Verspätete Lohnzahlung – und der Verzugsschaden

Durch die Rückzahlung von Leistungen nach dem SGB II wegen einer verspäteten Lohnzahlung entsteht dem Arbeitnehmer kein (weiterer) Verzugsschaden.

Verspätete Lohnzahlung – und der Verzugsschaden

Ist der Arbeitgeber mit der Entgeltzahlung – wie im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall – in Verzug, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB und Ersatz eines durch den Verzug entstandenen weiteren Schadens, § 288 Abs. 4 BGB. Ein solcher ist indes dem Arbeitnehmer im vorliegenden Fall nicht entstanden.

Hat der Arbeitnehmer mit seiner Klage vor den Sozialgerichten Erfolg, erleidet er schon rechnerisch keinen Schaden. In diesem Falle stünde fest, dass der Arbeitnehmer die für den Monat Juli 2014 bezogenen Leistungen nach dem SGB II nicht, auch nicht teilweise, an das Jobcenter Landkreis W zurückzahlen muss.

Hat der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Landkreis W vor den Sozialgerichten Bestand, fehlt es gleichwohl an einem Schaden.

Ob – rechnerisch – ein Vermögensschaden eingetreten ist, bemisst sich zunächst nach der Differenzhypothese durch Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne dieses Ereignis bestünde1. Dabei kann ein nach § 249 BGB zu beseitigender Schaden auch darin liegen, Schuldner einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten zu sein2.

Die Differenzhypothese ist indes nur Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob ein Schaden eingetreten ist. Weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt, muss die Differenzhypothese stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden. Erforderlich ist eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes3.

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Zahlt der Arbeitgeber Arbeitsentgelt nicht oder verspätet, hat der Arbeitnehmer wie jeder Gläubiger einer Geldschuld unabhängig von einem konkreten Schaden zunächst den Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 BGB, dessen Höhe dem Schuldner den Anreiz nehmen soll, fällige Zahlungen hinauszuzögern4. Der nach § 288 Abs. 4 BGB ersatzfähig bleibende weitere Schaden ist typischerweise derjenige, der dem Arbeitnehmer entsteht, weil ihm das nicht oder nicht rechtzeitig gezahlte Geld zum Bestreiten seines Lebensunterhalts fehlt und er deshalb einen Kredit aufnehmen und dafür Zinsen zahlen muss. Einen solchen Schaden hat der Arbeitnehmer nicht geltend gemacht.

Nimmt der Arbeitnehmer Sozialleistungen in Anspruch, zeigen die einschlägigen Normen, dass der Arbeitnehmer nicht (verspätetes) Arbeitsentgelt und Sozialleistung erhalten soll.

Zahlt der Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt (mehr) – etwa nach einer Kündigung, die sich später im Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweist – und nimmt der Arbeitnehmer deshalb Sozialleistungen in Anspruch, erhält er diese nicht „umsonst“. Vielmehr geht sein Anspruch auf Arbeitsentgelt kraft Gesetzes bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Leistungsträger über, § 115 Abs. 1 SGB X, sofern eine sachliche und zeitliche Kongruenz von Entgeltanspruch und Sozialleistung besteht5. Dies gilt auch für Sozialleistungen nach dem SGB II, denn gemäß § 33 Abs. 5 SGB II geht § 115 Abs. 1 SGB X der Regelung zum Übergang von Ansprüchen in § 33 Abs. 1 SGB II vor. Wäre das Arbeitsverhältnis nicht beendet gewesen und hätte der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber für den Monat Juli 2014 noch einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt, wäre dieser in Höhe der erbrachten Leistung kraft Gesetzes auf das Jobcenter W übergegangen.

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Darüber hinaus berücksichtigt das SGB II auch inkongruente Leistungen, bei denen eine cessio legis nach § 115 Abs. 1 SGB X ausscheidet.

Die Hilfebedürftigkeit iSd. § 9 Abs. 1 SGB II hängt ua. von dem zu berücksichtigenden Einkommen ab. Bei diesem stellt das Gesetz nicht auf den Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs, sondern auf den des Zuflusses der Einnahmen ab, § 11 Abs. 2 und Abs. 3 SGB II. Hätte im Streitfall das Jobcenter W erst nach dem 14.07.2014 über den Antrag des Arbeitnehmers entschieden, hätte dieser wegen des zwischenzeitlichen Zuflusses von Arbeitsentgelt von vornherein für den Monat Juli 2014 keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Fließen dem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II erst nach deren Bewilligung Einnahmen (oder Vermögen, das die Freibeträge des § 12 SGB II übersteigt) zu, die die Hilfebedürftigkeit (zeitweise) entfallen lassen, soll nach § 40 Abs. 1 SGB II iVm. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X die Bewilligung rückwirkend aufgehoben werden.

In ihrer Zusammenschau zeigen diese Regelungen, dass der Arbeitnehmer im Falle des Verzugs des Arbeitgebers mit der Entgeltzahlung in keinem Falle Arbeitsentgelt und Leistungen nach dem SGB II erhalten soll. Bei zeitlicher Kongruenz von Arbeitsentgelt und Sozialleistung geht der Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe der bezogenen Sozialleistung auf den Sozialleistungsträger über, bei zeitlicher Inkongruenz entfällt der Anspruch auf die Leistung nach dem SGB II rückwirkend, sofern der Arbeitnehmer wegen des nach Bewilligung der Sozialleistung zugeflossenen Arbeitsentgelts im Bezugszeitraum oder Teilen davon objektiv nicht hilfebedürftig iSd. § 9 Abs. 1 SGB II war. Dieses normative Konzept schließt es aus, eine berechtigte Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II wegen verspätet gezahlten Arbeitsentgelts als Schaden des Arbeitnehmers zu werten.

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Soweit die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, der Arbeitnehmer habe durch die Zahlungsverzögerung „faktisch“ einen Teil des Entgelts für den Monat Mai 2014 „verloren“, ist das rechtlich unzutreffend. Der Arbeitnehmer hat – wenn auch verspätet – das Entgelt für diesen Monat erhalten und für den Verzugszeitraum einen Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB erworben. Ein weiterer Schaden iSd. § 288 Abs. 4 BGB ist ihm nicht entstanden, weil er das Ausbleiben des Entgelts anscheinend aus noch vorhandenen Geldmitteln überbrücken konnte, ohne einen Kredit aufnehmen zu müssen. Auf Leistungen nach dem SGB II für den Monat Juli 2014 bestand kein Anspruch, weil er in diesem Monat objektiv nicht hilfebedürftig iSd. § 9 Abs. 1 SGB II war.

Eine normative Wertung der Rückzahlung von Sozialleistungen nach dem SGB II als Verzugsschaden gebietet auch nicht das Sozialstaatsprinzip.

Das Grundgesetz garantiert mit Art. 1 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, wobei das Sozialstaatsgebot des Art.20 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu sichern. Dieses erstreckt sich (nur) auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Bei der Bestimmung von Art und Höhe der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu6.

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Dieser Schutzauftrag des Grundgesetzes verwehrt es dem Staat nicht, Sozialleistungen nur subsidiär zum Arbeitseinkommen zu gewähren und zu verlangen, dass Hilfebedürftigkeit nicht nur im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sozialleistung, sondern für die gesamte Dauer des Bewilligungszeitraums besteht. Dass der Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt trotz des Ausbleibens des Lohns für den Monat Mai 2014 ohne Kreditaufnahme anderweitig überbrückte bzw. überbrücken konnte und für diesen Monat, in dem er objektiv hilfebedürftig iSd. SGB II gewesen wäre, keine Sozialleistungen beantragte, oblag allein seiner Entscheidung. Ein nach der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes vom Arbeitgeber zu ersetzender Verzugsschaden wäre ihm dabei entstanden, wenn er das für den Lebensunterhalt verwendete Geld bei rechtzeitiger Lohnzahlung gewinnbringend hätte anlegen können. Derartiges hat der Arbeitnehmer indes nicht behauptet.

Der „Verlust“ von Sozialleistungen nach dem SGB II ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt7 nicht vergleichbar mit einer durch eine verspätete Entgeltzahlung verursachten höheren Steuerbelastung. Der „Steuerschaden“ ist deshalb ein vom Arbeitgeber nach § 251 Abs. 1 BGB zu ersetzender Schaden, weil die vom Arbeitnehmer geschuldete (§ 38 Abs. 2 EStG) höhere Einkommensteuer den Nettoauszahlungsbetrag, den der Arbeitnehmer bei rechtzeitiger Entgeltzahlung erhalten hätte, unmittelbar schmälert und dafür nach dem Schutzzweck der Haftung wegen Verzugs nicht der Arbeitnehmer, sondern der säumige Arbeitgeber soll aufkommen müssen8.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Januar 2018 – 5 AZR 205/17

  1. vgl. BAG 16.01.2013 – 10 AZR 560/11, Rn. 24; 26.09.2012 – 10 AZR 370/10, Rn. 18, BAGE 143, 165; 15.09.2011 – 8 AZR 846/09, Rn. 47[]
  2. BGH 18.01.2005 – VI ZR 73/04, zu II 2 der Gründe; BAG 20.11.1996 – 5 AZR 518/95, zu II 4 der Gründe, BAGE 84, 344[]
  3. BGH 28.10.2014 – VI ZR 15/14, Rn. 17 mwN; Palandt/Grüneberg 77. Aufl. Vorbem. vor § 249 BGB Rn. 10 ff.[]
  4. vgl. MünchKomm-BGB/Ernst 7. Aufl. § 288 BGB Rn. 3; Palandt/Grüneberg 77. Aufl. § 288 BGB Rn. 3; zur Präventionsfunktion der Norm sh. auch BAG Großer Bundesarbeitsgericht 7.03.2001 – GS 1/00, zu III 4 b ff der Gründe, BAGE 97, 150[]
  5. vgl. dazu BAG 29.04.2015 – 5 AZR 756/13, Rn. 8, BAGE 151, 281, st. Rspr.[]
  6. BVerfG 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 74 ff. mwN, BVerfGE 137, 34[]
  7. LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.03.2017 – 3 Sa 475/14[]
  8. zur normativen Zuordnung von Steuerschäden sh. auch BAG 28.10.2008 – 3 AZR 171/07, Rn. 38[]