Eine Prozesspartei wird nicht dadurch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, dass das Gericht es unterlassen hat, einen Zeugen, der die Beweisfragen des Gerichts schriftlich beantwortet hat, trotz eines entsprechenden Antrags nicht zu seiner Vernehmung zu laden und so der Prozesspartei nicht die Möglichkeit eröffnet hat, dem Zeugen in der mündlichen Verhandlung Fragen vorlegen zu lassen oder diesen selbst zu befragen.

GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen1.
Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst dann erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben. Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt wurde2.
Nach § 377 Abs. 3 Satz 3 ZPO ordnet das Gericht die Ladung des Zeugen, der – wie hier – Beweisfrage(n) bereits schriftlich beantwortet hat (§ 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO), an, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage(n) für notwendig erachtet, zB wenn der Zeuge die Beweisfrage nicht schriftlich beantwortet, wenn seine schriftliche Aussage unvollständig, ungenau, unsicher oder einseitig erscheint oder der Verdacht einer unzulässigen Einflussnahme auf den Zeugen besteht3. Zwar setzt § 377 Abs. 3 ZPO in der ab dem 1.04.1991 geltenden Fassung – anders als § 377 Abs. 4 ZPO in der bis zum 31.03.1991 geltenden Fassung – nicht (mehr) voraus, dass die Parteien mit der schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage(n) durch den Zeugen einverstanden sind; allerdings lässt § 377 Abs. 3 ZPO das Fragerecht der Parteien nach § 397 ZPO unberührt. Nach § 397 Abs. 1 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. Nach § 397 Abs. 2 ZPO kann der Vorsitzende den Parteien und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu stellen. Deshalb wird das Gericht den Zeugen regelmäßig auch dann zu laden haben, wenn die Parteien ihr Fragerecht nach § 397 ZPO ausüben wollen3.
Beantragt eine Partei die Ladung eines zuvor nach § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO schriftlich befragten Zeugen, um diesem in der mündlichen Verhandlung Fragen stellen oder vorlegen lassen zu können, so ist das Gericht jedoch zur Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht in jedem Fall verpflichtet, diesem Antrag zu entsprechen4. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt nicht, einem Antrag auf Ladung eines nach § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO schriftlich befragten Zeugen ausnahmslos Folge zu leisten, selbst wenn der Antrag rechtzeitig und nicht missbräuchlich gestellt ist. Da Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung enthält, besteht auch kein verfassungsrechtlicher Anspruch, das einfachgesetzlich in § 397 ZPO geregelte Fragerecht gegenüber einem Zeugen in jedem Fall mündlich auszuüben. Es ist vielmehr verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um (sachverständige) Zeugen damit zu konfrontieren5. Im Übrigen ist die Ladung eines schriftlich befragten Zeugen zum Termin zwar die nächstliegende, aber nicht die einzige Möglichkeit zur Behandlung eines solchen Antrags. In Betracht kommt insoweit auch, den Zeugen um eine schriftliche Ergänzung seiner schriftlichen Aussage zu bitten6. Im Übrigen verbleibt es dabei, dass Verletzungen von § 397 ZPO im Einzelfall daraufhin zu überprüfen sind, ob durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt wurde.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass § 397 ZPO den Parteien kein unbeschränktes Fragerecht einräumt. Sinn und Zweck der Befragung des Zeugen durch die Parteien ist die Ausschöpfung des Beweismittels. Hieraus ergeben sich die Grenzen des Fragerechts. Unzulässig sind deshalb zB Fragen, die mit dem Beweisthema nichts zu tun haben, Ausforschungsfragen, unzulässige Fragen iSv. § 383 Abs. 3, § 376 ZPO und Suggestivfragen7. Unzulässig sind darüber hinaus aber auch Fragen, die ersichtlich abwegig sind oder vom Zeugen bereits beantwortet wurden8.
Aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Gerichte zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nach §§ 397, 402 ZPO verpflichtet sind, einem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung eines gerichtlichen Sachverständigen unabhängig davon stattzugeben, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält9, folgt nichts Abweichendes.
Zum einen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für den Sachverständigenbeweis aufgestellt hat, auf den Zeugenbeweis nicht ohne Weiteres übertragbar. Zwischen dem Zeugenbeweis und dem Sachverständigenbeweis bestehen im Hinblick auf die Betroffenheit in dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erhebliche Unterschiede. Während der Zeuge dem Gericht über eigene Wahrnehmung von Tatsachen und tatsächlichen Vorgängen berichtet, ohne diesen Bericht durch Schlussfolgerungen auszuwerten, unterstützt der – im Übrigen austauschbare – Sachverständige das Gericht bei der Auswertung vorgegebener Tatsachen, indem er aufgrund seines Fachwissens, über das auch die Parteien regelmäßig nicht verfügen, subjektive Wertungen, Schlussfolgerungen und Hypothesen bekundet10. Vor diesem Hintergrund gehört es grundsätzlich zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können, weshalb der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst11. Je wichtiger ein Sachverständigengutachten für das Ergebnis eines Prozesses ist, desto mehr Gewicht kommt dem Recht der Verfahrensbeteiligten zu, Einwendungen dagegen vorzubringen und die Sachverständigen mit ihnen zu konfrontieren12, um so das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Gericht in Frage zu stellen und damit die Überzeugungsbildung des Gerichts zu beeinflussen. Ein vergleichbares Bedürfnis, auf die Überzeugungsbildung des Gerichts Einfluss nehmen zu können, besteht bei der Aussage eines Zeugen, die sich auf die Wiedergabe wahrgenommener Tatsachen (§ 373 ZPO) beschränkt, nicht im selben Umfang. Diese Unterscheidung zwischen dem Zeugen- und dem Sachverständigenbeweis ist auch dann geboten, wenn es sich bei dem Zeugen um einen sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) handelt und dieser nicht zur Bewertung, sondern zur Bekundung von Tatsachen herangezogen wird.
Im Übrigen gilt auch für den Sachverständigenbeweis, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht verlangt, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten, sondern dass im Einzelfall andere Möglichkeiten zur Gewährung rechtlichen Gehörs ausreichen können, indem der Sachverständige stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens gebeten wird oder das Gericht ein weiteres Gutachten einholt13. Allerdings liegt dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erläuterungsbedürftig erscheint14.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 8 AZN 872/16
- vgl. etwa BVerfG 24.08.2015 – 2 BvR 2915/14, Rn. 15; 17.01.2012 – 1 BvR 2728/10, Rn. 11[↩]
- vgl. etwa BVerfG 24.08.2015 – 2 BvR 2915/14, Rn. 16; 17.01.2012 – 1 BvR 2728/10, Rn. 12[↩]
- vgl. BT-Drs. 11/3621 S. 39[↩][↩]
- vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 75. Aufl. § 377 Rn. 8, 9; ausdrücklich für die schriftliche Ergänzung Stadler ZZP 1997, 137, 161; aA Hansens NJW 1991, 953, 956; MünchKomm-ZPO/Damrau 5. Aufl. § 397 Rn. 2; PG/Trautwein 8. Aufl. § 377 Rn. 8; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 377 Rn. 6; Schneider MDR 1998, 1133, 1135; Stein/Jonas/Berger 23. Aufl. § 377 Rn. 24, 33; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 4. Aufl. § 377 Rn. 51 mwN; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 377 Rn. 10a; OLG Hamburg 8.05.2003 – 6 U 38/00, zu I der Gründe; LG Berlin 25.11.1996 – 62 S 387/96; idR stattzugeben Musielak/Voit/Huber ZPO 13. Aufl. § 377 Rn. 8[↩]
- vgl. BVerfG 29.05.2013 – 1 BvR 1522/12, Rn. 2, BVerfGK 20, 319; 17.01.2012 – 1 BvR 2728/10, Rn. 15 mwN[↩]
- vgl. etwa BVerfG 24.08.2015 – 2 BvR 2915/14, Rn.19 für den Sachverständigenbeweis[↩]
- vgl. etwa Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 397 Rn. 2; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 397 Rn. 4[↩]
- vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 75. Aufl. § 397 Rn. 7; HK-ZPO/Siebert 7. Aufl. § 397 Rn. 4; Stein/Jonas/Berger 23. Aufl. § 397 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 4. Aufl. § 397 Rn. 12; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Aufl. § 397 Rn. 2[↩]
- vgl. etwa BGH 19.11.2014 – IV ZR 47/14, Rn. 8 mwN[↩]
- Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 402 Rn. 1a[↩]
- vgl. etwa BVerfG 6.03.2013 – 2 BvR 2918/12, Rn.19 ff.; 17.01.2012 – 1 BvR 2728/10, Rn. 13 und 15; 3.02.1998 – 1 BvR 909/94, zu II 2 a der Gründe[↩]
- BVerfG 3.02.1998 – 1 BvR 909/94, zu II 2 b der Gründe[↩]
- vgl. etwa BVerfG 24.08.2015 – 2 BvR 2915/14, Rn.19; 6.03.2013 – 2 BvR 2918/12, Rn. 21[↩]
- vgl. etwa BVerfG 24.08.2015 – 2 BvR 2915/14 – aaO; 6.03.2013 – 2 BvR 2918/12 – aaO[↩]