Wenn Verteidigung und Staatsanwaltschaft in Gegenwart der für die Entscheidung zuständigen Richter Anträge zur Strafart und Strafhöhe nach Teileinstellung des Verfahrens und Ablegung eines Geständnisses erörtern, im Anschluss daran das Gericht nach dem Vortrag eines Formalgeständnisses auf eine – an sich vorgesehene – Beweisaufnahme verzichtet, den übereinstimmenden Anträgen folgt und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt, ist in der Regel von einer konkludent geschlossenen Urteilsabsprache auszugehen, die dem Zweck dient, die Anforderungen und Rechtswirkungen einer Verständigung rechtswidrig zu umgehen. Bloßes Schweigen der Richter bei einem Verständigungsgespräch oder die Erklärung, das Gericht trete den Vorschlägen nicht bei, stehen dem nicht entgegen. Ein Rechtsmittelverzicht ist entsprechend § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam, wenn dem Urteil eine informelle Verständigung vorausgegangen ist.

Informelle Absprache
Die beschriebenen Abläufe in der Hauptverhandlung lassen – auch unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen – erkennen, dass zumindest konkludent eine rechtswidrige Urteilsabsprache zustande gekommen ist, die zudem rechtsfehlerhaft nicht dokumentiert wurde.
Der Protokollvermerk, dass eine „qualifizierte Absprache“ gemäß § 257c StPO nicht stattgefunden habe, steht der freibeweislichen Feststellung nicht entgegen, dass ein hiervon abweichendes Verfahren stattgefunden hat.
Aus der Gesamtschau der vorliegenden Umstände ergibt sich, dass eine konkludente Urteilsabsprache stattgefunden hat:
Hierauf deutet schon die besondere Betonung des Fehlens einer „qualifizierten Absprache“ hin, ebenso die Tatsache, dass die Strafkammer die von der Staatsanwaltschaft beantragte Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich 19 weiterer Fälle nur „am Richtertisch“ abstimmte, bevor der Beschluss erging.
Das Gericht hat sich zwar – folgt man der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden – verbal von den Vorschlägen und Anträgen distanziert, die (in seinem Beisein) im Beratungszimmer zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Verfahrensbeendigung nach einem Geständnis und Teileinstellungen erörtert wurden. Es ist ihnen anschließend aber in der Sache fast vollständig gefolgt, ohne dass eine diesbezügliche Änderung der Sach- und Rechtslage dies erklären könnte. Es hat zudem ein diesen Vorschlägen genau entsprechendes Verfahren gewählt.
Der Angeklagte legte ein Geständnis ab, jedoch nur in der Weise, dass sein Verteidiger für ihn eine Erklärung abgab, deren Inhalt er pauschal als zutreffend bezeichnete. Das Gericht stellte keine Fragen zu den Vorwürfen der Anklage und erhob dazu keine Beweise. Von der ursprünglich vorgesehenen umfangreichen Beweisaufnahme wurde vollständig abgesehen.
Die Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, die nach Abschluss der Beweisaufnahme gestellt wurden, sind in ihrer Übereinstimmung nur damit zu erklären, dass die Antragsteller Grund zu der Annahme hatten, das Gericht werde jedenfalls nicht darüber hinaus gehen. Die Verteidiger hatten keinen Grund, dem Angeklagten zur Befolgung der Vorschläge der Staatsanwaltschaft zu raten, wenn sie nicht ihrerseits davon ausgingen, das Gericht werde im Fall des Geständnisses keine höhere als die von dieser vorgeschlagene Strafe verhängen. Die protokollierte Mitteilung des Vorsitzenden, es hätten Erörterungen „ohne konkrete Ergebnisse“ stattgefunden, traf daher nicht zu.
Ein bloßes Schweigen der Richter zu den in ihrer Anwesenheit erfolgten Erörterungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigern stand der Annahme einer konkludenten Absprache ebenso wenig entgegen wie eine – von diesem behauptete – Äußerung des Vorsitzenden, er – oder „die Strafkammer“ – trete den Abreden nicht bei. Wenn ein solches Verhalten der Richter für die Beteiligten erkennbar nur den Sinn haben sollte, die formellen Anforderungen an eine Absprache gemäß § 257c StPO und deren Rechtsfolgen zu umgehen, kam es nicht auf ein äußeres Verhalten oder eine ausdrückliche Erklärung, sondern allein darauf an, was nach dem Gesamtzusammenhang und dem Erkenntnishorizont der Beteiligten damit gemeint war. In einer Konstellation wie der vorliegenden, in der die zuvor angeblich nicht getroffenen Absprachen anschließend fast vollständig umgesetzt werden und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt, ist in der Regel von einer konkludenten Einigung der Beteiligten auszugehen, die einerseits Form und Inhalt der Verfahrensbeendigung, andererseits die stillschweigende Verabredung umfasst, das hierfür gesetzlich vorgeschriebene (Protokollierungs-)Verfahren in allseitiger Zustimmung zu umgehen. Eine solche – bewusst rechtswidrige – Verfahrensweise ist von vornherein nicht geeignet, die verfassungsrechtlichen Grenzen des gesetzlich geregelten Verständigungsverfahrens zu Lasten des Beschuldigten zu verschieben.
Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts
Die informelle Absprache gebietet eine entsprechende Anwendung von § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO.
Nach dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 [1] ist für informelle Absprachen über das Prozessergebnis kein Raum. Nach dem Zweck des gesetzlichen Ausschlusses eines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO muss diese Regelung für informelle Absprachen erst recht gelten [2].
Diese Bewertung der Rechtslage zum Rechtsmittelverzicht nach informellen Urteilsabsprachen steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das von der Rechtswidrigkeit informeller Verfahrenserledigungen ausgeht und die Effektivität der revisionsgerichtlichen Verfahrenskontrolle angemahnt hat [3].
Ein Angeklagter, der an Erörterungen der Richter, Verteidiger und Vertreter der Staatsanwaltschaft im Beratungszimmer nicht beteiligt war, dem die für das Verständigungsverfahren vorgesehenen Informationen über den wesentlichen Inhalt der Erörterungen (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) nicht protokollfest (§ 273 Abs. 1 Nr. 1a StPO) erteilt wurden [4] und der nach der Urteilsverkündung vom Gericht nicht qualifiziert über seine Rechtsmittelmöglichkeit belehrt wurde (§ 35a Satz 3 StPO), ist besonders schutzwürdig. Er kann unmittelbar nach Urteilsverkündung nicht eigenverantwortlich entscheiden, ob eine Rechtsmittelmöglichkeit noch mit Aussicht auf Erfolg genutzt werden kann oder ein Rechtsmittelverzicht erklärt werden soll.
Keine nachträgliche Urteilsergänzung
Die Feststellung der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts führt nicht zur Rückgabe der Akten an das Landgericht zu einer Ergänzung des „abgekürzt“ verfassten Urteils. Vom Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung oder zur Begründung der Revision abgesehen (§ 267 Abs. 4 Satz 4 StPO), kommt eine nachträgliche Urteilsergänzung grundsätzlich nicht in Betracht. Davon ausgenommen sind nur Fälle, in denen das Gericht bei der Urteilsabsetzung aus anderen Gründen ohne weiteres davon ausgehen konnte, dass § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO anzuwenden sei [5]. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn dem Gericht war die rechtswidrige Umgehung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO bewusst. Es konnte nicht darauf vertrauen, dass ein hierauf erklärter Rechtsmittelverzicht Bestand haben würde.
Das Urteil ist aufgrund der Sachrüge aufzuheben, denn ihm fehlt eine tragfähige Beweisgrundlage. Das Landgericht hat sich auf die Mitteilung beschränkt: „Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt. An der Richtigkeit des Geständnisses besteht kein Zweifel.“ Dies trägt die Verurteilung nicht.
Aus dem Schuldprinzip folgt die Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen [6]. Diese Pflicht darf nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert werden. Es ist unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat [7].
Nach diesem Maßstab ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, denn das Landgericht hat es ausweislich der Urteilsgründe unterlassen, das Geständnis des Angeklagten einer Überprüfung zu unterziehen. Damit beruht seine Überzeugung nicht auf einer tragfähigen Grundlage.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 267/13
- BGBl.2009 I, S. 2353[↩]
- vgl. OLG Celle, Beschluss vom 27.09.2011 – 1 Ws 381/11, StV 2012, 141, 142 mit Anm. Meyer-Goßner; OLG München, Beschluss vom 17.05.2013 – 2 Ws 1149, 1150/12, StV 2013, 495, 499 f. mit Anm. Meyer-Goßner, StV 2013, 614; SK/Frisch, StPO, 4. Aufl., § 302 Rn. 32d; vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.2013 offen gelassen von BGH, Beschluss vom 27.10.2010 – 5 StR 419/10, NStZ 2011, 473; a.A. Niemöller NStZ 2013, 19, 22[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1064 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 195/12, NJW 2013, 3046, 3047 f.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 12.06.2008 – 5 StR 114/08, NStZ 2008, 646 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1060[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 15.04.2013 – 3 StR 35/13, StV 2013, 684, vom 06.08.2013 – 3 StR 212/13, StV 2013, 703 f. und vom 05.11.2013 – 2 StR 265/13[↩]