Die teilweise erfolgte Unfallregulierung – und die Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten

Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Wert des Beschwerdegegenstands nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen. Soweit diese Hauptforderung jedoch nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht um eine Nebenforderung.

Die teilweise erfolgte Unfallregulierung – und die Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten

Der Wert dieses Anteils ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der von den gesamten nach der Klagedarstellung vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen sind, die entstanden wären, wenn der Rechtsanwalt auch vorprozessual den Anspruch nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er Gegenstand der Klage geworden ist.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt der Kläger nach einem Verkehrsunfall die Haftpflichtversicherung sowie den Fahrer und Fahrzeughalter des unfallverursachenden Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch. Vertreten durch einen Rechtsanwalt machte der Kläger vorgerichtlich einen Sachschaden in Höhe von 1.053,91 € geltend, den die Haftpflichtversicherung in Höhe von 526,96 € regulierte. Die Kosten für die außergerichtliche Vertretung des Klägers durch den Rechtsanwalt wurden nicht beglichen. Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Zahlung weiterer 526, 96 € und die Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € (berechnet auf Grundlage der Geltendmachung von 1.053,91 €).

Weiterlesen:
Lärm im Treppenhaus

Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Cham hat die Klage abgewiesen1. Das Landgericht Regensburg hat die Berufung des Klägers zunächst durch Beschluss vom 16.10.2018 als unzulässig verworfen2. Der Bundesgerichtshof hat auf die Rechtsbeschwerde des Klägers den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen sowie zur Begründung ausgeführt, dass sich der für die rechtliche Überprüfung erforderliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel des Klägers der angefochtenen Entscheidung nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen3 .

Daraufhin hat das Landgericht Regensburg die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt, erneut als unzulässig verworfen und den Streitwert auf 581, 11 € festgesetzt4. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Berufung nicht zugelassen worden sei und der Rechtsmittelwert nach § 511 Abs. 2 ZPO nicht erreicht werde. Hinsichtlich der – über die begehrte Zahlung von 526,96 € hinausgehenden – vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren sei zu unterscheiden. Soweit diese auf die noch geltend gemachte Hauptforderung in Höhe von 526,96 € entfielen, handle es sich um eine nicht streitwerterhöhende Nebenforderung. Bei einem Streitwert von 526,96 € entspreche dies einem Betrag von 147,56 €. Nur soweit mit der Klage weitere, zuvor angefallene vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren aus einem Streitwert von 1.053,92 € geltend gemacht würden, handle es sich um eine weitere Hauptforderung. Diese entspreche 54,15 € (der Differenz zwischen 201,71 € und 147,56 €). Damit ergebe sich insgesamt ein Beschwerdewert von (526,96 € + 54,15 € =) 581, 11 €.

Weiterlesen:
Zivilprozessuale Wahrheitspflicht bei laufendem Strafverfahren

Die hiergegen gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig erhobene (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) Rechtsbeschwerde wurde jetzt vom Bundesgerichtshof als nicht begründet zurückgewiesen: Das Landgericht Regensburg habe, so der Bundesgerichtshof, rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht dabei den Wert des vom Kläger mit seiner Berufung weiterverfolgten Antrags auf Freistellung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht zu gering bemessen.

Die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands bei Rechtsmitteln richtet sich – wie sich aus § 2 ZPO ergibt – nach den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO5. Der geltend gemachte Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Wert des Beschwerdegegenstands (und entsprechend den Streitwert) nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen (§ 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO). Soweit diese Hauptforderung jedoch nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten nicht um eine Nebenforderung, weil es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt6. Danach erhöht die vom Kläger beantragte Freistellung von Rechtsanwaltskosten den Wert des Beschwerdegegenstands, soweit sie denjenigen Teil des vorprozessual in Höhe von 1.053, 91 € geltend gemachten Sachschadens betrifft, den die beklagte Haftpflichtversicherung vor Klageerhebung regulierte.

Weiterlesen:
Feindliches Grün - der Unfall an der Ampel

Das Berufungsgericht hat den Anteil der beantragten Freistellung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten, der den Wert des Beschwerdegegenstands (und entsprechend den Streitwert) erhöht, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu gering bewertet. Es hat zutreffend angenommen, dass der Wert dieses Anteils durch eine Differenzrechnung zu ermitteln ist, bei der von den gesamten nach der Klagedarstellung vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten diejenigen (fiktiven) Kosten abzuziehen sind, die entstanden wären, wenn der Rechtsanwalt auch vorprozessual den Anspruch nur in der Höhe geltend gemacht hätte, wie er Gegenstand der Klage geworden ist7.

Denn entsprechend ist nicht nur der Wert des Prozesskostenanteils zu ermitteln, der auf den einseitig für erledigt erklärten Teil eines Rechtsstreits entfällt8. Bei einer Teilerledigungserklärung ist eine solche Differenzrechnung auch hinsichtlich der vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten durchzuführen9.

Es ist nicht ersichtlich, warum die Wertermittlung bei behauptetem teilweisen Erlöschen der (Haupt-)Forderung vor Klageerhebung (wie im vorliegenden Fall) anders erfolgen sollte als bei behauptetem teilweisen Erlöschen der (Haupt-)Forderung nach Klageerhebung und anschließender Teilerledigungserklärung. Im Übrigen weist die Rechtsbeschwerde zwar zutreffend darauf hin, dass dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen ist, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht10, und dass bei einer nicht begründeten Zuvielforderung keine anteilige Kürzung erfolgt, die wegen der degressiven Gebührensteigerung zu geringeren ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten führen würde11. Aus diesem materiellrechtlichen Maßstab können jedoch keine Schlüsse zur Abgrenzung sowie anteiligen Bewertung von Haupt- und Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO gezogen werden. Schließlich ist die mögliche Auswirkung, „dass sich der Wert […] im Laufe des Verfahrens beliebig durch Klageerweiterungen oder -rücknahmen ändern könnte“, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein „unerträgliche[s] Ergebnis“ der Differenzberechnung. Vielmehr ist es nicht ungewöhnlich, dass Klageerweiterungen und -rücknahmen Auswirkungen auf Beschwerde- und Streitwert haben.

Weiterlesen:
Geschädigte VW-Käufer - und keine Deliktszinsen

Danach liegt auch kein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren vor, da das Berufungsgericht dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert hat.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. Juli 2020 – VI ZB 66/19

  1. AG Cham, Urteil vom 01.08.2018 – 8 C 121/18[]
  2. LG Regensburg, Beschluss vom 16.10.2018 – 23 S 162/18[]
  3. BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – VI ZB 48/18[]
  4. LG Regensburg, Beschluss vom 30.09.2019 – 23 S 162/18[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, NJW 2019, 1531 Rn. 12[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.05.2014 – VI ZB 49/12, NJW 2014, 3100 Rn. 5 f.; vom 17.02.2009 – VI ZB 60/07, VersR 2009, 806 Rn. 4 ff.[]
  7. vgl. KG, Beschluss vom 18.02.2008 – 2 AR 7/08, DAR 2008, 431 12 [Streitwert]; Feldmann, r+s 2016, 546, 551; Herget, in: Zöller, ZPO 33. Aufl., § 4 Rn. 13; a.A. LG Saarbrücken, Urteil vom 01.06.2018 – 13 S 151/17, NJW-RR 2018, 1339 Rn. 22 [Streitwert]; Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 43 GKG Rn. 29 ff.; ders., AGS 2018, 407, 408; Wern, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 40 Rn. 26; offen OLG Braunschweig, Beschluss vom 26.11.2019 – 1 W 82/19, NJW-RR 2020, 317 Rn. 14 ff. [Streitwert][]
  8. vgl. BGH, Beschlüsse vom 31.03.2020 – XI ZR 577/18 4; vom 27.09.2017 – VIII ZR 100/17, AGS 2018, 124 2; vom 02.02.2016 – XI ZR 138/15 3; vom 02.06.2015 – XI ZR 323/14, juris; vom 28.01.2010 – III ZR 47/09 5; vom 13.07.2005 – XII ZR 295/02, NJW-RR 2005, 1728 10; vom 25.09.1991 – VIII ZR 157/91, WM 1991, 2009 3 f.; vom 13.07.1988 – VIII ZR 289/87, NJW-RR 1988, 1465 4; siehe weiter BGH, Beschluss vom 18.09.2018 – VI ZB 26/17, NJW-RR 2019, 189 Rn. 7[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – VIII ZR 100/17, AGS 2018, 124 3 [Streitwert][]
  10. vgl. BGH, Urteile vom 05.12.2017 – VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Rn. 2, 7 f.; vom 09.01.2018 – VI ZR 82/17, NJW 2018, 937 Rn. 2 ff., 9 f.[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 07.11.2007 – VIII ZR 341/06, NJW 2008, 1888 Rn. 10, 13; Schneider, AnwBl 2008, 282; Enders, JurBüro 2008, 169[]
Weiterlesen:
Mercedes im Abgasskandal – und die verbraucherfreundlichen Urteile

Bildnachweis: