Die Frage, ob andere Personen als der jeweilige Milcherzeuger, die an der Hinterziehung von Milchabgaben mitgewirkt haben, als Haftungsschuldner für die hinterzogenen Abgaben herangezogen werden können, ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil sie nach den maßgebenden Vorschriften eindeutig zu beantworten und zu bejahen ist.

Wer eine Steuerhinterziehung begeht, haftet nach § 71 AO für die verkürzten Steuern. Dass es sich bei der Verschleierung der die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Milchlieferungen des L durch Verrechnung dieser Lieferungen mit Referenzmengen anderer Erzeuger um eine Steuerhinterziehung gehandelt hat und der Kläger und der andere Mitarbeiter der Molkerei diese Steuerhinterziehung begangen haben, indem sie Milchlieferungen an die Molkerei unter fremden Erzeugernummern ermöglichten, steht außer Zweifel und wird auch von Seiten der Beschwerde nicht in Abrede gestellt.
Es besteht auch kein Zweifel, dass neben dem die Abgabe schuldenden Milcherzeuger die gemäß § 71 AO vorgeschriebene Haftung anderer an einer Abgabenhinterziehung mitwirkender Personen für die hinterzogenen Milchabgaben mit den unionsrechtlichen Vorschriften über die Erhebung der Milchabgabe vereinbar ist. Art. 2 Abs. 1 der im Streitfall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor1, dem zufolge die zu erhebende Abgabe auf die Erzeuger zu verteilen ist, die zur Überschreitung der Gesamtreferenzmenge beigetragen haben, regelt, wer Schuldner der Milchabgabe ist, steht aber nicht nationalen Vorschriften entgegen, welche die Heranziehung anderer Personen als Haftende für diese Schuld vorsehen.
Aus dem „Milchwerke Köln“-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union2 folgt nichts anderes. Dort heißt es lediglich, die unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften sähen nicht vor, dass der Käufer als Abgabenpflichtiger an die Stelle des Erzeugers trete. Hingegen ist nach dieser Entscheidung im Fall der Abgabenhinterziehung die Inanspruchnahme anderer Personen als Haftende aufgrund nationaler Vorschriften nicht nur zulässig, sondern unionsrechtlich sogar geboten, denn die Mitgliedstaaten sind –wie der EuGH ausführt– verpflichtet, betrügerische Verhaltensweisen wirksam zu bekämpfen und Ansprüche auf Einziehung oder Nacherhebung hinterzogener Steuern oder Abgaben oder auf Schadenersatz auf jede rechtliche Weise geltend zu machen.
Nicht klärungsbedürftig ist auch die weitere seitens der Beschwerde bezeichnete Frage, ob die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner auch im Fall einer Haftung für eine sog. Überschussabgabe i.S. des Art. 2 Abs. 4 VO Nr. 3950/92, die mit keiner Zahlungspflicht des betreffenden Mitgliedstaats gegenüber der Union verbunden ist, mit Unionsrecht vereinbar ist.
Der Bundesfinanzhof hat bereits entschieden, dass zwischen den von den Mitgliedstaaten erhobenen Milchabgaben und den von ihnen an die Union abzuführenden Beträgen keine strenge Akzessorietät besteht, dass es für die Abgabenpflicht des Milcherzeugers in erster Linie auf die Überschreitung seiner verfügbaren Referenzmenge ankommt und zudem ein Milcherzeuger, der seine die verfügbare Referenzmenge überschreitenden Lieferungen gegenüber der zuständigen Behörde verschleiern konnte, nicht davon profitieren darf, dass die von ihm vorgenommenen Manipulationen erst später nach Haushaltsabschluss aufgedeckt werden3.
Entspricht es somit den unionsrechtlichen Milchabgabevorschriften, eine hinterzogene Milchabgabe auch dann gegen den Milcherzeuger festzusetzen, wenn die nachträglich festgestellten Mehrlieferungen keinen Einfluss auf die von dem betreffenden Mitgliedstaat an die Union abzuführende Abgabe haben, so ist nicht erkennbar, weshalb dies hinsichtlich der insoweit akzessorischen Haftungsschuld desjenigen, der an der Hinterziehung der Milchabgabe mitgewirkt hat, anders sein soll.
Die Frage, ob der Hinterzieher der Milchabgabe gemäß § 71 AO für diese auch dann haftet, wenn feststeht, dass bei steuerehrlichem Verhalten des Milcherzeugers keine Abgabenschuld entstanden wäre, ist nicht klärungsfähig. Sie könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden, weil ihr ein anderer Fall, nicht jedoch der Streitfall zugrunde liegt. Hätte sich nämlich L den Vorschriften gemäß verhalten und nicht die in seinem Betrieb erzeugte Milch unter einer fremden Erzeugernummer an die Molkerei geliefert, so wäre zweifellos eine Abgabenschuld entstanden und wäre Milchabgabe gegen ihn festgesetzt worden, da er –wie das FG festgestellt hat– in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum über keine Referenzmenge verfügte.
Etwas anderes ergibt sich für den Bundesfinanzhof auch nicht daraus, dass bei steuerehrlichem Verhalten des eigentlichen Steuerschuldners dieser nicht in der Lage gewesen wäre, die Abgabenschuld zu begleichen, das Hauptzollamt also ebenfalls leer ausgegangen wäre. Für den Bundesfinanzhof ist nicht erkennbar, weshalb in diesem Fall die Inanspruchnahme im Wege der Haftung unzulässig sein sollte. Es ist gerade der Sinn der Haftungsvorschriften der AO, neben dem –ggf. zahlungsunfähigen– Abgabenschuldner andere Personen, die den Schaden des Fiskus mit verursacht haben, zur Zahlung heranziehen zu können. Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließt die Inanspruchnahme eines Haftenden nur dann aus, wenn dessen Verhalten für den Abgabeausfall nicht kausal werden konnte.
Gleiches gilt für den Bundesfinanzhof auch für das Verteidigungsargument, die Molkerei hätte keine Lieferungen des Landwirts angenommen, dieser hätte also gar keine Milch vermarkten können, falls er wahrheitsgemäß angegeben hätte, ihr Erzeuger zu sein. Das heißt mit anderen Worten, der Landwirt hätte bei ehrlichem Verhalten keine Möglichkeit gehabt, Milch zu liefern und auf diese Weise die Milchabgabe zu hinterziehen. Es ist indes nicht nachvollziehbar, woraus sich ergeben soll, dass eine Haftungsinanspruchnahme ausscheidet, wenn ohne den Tatbeitrag des Haftungsschuldners die betreffende Abgabe nicht hätte hinterzogen werden können und folglich ein Abgabeausfall nicht eingetreten wäre, oder warum es bei Marktordnungsabgaben an einem „Vermögensnachteil“ des Fiskus fehlen soll, wenn ohne die Hinterziehungstaten eine Abgabe nicht hätte erhoben werden können.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. August 2012 – VII B 173/11
- ABl.EG Nr. L 405/1[↩]
- EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-352/92 [Milchwerke Köln/Wuppertal], Slg. 1994, I-3385[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 25.09.2003 – VII B 309/02, BFHE 203, 243, ZfZ 2004, 17; vom 31.05.2006 – VII B 48/05, BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373; und vom 30.03.2010 – VII B 170/09, BFH/NV 2010, 1669[↩]