer Suchmaschine eingeben. Werden sie dabei, wie im Fall des Betroffenen, auf der Ergebnisliste vorrangig auf dessen frühere Verurteilung hingewiesen, begründet das die Gefahr, dass dessen Wahrnehmung in seinem sozialen Umfeld nachhaltig hierdurch geprägt bleibt. Dies wiegt umso schwerer, als der Betroffene sich nach der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe in ein neues soziales Umfeld einfinden musste. Auch wenn die Berichterstattung als solche nicht sensationslüstern, sondern eher abwägend und psychologisierend gehalten ist, kann das dauerhafte Vorhalten des Berichts angesichts seiner facettenreichen Schilderung der Straftaten und der umfangreichen Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Betroffenen dazu führen, dass hierdurch seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Verbüßung seiner Haftstrafe erheblich erschwert und die Chance eines Neuanfangs nachhaltig behindert wird. Dabei ist weiter erschwerend zu berücksichtigen, dass aus dem Artikel nicht nur die Verurteilung zu einer langen Haftstrafe wegen einer schweren Straftat hervorgeht. Darüber hinaus transportiert der Artikel die offene Frage, ob der Betroffene die Tat, wegen der er freigesprochen wurde, doch begangen haben könnte.
Weist – wie für die revisionsrechtliche Prüfung zu Grunde zu legen – die namensbezogene Suchabfrage bei der marktführenden Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin auf den Artikel an prioritärer Stelle hin, so ist davon auszugehen, dass das hierdurch entstehende Bild des Betroffenen auch heute maßgeblich von den besonders schweren und seinerzeit aufsehenerregenden Taten und Tatvorwürfen im Jahr 1988 dominiert wird. Unabhängig von der feststellbaren tatsächlichen Häufigkeit namensbezogener Suchabfragen kann schon die ständig drohende Möglichkeit und die damit verbundene Angst, jederzeit unvorbereitet aufs Neue mit seiner Vergangenheit konfrontiert zu werden, den Betroffenen dazu bewegen, mit neuen sozialen Kontakten vorsichtig zu sein, sich zurückzuziehen und die Öffentlichkeit zu meiden.
Diese Grundrechtsbeeinträchtigung des Betroffenen erhält – ausgehend von dessen Vortrag – auch im Streitverhältnis zur Suchmaschinenbetreiberin entscheidendes Gewicht. Die Suchmaschinenbetreiberin weist den Presseartikel auf eine entsprechende Suchanfrage zwar unkommentiert in ihren Ergebnislisten nach. Allerdings steht dieser Nachweis laut Vortrag des Betroffenen bei isolierter Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste der Suchmaschine der Suchmaschinenbetreiberin stets an vierter Stelle. Das dagegen gerichtete Rechtsschutzbegehren des Betroffenen berührt die unternehmerischen Interessen der Suchmaschinenbetreiberin nur sehr geringfügig, da es ausschließlich um die Auffindbarkeit des Presseartikels bei einer Suche auf Grundlage nur des Namens des Betroffenen geht. Sowohl die Auffindbarkeit des Artikels auf Grundlage anderer Suchparameter als auch die Anzeige anderer Suchergebnisse nach Eingabe des Namens des Betroffenen sind nicht betroffen. Soweit die Revisionserwiderung darauf verweist, dass die Suchmaschinenbetreiberin im Wettbewerb mit anderen Betreibern von Internet-Suchmaschinen benachteiligt sei, wenn ausschließlich sie vom Betroffenen in Anspruch genommen werde, ist dieser Nachteil ebenfalls nur sehr geringfügig und ändert daher nichts daran, dass das Interesse des Betroffenen überwiegt.
Schließlich fällt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung die Abwägung nicht deshalb zu Gunsten der Suchmaschinenbetreiberin aus, weil dem Betroffenen die Inanspruchnahme des Verantwortlichen des Online-Archivs möglich und zumutbar wäre sowie – so die Revisionserwiderung – bei diesem Vorgehen die Suchmaschinenbetreiberin nicht gegenüber anderen Betreibern von Internet-Suchmaschinen benachteiligt würde und zudem der Betroffene umfassender vor Suchanfragen geschützt wäre37. Entgegen der von der Suchmaschinenbetreiberin in der Revisionsverhandlung vertretenen Auffassung läge die Darlegungs- und Beweislast insoweit nicht beim Betroffenen, da es sich um Umstände handelt, die im Rahmen der Abwägung zu ihren Gunsten zu berücksichtigen wären. Dabei müsste vom konkreten Rechtsschutzbegehren des Betroffenen ausgegangen werden. Er hat – auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof – deutlich gemacht, dass er vom Verantwortlichen des Online-Archivs nicht verlangen würde, dass dieser den Artikel aus dem Online-Archiv löscht. Der Betroffene will vielmehr (nur) verhindern, dass allein mit der Eingabe seines Namens bei Google.de als der am häufigsten genutzten Suchmaschine die Verbindung zum Artikel hergestellt wird. Dazu, dass insoweit eine Inanspruchnahme des Inhalteanbieters einfacher wäre, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe nichts festgestellt. Im Übrigen sind einschränkende Maßnahmen gegenüber der unbehinderten und unveränderten Bereitstellung von ursprünglich zulässigen Presseberichten in Online-Archiven nur zumutbar, wenn deren Folgen für die Betroffenen besonders gravierend sind und sie damit eine solche Bereitstellung über Einzelfälle hinaus nicht schon grundsätzlich in Frage stellen38.
Daher war das Berufungsurteil durch den Bundesgerichtshof aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Hierbei wird das Oberlandesgericht Karlsruhe zu beachten haben, dass ein Zurücktreten der grundrechtlich geschützten Interessen des Betroffenen nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Beitrag nicht stets an prioritärer Stelle erscheint, sondern erst dann, wenn ausgehend von dem (ggfs. wechselnden) Standort des Beitrags keine ernstliche Gefahr mehr besteht, dass eine namensbezogene Suche erfolgreich ist, z.B. weil – siehe auch den diesbezüglichen Vortrag der Suchmaschinenbetreiberin – der Beitrag im Laufe der Jahre so weit nach hinten auf der Ergebnisliste gerückt ist, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass der normale Internetnutzer ihn bei einer Namenssuche unter Identifizierung des Betroffenen noch zur Kenntnis nehmen wird.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. Mai 2022 – VI ZR 832/20
- LG Karlsruhe, Urteil vom 30.11.2018 – 21 O 84/17[↩]
- OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2020 – 6 U 129/18, GRUR 2020, 1109[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 12 ff.[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 16[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 17[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 64[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 112; BGH, Urteile vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 18 mwN; vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350 Rn. 45[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn.19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 23 mN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 24 mN[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 34, 42, 46, 96 f.; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 25[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 98 f.; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 27[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 100; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 28[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 102; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 29[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 103 f.; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 30[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 105; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 31[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 107; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 33[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 108; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 34[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 109; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 35[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 110; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 36 mwN[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 112 ff.; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 37[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 114, 118; 152, 152 Rn. 101 ff., 114 ff.; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 38[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 119; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 39[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 120; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 40[↩]
- BGH, Urteil vom 27.02.2018 – VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350 Rn. 36, 52[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 41[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 122; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 42[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 120; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 49[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 121; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 50[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 122; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 51[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 122; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 52[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 132; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 53[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 54[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 124 f.; BVerfG [K], NJW 2020, 1793 Rn. 11, 16; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 55[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 126; BGH, Urteil vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 62[↩]
- vgl. BVerfGE 152, 152 Rn. 144; BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 22 mwN[↩]
- vgl. dazu BVerfGE 152, 216 Rn. 114, 118 f.; 152, 152 Rn. 132 ff.; BGH, Urteile vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, BGHZ 226, 285 Rn. 38 f.; vom 22.09.2020 – VI ZR 476/19, AfP 2020, 494[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 437/19, AfP 2021, 226 Rn. 30[↩]










