Steuerhinterziehung durch Unterlassen – Täterschaft und Teilnahme beim Zigarettenschmuggel

Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist1.

Steuerhinterziehung durch Unterlassen – Täterschaft und Teilnahme beim Zigarettenschmuggel

Beim Zigarettenschmuggel muss der Täter daher entweder zur Gestellung der Zigaretten gemäß Art. 38, 40 ZK bei der Einfuhr der Zigaretten in das Gebiet der Europäischen Union oder aber zur Abgabe einer Steuererklärung nach Verbringen der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen nach Deutschland gemäß § 19 Satz 2 und 3 TabStG aF verpflichtet sein.

Gemäß Art. 38, 40 ZK sind Waren bei der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union von demjenigen zu gestellen, der diese dorthin verbracht hat. Die Gestellungspflicht des Verbringers knüpft an die Herrschaft über die Ware bei der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union an. Daran fehlt es bei Personen, die die Zigaretten weder selbst in das Gebiet der Europäischen Union transportiert noch haben noch kraft Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf den Transport der Zigaretten hatten, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Fahrtroute, Ort und Zeit der Einfuhr) hätten bestimmen können2.

Als Verbringer sind auch die Personen anzusehen, die kraft ihrer Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug haben, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die Einzelheiten der Fahrt3 bestimmen4.

Entsteht die Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 1 TabStG aF aufgrund eines Verbringens der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen (vgl. § 12 TabStG aF) aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken nach Deutschland, hat der Steuerschuldner über die Tabakwaren unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben (§ 19 Satz 2 und 3 TabStG aF). Steuerschuldner und damit Erklärungspflichtiger ist gemäß § 19 Satz 2 TabStG aF, wer die Tabakwaren verbringt oder versendet sowie der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

Der Begriff des Verbringers i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG aF ist in gleicher Weise auszulegen wie bei Art. 38 Abs. 1 ZK5.

Um als Empfänger Besitz an den Tabakwaren zu erlangen – und damit zur Begründung einer Steuererklärungspflicht als Empfänger der Tabakwaren , reicht die bloße Mitwirkung am Umladen der Zigaretten nicht aus.

Allerdings erfüllt die Mitwirkung beim Umladen der Zigaretten den Tatbestadn der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 27 StGB).

Durch ihre Tatbeiträge haben die Umpacker zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben (hier: durch unbekannt gebliebene Täter) bei der Einfuhr der Tabakwaren in das Gebiet der Europäischen Union und von deutscher Tabaksteuer beim Verbringen der Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates nach Deutschland Hilfe geleistet. Im Zeitpunkt der Erbringung der Tatbeiträge waren die Haupttaten zwar vollendet, aber noch nicht beendet. Die Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei Einfuhr unter Verstoß gegen Gestellungspflichten bzw. die Hinterziehung von Tabaksteuer unter Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung gemäß § 19 Satz 3 TabStG aF ist erst beendet, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und „zur Ruhe gekommen“ sind. Maßgeblich für die Beendigung ist, ob die Tabakwaren die gefährliche Phase des Grenzübertritts passiert haben und der Verbringer sein Unternehmen erfolgreich abgeschlossen hat. In der Regel wird die Steuerhinterziehung daher erst beendet sein, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben. Werden die Tabakwaren auf dem Weg dorthin in einem Zwischenlager lediglich umgeladen, sind sie nicht „zur Ruhe gekommen“6. Hier waren die Zigaretten für den Verkauf in Großbritannien bestimmt, entsprechend wurde nach dem Umladen in Deutschland alsbald eine Spedition mit dem Weitertransport dorthin beauftragt.

Der Annahme einer Beihilfe auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer steht im hier entschiedenen Fall auch nicht entgegen, dass die Zigaretten nach Großbritannien gelangt sind und dort veräußert wurden.

Zwar wird nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.02.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren7 in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14.12 19928 geänderten Fassung eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden ist und sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, im Bestimmungsmitgliedstaat besteuert. Entsprechend ist die Tabaksteuer für Tabakwaren, die vorschriftswidrig in das Unionsgebiet eingeführt wurden und sich damit im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden, wenn sie – ggfs. durch weitere Durchgangsmitgliedstaaten (hier: Deutschland) – in einen anderen Mitgliedstaat (hier: Großbritannien) befördert und dort zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, im letztgenannten Mitgliedstaat zu erheben9. Die Erhebung der Verbrauchsteuer in einem oder sogar mehreren anderen Mitgliedstaaten ist nicht erforderlich, um Missbräuche oder Steuerhinterziehungen zu verhindern. Deutschland als Durchgangsmitgliedstaat kommt daher kein Erhebungsrecht für die Verbrauchsteuer zu10.

Durch den nachträglichen Übergang des Erhebungsrechts auf einen anderen Mitgliedstaat in dem Zeitpunkt, in dem die Waren zu gewerblichen Zwecken in diesen verbracht worden sind, wird jedoch die Strafbarkeit wegen bereits vollendeter Steuerhinterziehung in Deutschland nicht berührt. Eine hier vorliegende Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf das Unterbleiben der unverzüglichen Abgabe einer Steuererklärung (§ 19 Satz 2 und 3 TabStG aF) ist zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem bei rechtzeitiger Abgabe der Erklärung mit der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung zu rechnen gewesen wäre11. Dies wäre bei pflichtgemäßer Erfüllung der Erklärungspflicht erfolgt, noch während sich die Zigaretten im Inland befanden. Ist wie hier durch die unbekannt gebliebenen Täter ein Hinterziehungserfolg in dem vorgenannten Sinne herbeigeführt worden, entfällt dieser durch den späteren Wegfall des steuerrechtlichen Erhebungsrechts nicht nachträglich.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Staaten belastet sein dürfen12. Insoweit verbleibt in Fallgestaltungen wie der vorliegenden bei Durchleitung der Tabakwaren durch mehrere Mitgliedstaaten dem Erstverfolgungsstaat nach Maßgabe des § 370 Abs. 6 AO eine Wahlmöglichkeit, welche nationale Verbrauchsteuer er als Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung heranziehen will. Die Singularität des Erhebungsrechts schließt es aber aus, dass einem an einer Verbrauchsteuerhinterziehung Beteiligten im Erstverfolgungsstaat darüber hinaus auch die Hinterziehung von Verbrauchsteuern aller anderen betroffenen Mitgliedstaaten vorgeworfen werden kann.

Konkurrenzrechtlich liegt eine einheitliche Beihilfe vor. Die Angeklagten haben durch ihre Tatbeiträge sowohl zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben im Mitgliedstaat der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union als auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer, die zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen, Hilfe geleistet.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 521/14

  1. st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 mwN[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590[]
  3. z.B. Route, Ort, Zeitabfolge[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; BGH, Urteil vom 14.03.2007 – 5 StR 461/06, wistra 2007, 262[]
  5. BFH, Urteil vom 10.10.2007 – VII R 49/06, BFHE 218, 469; vgl. auch BGH, Urteil vom 14.03.2007 – 5 StR 461/06, NStZ 2007, 592; BGH, Beschluss vom 01.02.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590[]
  6. BGH, Urteil vom 14.03.2007 – 1 StR 461/06, wistra 2007, 262 mwN; Beschluss vom 08.07.2014 – 1 StR 240/14, wistra 2014, 486 mwN[]
  7. ABl. L 76, 1[]
  8. ABl. L 390, 124[]
  9. vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.2010 – C230/08 Rn. 114, Slg. 2010, – I S. 3799; Beschluss vom 08.03.2012 – C333/11[]
  10. EuGH, Urteil vom 05.03.2015 – C175/14, ZfZ 2015, 98[]
  11. vgl. nur BGH, Beschluss vom 08.07.2014 – 1 StR 240/14 Rn. 3, wistra 2014, 486 mwN[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 02.02.2010 – 1 StR 635/09, wistra 2010, 226, 227[]