Pausen in Bereithaltung – als Arbeitszeit

Pausenzeiten unter Bereithaltungspflicht stellen nicht automatisch Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG dar. Es bedarf vielmehr bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls der Prüfung, ob die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, die Zeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen1.

Pausen in Bereithaltung – als Arbeitszeit

§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Arbeitszeitrichtlinie 2014 über die Anrechnung von Ruhepausen auf die Arbeitszeit ist mit dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis von Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG nicht zu vereinbaren, weil die Anrechnung unter dem Vorbehalt ihrer Zulassung durch die zuständige Behörde gestellt und von dem Vorliegen besonderer Einsatzlagen abhängig gemacht wird.

Die Annahme, Pausen unter Bereithaltungspflicht stellten unionsrechtlich Arbeitszeit dar, steht in ihrer Absolutheit nicht mit Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie)2 in Einklang. Auch die weitere Annahme des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg3, der Beamte könne einen Ausgleich für die Inanspruchnahme über die nationalrechtlichen Arbeitszeitvorgaben hinaus auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs verlangen, ist mit den unionsrechtlichen Haftungsgrundsätzen nicht vereinbar.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass die Begriffe Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG und Ruhezeit i. S. d. Art. 2 Nr. 2 RL 2003/88/EG einander ausschließen; Zwischenkategorien wie „Bereitschaftszeit“ oder „Ruhepause“ sind in der Richtlinie nicht vorgesehen4. Die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause bei gleichzeitig geforderter Bereitschaft ist entweder als „Arbeitszeit“ oder als „Ruhezeit“ einzuordnen. Die „bloße“ Pflicht des Arbeitnehmers, sich während der Pausen zur Wiederaufnahme der Arbeit bereitzuhalten, führt entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aber nicht automatisch dazu, die Pausenzeit als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG zu qualifizieren.

Bereitschaftszeit ist grundsätzlich als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG einzuordnen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können5. Fehlt es aber an einer Verpflichtung, am Arbeitsplatz als dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zu bleiben, kann eine Bereitschaftszeit nicht automatisch als Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG eingestuft werden. Die nationalen Gerichte haben in diesem Fall bei Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob sich eine solche Einstufung daraus ergibt, dass dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen6. Dies ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegte Frist für die Aufnahme seiner Arbeit nur wenige Minuten beträgt und er deshalb in der Praxis weitgehend davon abgehalten wird, irgendeine auch nur kurzzeitige Freizeitaktivität zu planen. Dabei ist die Auswirkung einer solchen Reaktionsfrist im Anschluss an eine konkrete Würdigung zu beurteilen, bei der gegebenenfalls die übrigen dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen sowie die ihm während seiner Bereitschaftszeit gewährten Erleichterungen zu berücksichtigen sind7.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 09.09.20218 Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG in Bezug auf „Bereitschaft“ in Pausenzeiten dahin auszulegen, dass die einem Arbeitnehmer während seiner täglichen Arbeitszeit gewährte Ruhepause als Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während dieser Ruhepause auferlegten Einschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, einsatzbereit zu sein, von solcher Art sind, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränken, sich in der Pause zu entspannen und Tätigkeiten nach Wahl zu widmen. Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls gehören die Auswirkung der Reaktionsfrist, die Häufigkeit, aber auch die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Ruhepausen, die eine zusätzliche beschränkende Wirkung auf die Möglichkeit des Arbeitnehmers haben kann, die Zeit frei zu gestalten. Die sich daraus ergebende Ungewissheit kann ihn in Daueralarmbereitschaft versetzen. Die den Ruhepausen immanenten Einschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sind bei der Gesamtwürdigung dagegen außer Acht zu lassen.

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Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch und der unionsrechtliche Haftungsanspruch seien im Fall des Überschreitens der nationalrechtlichen wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 41 Stunden in Tatbestand und Rechtsfolge gleichgerichtet, ist mit Unionsrecht nicht vereinbar. Der unionsrechtliche Haftungstatbestand setzt nämlich voraus, dass gegen eine unionsrechtliche Norm verstoßen wird, die dem Geschädigten subjektive Rechte verleiht. Im Fall von Zuvielarbeit kommt es deshalb darauf an, ob ein Verstoß gegen die Bestimmung über die wöchentliche Höchstarbeitszeit in Art. 6 Buchst. b)) RL 2003/88/EG vorliegt. Diese Vorschrift verleiht dem Einzelnen ein subjektives Recht, das er unmittelbar mit dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch vor den nationalen Gerichten geltend machen kann. Mit der den Mitgliedstaaten vorgegebenen Obergrenze von 48 Stunden für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit soll jedem Arbeitnehmer ein Mindestanspruch zugutekommen9. Diese unionsrechtlich vorgegebene Obergrenze ist nicht mit der nationalrechtlich vorgesehenen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit identisch.

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall stellt sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Leistungsklage des Beamten ist begründet. Der Beamte hat einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für nicht auf die Arbeitszeit angerechnete Pausen in dem vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg tenorierten Umfang auf der Grundlage des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs.

Der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch setzt eine rechtswidrige Inanspruchnahme des Beamten über die höchstens zulässige Arbeitszeit hinaus voraus10. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der Beamte hat über die nationalrechtliche Arbeitszeitvorgabe hinaus Zuvielarbeit geleistet. Nach den das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat er die zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt. Darüber hinaus sind die ihm von der Dienstherrin nicht auf die Arbeitszeit angerechneten Pausenzeiten als Arbeitszeit anzuerkennen.

Zwar ist die Anrechnung dieser Pausenzeiten auf die Arbeitszeit nach § 87 Abs. 3 Satz 1 BBG i. V. m. § 5 Abs. 2 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes (Arbeitszeitverordnung – AZV) vom 23.02.200611 in der im streitgegenständlichen Zeitraum12 geltenden Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 11.12.201413 ausgeschlossen. Diese Regelung der Arbeitszeitverordnung verstößt jedoch gegen Unions- und Bundesrecht und hat deshalb außer Anwendung zu bleiben.

Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AZV 2014 werden Ruhepausen i. S. d. § 2 Nr. 3 AZV 2014 nicht auf die Arbeitszeit angerechnet, es sei denn, dass die Voraussetzungen des § 17a der Erschwerniszulagenverordnung mit der Maßgabe von monatlich mindestens 35 zu leistenden Nachtdienststunden gegeben sind (Nr. 1), oder dass die zuständige Behörde die Anrechnung bei operativen Tätigkeiten in Einsatzbereichen, in denen die ständige Einsatzfähigkeit gewährleistet werden muss, zum Ausgleich der damit verbundenen Belastungen zulässt (Nr. 2). Der Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014, der für den im streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Wechseldienst tätigen Beamten allein in Betracht kommt, war im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfüllt. Das als oberste Dienstbehörde zuständige Bundesministerium des Innern hat erst mit Erlass vom 09.05.201714 die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014 für den hier streitgegenständlichen Bereich zugelassen und diesem gemäß § 16 Satz 2 AZV 2014 mit Wirkung vom selben Tag die Befugnis zur Pausenanrechnung übertragen mit der Maßgabe, dass eine solche Anrechnung nur bei besonderen Einsatzlagen mit einer konkreten operativen, besonders belastenden Tätigkeit zulässig ist und ein Einsatz im Regeldienst nicht zu den für eine Anrechnung in Frage kommenden Einsatzbereichen zählt. Von der übertragenen Befugnis wurde im hier streitgegenständlichen Bereich seit dem 10.10.2017 Gebrauch gemacht. Der Beamte war jedoch ab diesem Zeitpunkt – wie schon zuvor – „nur“ im Regeldienst eingesetzt.

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Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014 ist mit Unionsrecht nicht zu vereinbaren. Sie beschränkt die nach dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG anzuerkennenden Zeiten, indem sie die ausnahmsweise Anrechnung von Pausen als Arbeitszeit unter den Vorbehalt der Zulassung durch die zuständige Behörde stellt und von dem Vorliegen besonderer Einsatzlagen abhängig macht.

Die Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie gelten auch für die hier streitgegenständliche Tätigkeit des Beamten. Sie ist vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Nach Art. 1 Abs. 3 RL 2003/88/EG gilt die Richtlinie unbeschadet ihrer Art. 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche i. S. d. Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12.06.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit15. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 89/391/EWG, wonach diese Richtlinie keine Anwendung findet, soweit den Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer anderer Tätigkeiten zwingend entgegenstehen, ist eng auszulegen. Ausgenommen sind nicht die Dienste als solche, sondern nur bestimmte besondere Tätigkeiten in diesen Sektoren, die unter außergewöhnlichen Umständen wahrgenommen werden, wie etwa Natur- oder Technologiekatastrophen, Attentate, schwere Unglücksfälle oder andere vergleichbare Ereignisse, deren Schwere und Ausmaß Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit des Gemeinwesens unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung in Frage gestellt wäre, wenn alle Vorschriften der Richtlinie beachtet werden müssten16. Dies schließt allerdings nicht aus, dass auch bestimmte Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes, selbst wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt werden, so spezifische Merkmale aufweisen können, dass ihre Art zwingend einer die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtenden Arbeitsplanung entgegensteht17.

Die hier streitgegenständliche Tätigkeit des Beamten ist nicht mit bestimmten Besonderheiten verbunden, die eine Ausnahme nach Art. 1 Abs. 3 RL 2003/88/EG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 89/391/EWG rechtfertigen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg geht es vorliegend um eine Tätigkeit unter normalen Bedingungen im Regeldienst. Sie weist keine spezifischen Merkmale auf, aufgrund derer sie ihrer Natur nach für eine Arbeitsplanung gemäß der Richtlinie 2003/88/EG nicht geeignet und damit unvereinbar wäre. Die regelmäßig zu erfüllende Aufgabe, Gewähr für die Gesundheit und das Leben der zu schützenden Person zu bieten, wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass ihnen in regelmäßigen Abständen nach einer bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden ein Recht auf Ruhepausen zusteht, was eine Personalrotation erfordert. Der Schutz ist zwar durchgängig, aber nicht durch ein und denselben Beamten sicherzustellen. Die Kosten, die dem Arbeitgeber dadurch entstehen, dass der Arbeitnehmer während der Ruhezeiten, die ihm gemäß der Richtlinie 2003/88/EG zu gewähren sind, ersetzt werden muss, rechtfertigt eine Nichtanwendung dieser Richtlinie nicht18.

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Der Umstand, dass die unter gewöhnlichen Bedingungen ausgeübte Tätigkeit des Beamten auch mit Einsätzen verbunden sein kann, die ihrer Natur nicht vorhersehbar sind und eine Gefahr für seine Sicherheit und Gesundheit darstellen, ist keine Besonderheit, die der Anwendung der Richtlinie RL 2003/88/EG entgegensteht19. Gleiches gilt im Hinblick auf den Umstand, dass während des Dienstes Zeiten des Leerlaufs oder pausenähnliche Phasen in einem den vorgeschriebenen Ruhepausen gleichen oder sogar größerem Umfang zur Verfügung stünden und der Beamte damit im aktiven Dienst unterdurchschnittlich in Anspruch genommen werde. Die Regelungen in Art. 17 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Buchst. b) RL 2003/88/EG ermöglichen es den Mitgliedstaaten gerade, einer solchen Situation Rechnung zu tragen. Danach kann im Wege von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern von der Regelung in Art. 4 RL 2003/88/EG über Ruhepausen abgewichen werden, sofern betroffene Arbeitnehmer in Diensten, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Personen und Sachen zu gewährleisten, gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten.

Zugleich ist die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014 nicht mit dem nationalrechtlichen Begriff der Arbeitszeit i. S. d. § 87 Abs. 1 und 2 BBG zu vereinbaren, zu deren Ausgestaltung durch Rechtsverordnung § 87 Abs. 3 Satz 1 BBG ermächtigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts20 entspricht der Begriff der Arbeitszeit im nationalen Arbeitszeitrecht der Beamten dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis und ist kontinuierlich an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union anzupassen20. Maßgebend hierfür ist der Wille des deutschen Gesetzgebers, der stets von einem einheitlichen Begriffsverständnis ausgegangen ist und keine unterschiedlichen Begriffsbestimmungen bei den arbeitsschutzrechtlichen und den sonstigen arbeitszeitrechtlichen Regelungen des Beamtenrechts angestrebt hat21.

Nach den Maßstäben, die der Europäische Gerichtshof zur Qualifizierung von Ruhepausen bei gleichzeitig geforderter Einsatzbereitschaft als Arbeitszeit i. S. d. Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG aufgestellt hat, und denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, sind die dem Beamten im streitgegenständlichen Zeitraum in Abzug gebrachten Ruhepausen als Arbeitszeit einzustufen. Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die dem Beamten in den Ruhepausen auferlegten Einschränkungen von solcher Art waren, dass sie objektiv gesehen ganz erheblich seine Möglichkeit beschränkten, sich in der Pause zu entspannen und Tätigkeiten nach eigener Wahl zu widmen.

Es liegt in der Sachgesetzlichkeit der übertragenen Aufgabe, dass der im unmittelbaren Personenschutz zu erbringende Dienst vom Alltag der zu schützenden Person abhängt. Der politische Aufgaben- und Verantwortungsbereich eines Personenschützers bringt es mit sich, dass die tägliche Terminplanung geändert wird, um auf unvorhergesehene Entwicklungen oder Ereignisse umgehend zu reagieren. In solchen Situationen war es Aufgabe des Beamten, den begleitenden Schutz unverzüglich sicherzustellen. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg oblag ihm die Dienstpflicht, lückenlosen Schutz zu gewährleisten. Aus der Pflicht zur ununterbrochenen Schutzgewähr folgt zugleich, dass den Beamten auch die Verpflichtung traf, im Bedarfsfall eine Pause zu beenden und sofort, d. h. ohne zeitliche Verzögerung, den Dienst wiederaufzunehmen.

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Einer ausdrücklichen Anordnung des Dienstherrn zur Reaktionsfrist im Bedarfsfall bedurfte es bei dieser Sachlage nicht. Dies liefe auf eine formalisierte Betrachtungsweise hinaus, die dem Ziel der Richtlinie 2003/88/EG zuwiderliefe, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, indem ihnen Mindestruhezeiten sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden22.

Die Pflicht, auch in Ruhepausen sofort einsatzbereit zu sein, und die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Pausen im Bedarfsfall haben den Beamten im unmittelbaren Personenschutzdienst objektiv gesehen ganz weitgehend davon abgehalten, die Ruhepausen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit (30 oder 45 Minuten) nach freiem eigenen Belieben verbringen zu können. Er musste seine Pause so gestalten, dass er nötigenfalls jederzeit unverzüglich den erforderlichen Schutz für den zu schützenden Personenkreis wiederaufnehmen konnte. Die Ungewissheit möglicher Pausenunterbrechungen, mögen sie auch selten oder die absolute Ausnahme sein, versetzten den Beamten in eine Art „Daueralarmbereitschaft“.

Ohne Erfolg bleibt auch in diesem Zusammenhang der Einwand, es müsse Berücksichtigung finden, dass dem Beamten während seines Dienstes Zeiten des Leerlaufs und damit pausenähnliche Phasen zur Verfügung gestanden hätten, etwa wenn sich die Beamten längere Zeit in nicht Terminen aufgehalten habe. Diese Umstände sind nicht als Erleichterung in die Gesamtwürdigung einzustellen. Dabei kann offen bleiben, ob der Gedanke der in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden Kompensation nur für solche Erleichterungen gilt, die dem Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeit, hier also innerhalb der Pausenzeit, gewährt werden23. Jedenfalls handelte es sich bei den während des Dienstes gegebenenfalls entstehenden Zeiten des Leerlaufs oder pausenähnlichen Phasen nicht um vom Dienstherrn regelhaft gewährte Erleichterungen. Sie entstanden lediglich zufällig nach den jeweiligen Gegebenheiten des Dienstes.

Die Zeiten im Innenschutz am 1.07.2016 sowie am 9. und 10.01.2018 sind als Arbeitszeit zu bewerten. Nach den das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (§ 137 Abs. 2 VwGO) war der Beamte an diesen Tagen als einziger Beamter für die Bewachung eingesetzt. Aufgrund seiner Dienstpflicht, lückenlos Schutz zu gewähren, hatte er daher gar keine Möglichkeit, eine 30- oder 45-minütige Ruhepause einzulegen und diese nach eigenen Interessen zu verbringen.

Die Voraussetzungen des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs sind dem Grunde nach ab April 2015 gegeben. Der Anspruch besteht nach dem Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung erst ab dem Monat, der auf die schriftliche Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Dienstherrn folgt24. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat dem Schreiben des Beamten vom 25.03.2015 nicht nur einen auf die Vergangenheit bezogenen Erklärungsinhalt beigemessen und es – im Hinblick auf das zum Ausdruck kommende generelle Begehren, Pausen unter Bereithaltung als Arbeitszeit anerkannt zu bekommen – auch als Geltendmachung für die Zukunft gewertet. Diese Würdigung entspricht den auch im öffentlichen Recht heranzuziehenden Auslegungsgrundsätzen des § 133 BGB und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch besteht seinem Umfang nach in einem Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 3 125, 34 €.

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Der primär auf angemessenen Ausgleich in Freizeit (1:1) gerichtete Anspruch hat sich mit der auf eigenen Antrag erfolgten Entlassung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis zum Dienstherrn in einen Anspruch auf Gewährung finanziellen Ausgleichs in Geld umgewandelt25. Die dem Beamten nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (§ 137 Abs. 2 VwGO) im streitgegenständlichen Zeitraum in Abzug gebrachten Pausenzeiten im Umfang von 9 330 Minuten sind auch finanziell in vollem Umfang auszugleichen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt die Richtlinie 2003/88/EG zwar nicht, dass ein rein mitgliedstaatlicher Ausgleichsanspruch für die Überschreitung der mitgliedstaatlich geregelten regelmäßigen Arbeitszeit eine bestimmte Höhe hat. Das Unionsrecht gebietet außerhalb eines Verstoßes gegen Art. 6 Buchst. b)) RL 2003/88/EG keine Gleichbehandlung von Voll- und Bereitschaftsdienst26. Hat der Gesetzgeber aber – wie hier – von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, bei der Vergütung eines Bereitschaftsdienstes Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise zu berücksichtigen, bleibt es bei einem vollen Ausgleich im Verhältnis 1:1.

Ein Abzug von fünf ausgleichslos zu leistenden Stunden monatlich ist (auch) im vorliegenden Fall des Überschreitens der nationalrechtlichen Arbeitszeitvorgaben nicht zulässig. Zwar sind Beamte grundsätzlich verpflichtet, in gewissem Umfang ausgleichslos Mehrarbeit zu leisten (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 BBG). Dies gilt jedoch nur bei rechtmäßiger Mehrarbeit, nicht aber bei rechtswidriger Zuvielarbeit, wenn der Beamte unrechtmäßig über die zulässige regelmäßige Arbeitszeit hinaus zum Dienst herangezogen wurde27.

Der Anspruch ist auch nicht um die Pausenzeiten „in Bereithaltung“ im Zeitraum vom 10.10.2017 bis zum 3.06.2018 zu kürzen. Dem Beamten kann nicht entgegengehalten werden, dass er es unterlassen hat, die Anrechnung dieser Zeiten auf die Arbeitszeit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014 ab dem 10.10.2017 zu beantragen. Dies folgt nicht bereits daraus, dass eine entsprechende Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB oder des § 254 BGB nicht in Betracht kommt, weil es sich bei dem beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt. Denn ob es dem aus § 242 BGB folgenden Anspruch ganz oder teilweise entgegensteht, dass der Betroffene nicht ihm in erster Linie mögliche und zumutbare primäre Ansprüche zur Durchsetzung seiner Rechte geltend gemacht hat, ist (auch) ein Aspekt, der im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu prüfen ist. Vorliegend kann dem Beamten aber nicht vorgehalten werden, die ab Oktober 2017 möglichen Anträge auf Anrechnung von Pausenzeiten nicht gestellt zu haben. Für Ruhepausen im Regeldienst bestand nach der für hier gemäß § 16 Satz 2 AZV 2014 maßgeblichen Erlasslage generell keine Möglichkeit der Zulassung einer Anrechnung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AZV 2014; auch das entsprechende Antragsformular sah hierfür keine Möglichkeit der Geltendmachung vor. Im Übrigen hätte die ausnahmsweise Zulassung der Anrechnung einzelner Ruhepausen auf die Arbeitszeit nicht dem Begehren des Beamten entsprochen, dass ihm Pausen unter Bereithaltung generell als Arbeitszeit angerechnet werden.

Die Höhe des Geldausgleichs bestimmt sich in Anlehnung an die im jeweiligen Zeitpunkt der Zuvielarbeit geltenden Sätze der Mehrarbeitsvergütung28.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. Oktober 2022 – 2 C 7.21

  1. wie EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-107/19[]
  2. ABl.EG L 299 S. 9[]
  3. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.05.2021 – 10 B 17.18[]
  4. EuGH, Urteile vom 03.10.2000 – C-303/98, Simap – NZA 2000, 1227 Rn. 47; vom 21.02.2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 55; und vom 09.03.2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 29[]
  5. EuGH, Urteile vom 09.09.2003 – C-151/02, Jaeger, Slg. 2003, I-8415 Rn. 63; vom 01.12.2005 – C-14/04, Dellas, Slg. 2005, I-10279 Rn. 48; und vom 21.02.2018 – C-518/15, Matzak – NJW 2018, 1073 Rn. 59[]
  6. EuGH, Urteile vom 09.03.2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 37, 45 und – C-580/19, Stadt Offenbach am Main – NZA 2021, 489 Rn. 45[]
  7. EuGH, Urteil vom 09.03.2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 48 f.[]
  8. EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy, NZA 2021, 1395 Rn. 37, 39 ff.[]
  9. EuGH, Urteil vom 25.11.2010 – C-429/09, Fuß – NZA 2011, 53 Rn. 47, 49[]
  10. vgl. BVerwG, Urteile vom 29.09.2011 – 2 C 32.10, BVerwGE 140, 351 Rn. 8; und vom 26.07.2012 – 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rn. 26[]
  11. BGBl. I S. 427[]
  12. vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 2 C 18.20, BVerwGE 172, 254 Rn. 16[]
  13. BGBl. I S. 2191, AZV 2014[]
  14. BMI, Erlass vom 09.05.2017 – ZI2-30105/2#2[]
  15. ABl. EG Nr. L 183 S. 1[]
  16. EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – C-397/01 u. a., Pfeiffer u. a., Slg. 2004, I-8835, Rn. 53 ff.; Beschluss vom 14.07.2005 – C-52/04, Personalrat der Feuerwehr Hamburg, Slg. 2005, I-7111, Rn. 42 sowie Urteil vom 30.04.2020 – C-211/19, Készenléti Rendörség – NZA 2020, 639 Rn. 42; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15.12.2011 – 2 C 41.10, NVwZ 2012, 641 Rn.20[]
  17. EuGH, Urteil vom 20.11.2018 – C-147/17, Sindicatul Familia Constan?a u. a. 68[]
  18. vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2003 – C-151/02, Jaeger – NZA 2003, 1019 Rn. 66 f.[]
  19. stRspr, vgl. etwa EuGH, Urteil vom 30.04.2020 – C-211/19, Készenléti Rendörség – NZA 2020, 639 Rn. 41, 48[]
  20. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 2 C 18.20, BVerwGE 172, 254 Rn. 29[][]
  21. vgl. BT-Drs. 16/7076 S. 121[]
  22. BVerwG, Beschluss vom 20.10.2020 – 2 B 36.20, Buchholz 451.90 Sonstiges Europäisches Recht Nr. 238 Rn. 21[]
  23. vgl. EuGH, Urteile vom 09.03.2021 – C-344/19, Radiotelevizija Slovenija – NZA 2021, 485 Rn. 49 und – C-580/19, Stadt Offenbach am Main – NZA 2021, 489 Rn. 48 f. sowie vom 09.09.2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy – NZA 2021, 1395 Rn. 36[]
  24. stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 26.07.2012 – 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rn. 26; und vom 19.04.2018 – 2 C 40.17, BVerwGE 161, 377 Rn. 24[]
  25. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.07.2012 – 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rn. 34[]
  26. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 2 C 18.20, BVerwGE 172, 254 Rn. 40, 46; vgl. auch EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-107/19, Dopravní podnik hl. m. Prahy – NZA 2021, 1395 Rn. 42[]
  27. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.07.2012 – 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rn. 31 in Abkehr von den Urteilen vom 28.05.2003 – 2 C 35.02, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 39 S. 9 und – 2 C 28.02, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 S. 5[]
  28. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.07.2012 – 2 C 29.11, BVerwGE 143, 381 Rn. 39[]
Weiterlesen:
Feuerwehrbeamte - und der Ausgleichsanspruch wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit

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