Rücktritt vom Prozessvergleich

Ein Rücktritt von einem Prozessvergleich nach § 323 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass es sich bei diesem um einen gegenseitigen Vertrag handelt. Ein gegenseitiger Vertrag liegt nicht allein schon deshalb vor, weil eine vergleichsweise Einigung nach § 779 Abs. 1 BGB „im Wege gegenseitigen Nachgebens“ erfolgt.

Rücktritt vom Prozessvergleich

Handelt es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Prozessvergleich nicht um einen gegenseitigen Vertrag iSd. § 323 BGB, scheidet ein Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB aus.

Ein gegenseitiger Vertrag iSd. § 323 Abs. 1 BGB liegt nicht schon deshalb vor, weil eine vergleichsweise Einigung nach § 779 Abs. 1 BGB „im Wege gegenseitigen Nachgebens“ erfolgt. Dieses tatbestandliche Erfordernis, das den Vergleich von solchen Rechtsgeschäften abgrenzt, die durch einseitiges Nachgeben zustande kommen – wie etwa ein Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB, begründet noch keinen gegenseitigen Vertrag iSd. § 323 Abs. 1 BGB1. Das gegenseitige Nachgeben erzeugt keine wechselseitig voneinander abhängigen Leistungspflichten, sondern betrifft als Mittel zur Beseitigung von Streit oder Ungewissheit allein das Zustandekommen des Vertrags2.

Ebenso kann der Vergleich nicht schon deshalb als gegenseitiger Vertrag gewertet werden, weil er regelmäßig nur die rein obligatorischen, gegenseitigen Verpflichtungen begründet, das Vergleichsergebnis durch entsprechende Vollzugsakte herbeizuführen, etwa durch ein nachfolgendes Anerkenntnis iSd. § 781 Abs. 1 BGB oder durch den Erlass einer Forderung iSd. § 397 Abs. 1 BGB3. Beschränkt sich der Vergleich auf die Regelung einzelner zwischen den Parteien strittiger Punkte des Ausgangsrechtsverhältnisses ohne weitere, darüber hinausgehende Leistungspflichten zu begründen, fehlt es nämlich regelmäßig an einem gegenseitigen Vertrag iSd. § 323 BGB4. Das gilt namentlich dann, wenn sich der Vergleich auf die Feststellung einer in Streit geratenen Leistungspflicht einer der beiden Parteien beschränkt5. In der Folge scheidet dann ein Rücktritt vom Vertrag nach § 323 Abs. 1 BGB aus.

Die Annahme eines gegenseitigen Vertrags bei einem Vergleich setzt zumindest voraus, dass der Vergleich sich nicht auf die Feststellung einzelner Inhalte eines insoweit streitigen Rechtsverhältnisses beschränkt, sondern zusätzlich eine Leistung oder Verpflichtung zum Inhalt hat, die synallagmatisch mit der des anderen Teils verknüpft ist6. Dann ist ein Rücktritt vom Vergleich nach § 323 Abs. 1 BGB möglich7.

Ausgehend von dem vorstehenden Maßstab handelt es sich bei dem im vorliegenden Fall zwischen den Parteien vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleich nicht um einen gegenseitigen Vertrag iSd. § 323 Abs. 1 BGB:

Der Vergleich beschränkt sich nach seinem Inhalt auf die Feststellung der in Streit geratenen Vergütungspflicht der Beklagten aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis, insbesondere der maßgebenden Berechnungsgrundlage (BAT-O oder TVöD/VKA). Sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2 und Nr. 3 des Vergleichs treffen die Parteien eine vergleichsweise Regelung über den Umfang der streitigen Vergütungspflicht der Beklagten. Dies erfolgt einerseits bezogen auf die Vergangenheit (Nr. 1 des Vergleichs) und andererseits für die zukünftig fällig werdende Vergütung ab Beginn des Jahres 2009 (Nr. 2 und 3 des Vergleichs).

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus dem Umstand, dass der Vergleich in Nr. 2 die wöchentliche Arbeitszeit von 28, 5 Stunden aufführt. Hier handelt es sich nicht um die Festlegung über den Umfang einer zwischen den Parteien streitigen wöchentlichen Arbeitszeit. Zwischen den Parteien war ausschließlich die Höhe des Entgeltanspruchs der Klägerin ungeklärt. Es handelt sich ersichtlich nur um die Benennung der maßgebenden Berechnungsgröße für die im Vergleich erfolgte Entgeltberechnung.

Selbst wenn man – wie das Landesarbeitsgericht – davon ausgehen würde, die Klägerin habe auf einen ggf. bestehenden höheren Entgeltanspruch für einen der beiden Zeiträume verzichtet (Erlass im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB) und damit liege eine mögliche Leistungsverpflichtung im sinne des § 323 Abs. 1 BGB vor8, fehlt es an einer neu begründeten Leistungspflicht der Beklagten, die diese mit Rücksicht auf eine etwaige Verpflichtung der Klägerin übernommen hat.

Ein Rücktritt ist auch nicht deshalb möglich, weil durch den Vergleich, wie die Klägerin in der Berufungsinstanz angeführt hat, „die Leistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag abschließend geregelt“ worden sind. Eine solche Vereinbarung über die beiderseitigen Leistungspflichten – und damit einen gegenseitigen Vertrag iSd. § 323 Abs. 1 BGB – haben die Parteien nicht getroffen.

Zwar ist es möglich, im Rahmen eines Vergleichs beiderseitige Leistungspflichten neu zu begründen, sodass ihm eine schuldumschaffende Wirkung zukommen kann. Ein Vergleich ändert das ursprüngliche Schuldverhältnis aber regelmäßig nur insoweit, als in ihm streitige oder ungewisse Punkte geregelt werden. Im Übrigen bleibt das ursprüngliche Rechtsverhältnis nach Inhalt und Rechtsnatur unverändert fortbestehen. Dies gilt grundsätzlich auch für Prozessvergleiche. Ein neuer Schuldgrund wird nur bei einem durch Auslegung zu ermittelnden entsprechenden Parteiwillen geschaffen9.

Ein solcher Wille zur Novation ist schon nach dem Wortlaut des Vertrags nicht erkennbar. Die Parteien haben mit dem Vergleich die zwischen ihnen streitige Vergütungsverpflichtung der Beklagten geregelt. Weitergehende Anhaltspunkte, hier solle darüber hinaus – schuldumschaffend – das gesamte Arbeitsverhältnis auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden, lassen sich weder dem Wortlaut des Vergleichs noch den Begleitumständen entnehmen. Der Rechtsstreit zwischen den Parteien, dessen Beilegung der Vergleich diente, wurde ausschließlich über die Höhe des Entgelts und dessen maßgebende Berechnungsgrundlage geführt. Gegen eine schuldumschaffende Wirkung des Vergleichs spricht darüber hinaus der Umstand, dass die Parteien sich in Nr. 3 Satz 2 des Vergleichs auf den Arbeitsvertrag vom 04.01.2005 beziehen und auf dessen Regelungsgehalt hinsichtlich eines nicht (mehr) bestehenden Anspruchs auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld lediglich „klarstellend“ hinweisen, ihn aber nicht zum Inhalt des Vergleichs machen und deshalb von dessen Fortbestand ausgehen10.

Der – nach Ablauf der vereinbarten zweiwöchigen Widerrufsfrist (§ 158 Abs. 2 BGB) – erklärte Rücktritt hat daher auf den Bestand des Vergleichs und die damit verbundene Wirkung der Prozessbeendigung keinen Einfluss, weil er unwirksam ist. Deshalb kann es dahinstehen, ob im Falle eines wirksamen, auf ein gesetzliches Rücktrittsrecht gestützten Rücktritts der ursprüngliche Rechtsstreit fortzusetzen ist oder die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs unberührt bleibt11.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. August 2014 – 4 AZR 999/12

  1. MünchKomm-BGB/Habersack 6. Aufl. § 779 Rn. 26 mwN auch zu den teilweise abw. Auff.; Staudinger/Marburger BGB Stand 2009 § 779 Rn. 40; offengelassen in BGH 12.12 1991 – IX ZR 178/91 – BGHZ 116, 319[]
  2. Bork Der Vergleich S. 176 mwN; ders. AcP 194 (1994) 419, 424; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 49 mwN[]
  3. MünchKomm-BGB/Habersack § 779 Rn. 36; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 40 f., 49; anders noch in jüngerer Zeit Schäfer Das Abstraktionsprinzip beim Vergleich S. 96 ff., 105 ff., 204 ff.; dazu abl. Bork AcP 194 (1994), 419, 420 ff.[]
  4. zum Kriterium des funktionellen Synallagmas s. nur Staudinger/Otto/Schwarze Stand 2009 Vorbem. zu §§ 320 – 326 Rn. 26 ff.[]
  5. Bork in jurisPK-BGB 6. Aufl. § 779 Rn. 22 m. Fn. 113; MünchKomm-BGB/Habersack § 779 Rn. 36; Staudinger/Marburger § 779 Rn. 42; jeweils mwN[]
  6. s. auch Staudinger/Marburger § 779 Rn. 51 mwN; so auch MünchKomm-BGB/Habersack § 779 BGB Rn. 36: „erbrachter Rechtsverzicht und noch zu erbringende Leistung“, sowie Rn. 37; Reinfelder NZA 2013, 62, 63 m. Fn. 16[]
  7. zum möglichen Rücktritt bei beiderseitig neu begründeten Leistungspflichten etwa BGH 7.03.2002 – IX ZR 293/00, zu II 5 der Gründe; 12.12 1991 – IX ZR 178/91, zu II 2 a und b der Gründe, BGHZ 116, 319; vgl. auch Reinfelder NZA 2013, 62 f., für einen Prozessvergleich, der einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung zur Verfügung hat; s. auch BAG 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, Rn. 18 mwN, BAGE 139, 376; 10.11.2011 – 6 AZR 342/10, Rn. 23 mwN, für eine außergerichtliche Vereinbarung[]
  8. so wohl MünchKomm-BGB/Habersack § 779 Rn. 36; anders Staudinger/Marburger § 779 Rn. 49, 42 f.: reines Verfügungsgeschäft[]
  9. s. BGH 23.06.2010 – XII ZR 52/08, Rn. 15 mwN[]
  10. s. auch die Wertung in BGH 7.03.2002 – III ZR 73/01, zu II 1 c der Gründe[]
  11. vgl. dazu BAG 5.08.1982 – 2 AZR 199/80, zu B II 3 e und 4 der Gründe, BAGE 40, 17; 11.07.2012 – 2 AZR 42/11, Rn. 14; jeweils mwN[]