Wird weder ein Ladeschein noch ein Frachtbrief ausgestellt, kann der Beweis für die Anzahl der übergebenen Frachtstücke von dem nach Art. 17 Abs. 1 CMR Anspruchsberechtigten auch durch eine von dem Frachtführer oder seinem Fahrer ausgestellte Empfangsbestätigung (Übernahmequittung) geführt werden.

Der Frachtführer kann sich nicht darauf berufen, die Übernahmequittung habe keinerlei Beweiswert oder aber ihr Beweiswert sei erschüttert, weil sie „blind“ unterschrieben wurde, wenn der Unterzeichner der Empfangsbestätigung die Möglichkeit hatte, den Beladevorgang zu beobachten oder nach dessen Abschluss zumindest die Anzahl der Frachtstücke zu überprüfen.
Nach Art. 17 Abs. 1 CMR haftet der Frachtführer für den Verlust des Gutes, sofern der Verlust zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Die Übernahme setzt voraus, dass der Frachtführer willentlich selbst oder durch seine Gehilfen aufgrund eines wirksamen Frachtvertrages den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz an dem zu befördernden Gut erwirbt1. Die Übernahme setzt weiter den Willen des Absenders voraus, die Verfügungsgewalt über das Transportgut aufzugeben, und den Willen des Frachtführers, die Kontrolle daran zu übernehmen2.
Von einer Übernahme im Sinne des Art. 17 Abs. 1 CMR ist auszugehen, wenn die vom Absender vorzunehmenden Ladearbeiten abgeschlossen sind und der Fahrer entweder den Laderaum schließt oder das Gut derart in den Verantwortungsbereich des Frachtführers oder seiner Erfüllungsgehilfen gelangt, dass er oder seine Gehilfen es vor Schäden bewahren können3.
Die Auftraggeberin ist für die Übernahme des in Rede stehenden Päckchens mit Carboplatin darlegungsund beweisbelastet4. Sie kann sich hierzu nicht auf die Beweisvermutung nach Art. 9 Abs. 2 CMR berufen. Nach dieser Bestimmung wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass die Anzahl der Frachtstücke und ihre Zeichen und Nummern mit den Angaben im Frachtbrief übereinstimmen, wenn dieser keinen mit Gründen versehenen Vorbehalt des Frachtführers aufweist. Diese Beweisvermutung greift aber nur ein, wenn ein den Vorschriften der Art. 5 und 6 CMR entsprechender Frachtbrief vorliegt5. Das ist hier nicht der Fall. Die Ladeliste ersetzt den Frachtbrief nicht.
Wurde weder ein Ladeschein noch ein Frachtbrief ausgestellt, kann der Beweis für die Anzahl der übergebenen Frachtstücke von dem nach Art. 17 Abs. 1 CMR Anspruchsberechtigten grundsätzlich auch durch eine von dem Frachtführer oder seinem Fahrer ausgestellte Empfangsbestätigung (Übernahmequittung) geführt werden6. Die formelle Beweiskraft einer solchen Empfangsbestätigung richtet sich nach § 416 ZPO. Ihre materielle Beweiskraft hängt ebenso wie bei der Quittung im Sinne von § 368 BGB – von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) und kann durch jeden Gegenbeweis, durch den die Überzeugung des Gerichts von ihrer inhaltlichen Richtigkeit erschüttert wird, entkräftet werden7. Der Beweis des Gegenteils ist nicht erforderlich8. Eine Erschütterung der Beweiskraft kommt in Betracht, wenn die Empfangsquittung Angaben enthält, die der Unterzeichnende ersichtlich oder erwiesenermaßen nicht bestätigen konnte9. Dementsprechend bezieht sich die Beweiskraft einer Empfangsquittung im Zweifel nicht auf den Inhalt einer verschlossenen Sendung6.
Kann der Frachtführer oder ein von ihm eingeschalteter Erfüllungsgehilfe bei der Übernahme die Anzahl der Güter kontrollieren, macht er von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch und quittiert er gleichwohl deren Zahl, so handelt er entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB widersprüchlich, wenn er sich später darauf beruft, die Übernahmequittung sei „blind“ erteilt worden10. In einem solchen Fall begründet die Übernahmequittung die widerlegliche Vermutung, dass die angegebene Stückzahl zutrifft11. Für dieses Ergebnis spricht die große Bedeutung, die der Übernahmequittung im Bereich des Transportwesens für den Nachweis der Übernahme des Gutes zukommt. Unterzeichnet der Frachtführer die Übernahmequittung, ohne die angegebene Stückzahl einer möglichen Kontrolle zu unterziehen, hält er den Absender regelmäßig davon ab, seinerseits die erforderlichen Beweise für die Übernahme des Gutes zu sichern.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Mai 2014 – I ZR 109/13
- vgl. zu § 425 HGB BGH, Urteil vom 12.01.2012 – I ZR 214/10, TranspR 2012, 107 Rn. 13 = VersR 2013, 251; zu Art. 17 CMR Koller, Transportrecht, 8. Aufl., Art. 17 CMR Rn. 4; Thume in Thume, CMR, 3. Aufl., Art. 17 Rn. 18; Boesche in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 17 CMR Rn. 9[↩]
- Thume aaO Art. 17 Rn. 18[↩]
- vgl. zu § 425 HGB BGH, TranspR 2012, 107 Rn. 13[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2002 – I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 158 = NJW-RR 2003, 754[↩]
- BGH, Urteil vom 09.02.1979 – I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 = VersR 1979, 466; Urteil vom 18.01.2001 – I ZR 256/98, TranspR 2001, 369 = NJW-RR 2001, 1253[↩]
- BGH, TranspR 2003, 156, 158[↩][↩]
- BGH, TranspR 2003, 156; BGH, Urteil vom 04.05.2005 – I ZR 235/02, TranspR 2005, 403 = NJW-RR 2005, 1557[↩]
- BGH, Urteil vom 13.07.1979 – I ZR 153/77, WM 1979, 1157[↩]
- BGH, Urteil vom 07.11.1985 – I ZR 130/83, TranspR 1986, 53, 56 = VersR 1986, 287[↩]
- vgl. OLG Hamm, TranspR 1992, 359, 360; OLG Karlsruhe, TranspR 2004, 468, 470; Bästlein/Bästlein, TranspR 2003, 413, 418[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 04.05.2005 – I ZR 235/02, TranspR 2005, 403, 404 = VersR 2006, 573[↩]