Urlaubsanspruch – Untergang trotz Arbeitsunfähigkeit

Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG1 ist § 7 Abs. 3 BUrlG zwar unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist2. Die unionsrechtskonforme Auslegung hat jedoch nur zur Folge, dass der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt und damit erneut dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt3. Besteht die Arbeitsunfähigkeit auch am 31.03.des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs4. Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit zu diesem Zeitpunkt5.

Urlaubsanspruch – Untergang trotz Arbeitsunfähigkeit

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der Entscheidung vom 7. August 2012 bereits mit den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auseinandergesetzt6. Die Annahme eines Verfalls des Urlaubsanspruchs bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres stellt keinen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung dar, sondern setzt den gesetzgeberischen Willen, den Urlaub eng an das Urlaubsjahr zu binden7, in unionsrechtskonformer Weise um.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht auch im Einklang mit der Regelung in Art. 31 Abs. 2 EU-GRCharta. Dies folgt für den vorliegenden Fall bereits daraus, dass der Vertrag von Lissabon erst seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft ist8. Der Kläger schied jedoch bereits am 28.02.2009 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Im Übrigen zwingt das Unionsrecht nationale Gerichte nicht dazu, § 7 Abs. 3 BUrlG unangewendet zu lassen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, nur stellt, wenn keine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung möglich ist9. Deshalb ist es auch unerheblich, dass die urlaubsrechtlichen Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie zwischen dem Kläger und der Beklagten als staatlicher Einrichtung unmittelbar zur Anwendung kommen könnten10.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Oktober 2012 – 9 AZR 63/11

  1. Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung[]
  2. BAG 24.03.2009 – 9 AZR 983/07, Rn. 47 ff., BAGE 130, 119[]
  3. vgl. BAG 9.08.2011 – 9 AZR 425/10, Rn.19, AP BUrlG § 7 Nr. 52 = EzA BUrlG § 7 Nr. 125[]
  4. vgl. EuGH 22.11.2011 – C-214/10 [KHS] Rn. 38, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7[]
  5. vgl. BAG 7.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 32 ff., NZA 2012, 1216[]
  6. BAG 07.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 28, 31, aaO[]
  7. vgl. zum Gebot zeitnaher Erfüllung des Urlaubsanspruchs: BAG 18.10.2011 – 9 AZR 303/10, Rn. 23 mwN, AP BUrlG § 7 Nr. 54 = EzA BUrlG § 7 Nr. 126[]
  8. vgl. BAG 07.08.2012 – 9 AZR 353/10, Rn. 29, aaO[]
  9. EuGH 24.01.2012 – C-282/10 [Dominguez] Rn. 23, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 7 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 8[]
  10. vgl. EuGH 24.01.2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 38 f. mwN, aaO[]