Kein Schmerzensgeld vom Anwalt (außer vom Strafverteidiger)

Die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages, der nicht den Schutz der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB (also den Schutz des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung) zum Gegenstand hat, begründet in der Regel keinen Schmerzensgeldanspruch.

Kein Schmerzensgeld vom Anwalt (außer vom Strafverteidiger)

Ein Rechtsanwalt ist innerhalb der Grenzen des ihm erteilten Mandats verpflichtet, seinen Auftraggeber umfassend und erschöpfend zu belehren, um ihm eine eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidung darüber zu ermöglichen, wie er seine Interessen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung bringen will1.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ist § 253 Abs. 2 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 20022, der mit Wirkung zum 1. August 2002 die Vorschrift des § 847 BGB ersetzt hat. Die Neuregelung fasst den Anwendungsbereich der Ersatzpflicht für immaterielle Schäden erheblich weiter. Sie sieht sowohl bei der Vertragshaftung als auch bei der Gefährdungshaftung den Ersatz immaterieller Schäden vor, während diese Bereiche früher nicht mit umfasst waren3. Deshalb schließt nunmehr auch die vertragliche Haftung des rechtlichen Beraters aus § 675 Abs. 1 in Verbindung mit § 280 Absatz 1 BGB einen Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) mit ein4.

Nach dem – bestrittenen – Vortrag der Klägerin, den das Oberlandesgericht Frankfurt seiner Beurteilung im Berufungsurteil5 zugrunde gelegt hat, ist bei der Klägerin sowie ihrem Ehemann ein Nichtvermögensschaden entstanden. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, sie habe aufgrund der fehlerhaften Beratung angenommen, für die Sanierung des Hauses 600.000 € zahlen zu müssen, was für sie und ihre Familie existenzbedrohend gewesen wäre. Bis zum Anwaltswechsel im Juni 2003 habe sie in jeder Nacht stundenlange Schlaflosigkeit, dauernde schwere Erschöpfungszustände sowie Zustände von Verzweiflung, Mutlosigkeit, Dauerpanik und seelischer Auflösung erlitten. In abgeschwächter Form hat sie dies auch für ihren Ehemann behauptet. Eine äquivalente und adäquate (Mit-)Verursachung der geltend gemachten körperlichen und psychischen Beeinträchtigung durch die fehlerhafte Beratung lässt sich unter diesen Umständen nicht verneinen. Nach dem behaupteten Ausmaß der Belastungen handelt es sich nicht mehr um geringfügige Einwirkungen ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung, wie sie etwa bei für das Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens aufkommen können und die im Einzelfall weder unter dem Blickpunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion ein Schmerzensgeld als billig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 1992 – VI ZR 120/91, NJW 1992, 1043; vom 27. Mai 1993 – III ZR 59/92, NJW 1993, 2173, 2175 insoweit in BGHZ 122, 363 nicht abgedruckt)). Es ist auch davon auszugehen, dass die beschriebenen Beeinträchtigungen trotz der „Vorschädigung“ auf Grund des Brandgeschehens letztlich erst durch die anwaltliche Fehlinformation ausgelöst worden sind.

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Die Kriterien der äquivalenten und adäquaten Verursachung führen nicht in allen Fällen zu einer sachgerechten Eingrenzung der Haftung für schadensursächliches Verhalten. Dem Anspruchsgegner darf deshalb nur der Schaden zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm eingetreten ist. Diese Wertung gilt auch im Vertragsrecht. Die Haftung des Schädigers ist dort durch den Schutzzweck der verletzten vertraglichen Pflicht beschränkt. Dies bedeutet für den Bereich der Anwalts- (und Steuerberater)haftung, dass der Berater vertraglich nur für solche Nachteile einzustehen hat, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat6. Der Schutzzweck der Beratung ergibt sich hierbei aus dem für den Anwalt erkennbaren Ziel, das der Mandant mit der Beauftragung verfolgt, und ist objektiv aus Inhalt und Zweck der vom Anwalt geschuldeten Tätigkeit zu bestimmen7. Nach diesen Grundsätzen scheidet ein Schmerzensgeldanspruch aus.

Nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht kommt im Rahmen der vertraglichen Anwaltshaftung ein Schmerzensgeldanspruch aus § 253 Abs. 2 BGB nur dann in Betracht, wenn der Schutz der in dieser Bestimmung genannten Rechtsgüter des Mandanten in den Bereich der vom Anwalt übernommenen Pflichten fällt. Dies wird etwa bejaht, wenn der Mandant infolge eines Fehlers seines Verteidigers in Haft genommen oder ihm die beantragte Haftverschonung versagt wird8. Für den Regelfall wird dagegen angenommen, dass ein Anwaltsauftrag nicht auf die Wahrnehmung oder Förderung eines Interesses zur Wahrung der Körperintegrität oder Gesundheit gerichtet ist9 und durch Beratungsfehler verursachte Gesundheitsschäden deshalb keinen Schmerzensgeldanspruch des Mandanten begründen können10. Diese Auffassung schließt an die zu § 847 BGB ergangene Rechtsprechung an, nach der Gesundheitsschädigungen von Mandanten infolge anwaltlicher Fehler bei der Rechtsberatung und Rechtsvertretung außerhalb des Schutzzwecks der Anwaltshaftung liegen und deshalb keinen Schmerzensgeldanspruch auslösen können11.

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Der Literaturmeinung ist im Ausgangspunkt zuzustimmen. Die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages, der nicht den Schutz der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB zum Gegenstand hat, kann nicht Grundlage eines Schmerzensgeldanspruchs sein. Die Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB schließt es nicht von vornherein aus, die Haftung aus dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm für immaterielle Schäden einzuschränken. Die Grundsätze über den Schutzzweck der verletzten vertraglichen Pflicht gelten für das gesamte Schadensersatzrecht und lassen sich nicht auf den Bereich von Vermögensschäden beschränken. Sie sind auch im Rahmen der vertraglichen Anwaltshaftung zu berücksichtigen12. Die von der Revision befürchtete Privilegierung des Anwaltstandes scheidet auch deshalb aus, weil bei der Berücksichtigung der Grundsätze über den Schutzzweck wie auch bei anderen Schuldverhältnissen zu prüfen ist, ob das in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführte und verletzte Rechtsgut in den Schutzbereich der im Einzelfall übernommenen Vertragspflicht fällt.

So kann etwa im Bereich der Strafverteidigung das in § 253 Abs. 2 BGB genannte Rechtsgut der Freiheit in den Schutzzweck der verletzten Pflicht fallen. In Betracht kann dies kommen, wenn ein Verteidiger den aussichtsreichen Antrag auf Verlegung eines Termins zur Hauptverhandlung unterlässt und sein Mandant infolgedessen nach Ausbleiben im Termin in Untersuchungshaft genommen wird13. Gleiches wird zu gelten haben, falls infolge eines Fehlers des Anwalts die beantragte Haftverschonung versagt wird14. Entsprechende Erwägungen kommen ferner für Mandate bei Unterbringungsmaßnahmen und sonstigen auf Freiheitsentziehung gerichteten Verfahren in Betracht.

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Eine vertragliche Verpflichtung auf Ersatz des Nichtvermögensschadens kann sich schließlich bei Verletzung einer Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) er-geben. Unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht ist der Anwalt etwa gehalten, seine Kanzleiräume so einzurichten und zu unterhalten, dass sich seine Mandanten keine Körper- oder Gesundheitsschäden zuziehen15. Bei unzureichender Verkehrssicherung kann deshalb im Verletzungsfalle die Zuerkennung eines Schmerzensgelds in Frage kommen, ohne dass es einer unerlaubten Handlung bedarf16.

Hiervon unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung. Der geltend gemachte Anwaltsfehler betrifft eine Hauptpflicht der Beklagten. Er bezieht sich auf einen vorgerichtlichen Beratungsauftrag, der eine vermögensrechtliche Angelegenheit zum Gegenstand hatte, nämlich Zahlungs- und Schadensersatzansprüche Dritter abzuwehren. Das Mandat betraf ausschließlich die Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen der Klägerin und ihres Ehemanns im Zusammenhang mit den Folgen, die sich aus dem durch die Kinder verursachten Brand des angemieteten Wohnhauses ergaben. Der Inhalt des Vertrages war auf die Erteilung ordnungsgemäßer Rechtsauskünfte in diesem vermögensrechtlichen Bereich gerichtet. Der Schutz der Gesundheit der Mandanten gehörte hingegen nicht zu den von den Beklagten übernommenen Pflichten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2009 – IX ZR 88/08

  1. BGHZ 171, 261, 263 f Rn. 9 f; BGH, Urteile vom 13. März 2008 – IX ZR 136/07, WM 2008, 1560, 1561 Rn. 14 f, vom 15. Januar 2009 – IX ZR 166/07, WM 2009, 571, 572 Rn. 10; Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 483[]
  2. BGBl I 2674[]
  3. BAG NZA 2007, 262, 264 f Rn. 23 f; Palandt/Heinrichs, BGB 68. Aufl. § 253 Rn. 8; Wagner NJW 2002, 2049, 2055[]
  4. Fischer, in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, aaO Rn. 1092; Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. Rn. 769; Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl. § 20 Rn. 43; Zugehör, Grundsätze der zivilrechtlichen Haftung der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Rn. 103[]
  5. OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 30.04.2008 – 4 U 176/07[]
  6. BGHZ 116, 209, 212; 163, 223, 230; BGH, Urt. v. 26. Juni 1997 – IX ZR 233/96, NJW 1997, 2946, 2947; v. 6. Februar 2002 – III ZR 206/01, NJW 2002, 2459, 2460; v. 13. Februar 2003 – IX ZR 62/02, WM 2003, 1621, 1622; v. 18. Januar 2007 – IX ZR 122/04, WM 2007, 567, 568 Rn. 8; v. 15. Januar 2009 – IX ZR 166/07, aaO Rn. 9; Fischer, in Zugehör/Fischer/ Sieg/Schlee, aaO Rn. 1033; Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 756 f[]
  7. BGH, Urteil vom 26. Juni 1997 – IX ZR 233/96, aaO[]
  8. Fischer, in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, aaO Rn. 1092; Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 769; Chab AnwBl 2005, 497, 498[]
  9. Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 766; Fischer, in Zugehör/Fischer/ Sieg/Schlee, aaO Rn. 1033, 1035 Fallgestaltung 7[]
  10. Vollkommer/Greger/Heinemann, aaO; Chab, BRAK-Mitt. 2008, 158, 159[]
  11. OLG Hamm NJW-RR 2001, 1142, 1143; OLG Braunschweig, Urteil vom 2. November 2000 – 2 U 13/00, n.v., mit Anmerkung Borgmann BRAK-Mitt. 2001, 290[]
  12. BGHZ 163, 223, 230; BGH, Urteile vom 26. Juni 1997 – IX ZR 233/96, aaO; vom 13. Februar 2003 – IX ZR 62/02, aaO; vom 18. Januar 2007 – IX ZR 122/04, aaO[]
  13. vgl. KG NJW 2005, 1284, 1285, zu § 847 BGB; Chab BRAK-Mitt. 2008 aaO; allgemein für den Fall der Freiheitsentziehung auch Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 769[]
  14. Fischer, in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, aaO Rn. 1092[]
  15. Zugehör, Beraterhaftung nach der Schuldrechtsreform Rn. 150[]
  16. vgl. Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 766[]
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