Zivilrecht im August 2015

AugustDas war das Zivilrecht im August 2015:

Wohnungskauf beim Mitternachtsnotar

Nimmt der Notar die Beurkundung trotzdem vor, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Käufer, wenn der Notar die Beurkundung abgelehnt hätte, diese nach Ablauf der Regelfrist genauso wie geschehen hätte vornehmen lassen.

Nach § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG in der bis zum 30.09.2013 geltenden und für die streitgegenständliche Beurkundung maßgeblichen Fassung des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23.07.20021 soll der Notar bei Verbraucherverträgen darauf hinwirken, dass der Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhält, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen; bei Verbraucherverträgen, die der Beurkundungspflicht nach § 311b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BGB unterliegen, geschieht dies in der Regel dadurch, dass dem Verbraucher der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts zwei Wochen vor der Beurkundung zur Verfügung gestellt wird.

Diese Vorgaben hat der Notar in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Haftungsfall nicht eingehalten. Ein rechtfertigender Anlass, bereits am 14.10.2006 die Beurkundung vorzunehmen, bestand nicht. Die vom Notar in den notariellen Vertrag aufgenommene Verzichtserklärung des Wohnungskäufers ist insoweit nach der Bundesgerichtshofsrechtsprechung ohne Bedeutung2.

Die nach § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG einzuhaltende Regelfrist von zwei Wochen zwischen der Zurverfügungstellung des Vertragsentwurfs und der Beurkundung steht in einem Spannungsverhältnis zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BNotO. Denn nach dieser Vorschrift darf der Notar seine Urkundstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund verweigern. Den Beteiligten steht insoweit ein Anspruch auf die Amtstätigkeit des Notars zu.

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Dieses Spannungsverhältnis ist mit dem Gesetzeszweck des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG aufzulösen. Dem Gesetzgeber stand bei der Neuregelung des § 17 Abs. 2a Satz 2 BeurkG vor Augen, dass die Möglichkeiten der Aufklärung durch den Notar anlässlich einer Beurkundung nicht ausreichend genutzt werden, wenn Verbraucher unvorbereitet zum Notartermin erscheinen. Nicht selten würden Terminsabsprachen sehr kurzfristig erfolgen und die Beurkundung dann vorgenommen werden, ohne dass sich der Verbraucher mit dem Text des beabsichtigten Rechtsgeschäfts vertraut machen und sich überlegen könne, welche Fragen er an den Notar richten wolle. Oft erfahre der Verbraucher auch erst im Notartermin, dass der Notar einige für ihn ausschlaggebende Fragen gar nicht zu prüfen habe. Viele Verbraucher scheuten sich dann, einen Termin „platzen zu lassen“. Im Ergebnis bleibe dann das Aufklärungspotenzial des Beurkundungsverfahrens ungenutzt3.

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist der Zweck des Gesetzes, den Verbraucher vor unüberlegtem Handeln zu schützen, regelmäßig erreicht, wenn er nach Mitteilung des Textes des beabsichtigten Rechtsgeschäfts eine Überlegungsfrist von zwei Wochen hat. Diese Frist ist als Regelfrist ausgestaltet; sie kann im Einzelfall unterschritten werden, in besonderen Fällen kann aber auch ein Überschreiten dieser Frist geboten sein4. Durch diese flexible Ausgestaltung kann und soll zwar (auch) vermieden werden, dass sich die Zwei-Wochen-Frist als unnötige „Beurkundungssperre“ auswirkt. Andererseits darf der Gedanke des Verbraucherschutzes nicht in den Hintergrund treten. Ein Abweichen von der Regelfrist kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall nachvollziehbare Gründe – auch unter Berücksichtigung der Schutzinteressen des Verbrauchers – es rechtfertigen, die dem Verbraucher zugedachte Schutzfrist zu verkürzen. Voraussetzung für die Nichteinhaltung der Frist ist deshalb ein sachlicher Grund für ihre Abkürzung. Der vom Gesetz bezweckte Übereilungs- und Überlegungsschutz muss auf andere Weise als durch die Einhaltung der Regelfrist gewährleistet sein. Die Einhaltung der Frist steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Dabei ist auch im Blick zu behalten, dass sich jemand, der sich überhastet zu einem Grundstückskaufvertrag überreden und unmittelbar die Beurkundung bei einem Notar durchführen lässt, ohne sich hinreichend mit dem Gegenstand des Vertrags vertraut zu machen, auch dazu drängen lassen wird, auf die Einhaltung der Pflichten aus § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG zu verzichten. Der vom Gesetzgeber bezweckte Verbraucherschutz ist daher nur dann ausreichend gewahrt, wenn dem Notar, so die Regelfrist von zwei Wochen nicht abgelaufen ist und die Zwecke dieser Wartefrist auch nicht anderweitig erfüllt sind, die Amtspflicht auferlegt wird, eine Beurkundung trotz eines entgegenstehenden Wunsches der Urkundsbeteiligten abzulehnen5.

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Im vorliegenden Fall hat nach den Feststellungen der Vorinstanzen vor der Beurkundung keine hinreichende Auseinandersetzung des Wohnungskäufers mit dem Kaufvertrag stattgefunden. Der Notar hätte deshalb die Beurkundung nicht durchführen dürfen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lag kein sachlicher Grund für eine Abweichung von den Vorgaben des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG vor.

Allerdings ist es für eine zulässige Abweichung von § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG nicht nötig, dass in einem Fall, in dem der gesetzlich geforderte Übereilungsschutz in ausreichendem Maße anderweitig gewährleistet ist, zusätzlich (kumulativ) ein sachlicher Grund für die Abweichung vorliegen muss; bei Erfüllung des Gesetzeszwecks besteht kein Einzelfall Eile geboten, aber überlegtes Handeln gleichwohl sichergestellt ist.“)).

Der Bundesgerichtshof verneint aber, dass der Notar angesichts des vertraglich dem Wohnungskäufer eingeräumten Rücktrittsrechts die Beurkundung vor Ablauf der 2-Wochen-Frist vornehmen durfte. Nach ganz herrschender Meinung, der sich der Bundesgerichtshof anschließt, genügt die Einräumung eines Rücktrittsrechts im Vertrag nicht, um den Notar von der Einhaltung der Regelfrist von zwei Wochen freizustellen6. Zweck des Gesetzes ist es, das Aufklärungspotenzial des Beurkundungsverfahrens zu optimieren7. Dem Verbraucher soll unter anderem ermöglicht werden, sich frühzeitig mit den rechtlichen Besonderheiten des abzuschließenden Rechtsgeschäfts vertraut zu machen und zu überlegen, welche Fragen und/oder gegebenenfalls Änderungswünsche er in das Beurkundungsverfahren einbringen möchte. Auch kann bereits im Vorfeld der Beurkundung durch solche Fragen geklärt werden, dass der Notar für manche Themen – wie zum Beispiel grundsätzlich für wirtschaftliche, steuerliche oder bautechnische Fragen – nicht zuständig ist, sodass der Verbraucher dann bei Bedarf versuchen kann, diese noch rechtzeitig anderweitig zu klären. Diese Ziele werden verfehlt, wenn der Notar entgegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG beurkundet; sie können durch ein Rücktrittsrecht auch nicht ausreichend nachträglich erfüllt werden. Das dem Verbraucher insoweit eingeräumte Lösungsrecht hat eine andere Qualität („Allesoder-Nichts“) als eine vorangehende Überlegungsfrist, die zur inhaltlichen Gestaltung des beabsichtigten Vertrags genutzt werden kann. Auch ist durch den Vertragsschluss zunächst eine vertragliche Bindung des Verbrauchers eingetreten, die der Gesetzgeber ohne entsprechende Vorbereitung des Verbrauchers gerade vermeiden will. Weder das Risiko einer Belastung mit den Kosten der Beurkundung noch eine psychologische Hemmschwelle bestehen aber, wenn der Verbraucher den Vertragsentwurf vor der Beurkundung übersandt erhält. Auch trägt der Verbraucher anderenfalls das Risiko des rechtzeitigen Rücktritts. Dass sich – worauf das Berufungsgericht hinweist – der Gesetzgeber bei der Länge der Zwei-Wochenfrist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG an der Frist orientiert hat, die für die Widerrufsrechte des § 355 BGB aF vorgesehen war8, ist insoweit ohne Bedeutung. Denn der Gesetzgeber hat sich zum Schutz des Verbrauchers gerade nicht für eine Rücktritts- oder Widerrufslösung, sondern für die vorherige, rechtzeitige Unterrichtung des Verbrauchers entschieden. Auch vor diesem Hintergrund reicht es nicht, dass der Wohnungskäufer – worauf das Berufungsgericht abstellt – die Möglichkeit gehabt hätte, etwaige Fragen nach Vertragsschluss noch innerhalb der großzügigen Rücktrittsfrist zu klären.

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Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht im Hinblick auf Hilfserwägungen zur Kausalität der streitgegenständlichen Amtspflichtverletzung:

Der Notar hätte, da am 14.10.2006 die Regelfrist von zwei Wochen nicht abgelaufen war und die Zwecke dieser Wartefrist auch nicht anderweitig erfüllt waren, die ihm angetragene Beurkundung ablehnen müssen. Seine Amtspflichtverletzung liegt mithin entscheidend darin, dass er die Beurkundung, obwohl der Zweck der Wartefrist auch nicht anderweitig erfüllt war, trotzdem durchgeführt hat. Zwischen dieser Amtspflichtverletzung und dem vom Wohnungskäufer geltend gemachten Schaden – Abschluss des notariellen Kaufvertrags – besteht notwendigerweise ein kausaler Zusammenhang9. Allerdings geht der Zweck des Gesetzes zu verhindern, dass der Verbraucher durch einen übereilten Entschluss ein ihm nachteiliges Geschäft abschließt, nicht soweit, den Notar zum „Ausfallbürgen“ des Verbrauchers für fehlgeschlagene wirtschaftliche Investitionen zu machen10. Der Notar kann sich also darauf berufen, der Käufer hätte, wenn der Notar die Beurkundung abgelehnt hätte, diese dann nach Ablauf der Regelfrist genauso wie geschehen vornehmen lassen. Für diesen hypothetischen Verlauf trifft aber den Notar die Darlegungs- und Beweislast, das heißt Zweifel gehen zu seinen Lasten11. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Beweisführung nicht überspannt werden; auch insoweit gilt (zugunsten des Schädigers) das herabgesetzte Beweismaß des § 287 ZPO12.

Vorliegend hat der Wohnungskäufer von dem ihm vertraglich – mit einer die gesetzliche Zwei-Wochenfrist um mehr als das Doppelte überschreitenden Frist – eingeräumten Rücktrittsrecht nicht Gebrauch gemacht, und zwar auch dann nicht, als er sich durch Besichtigung einen eigenen Eindruck von der gekauften Wohnung verschafft hatte. Diesen Umstand wird das Gericht, auch wenn – wie ausgeführt – die Einräumung dieses Rücktrittsrechts der Sicherstellung der Überlegungsfrist von zwei Wochen nicht gleichwertig ist, bei der Beantwortung der Frage, wie sich der Wohnungskäufer bei gesetzmäßigem Vorgehen des Notars verhalten hätte, zu berücksichtigen haben.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Juni 2015 – III ZR 292/14

  1. BGBl. I S. 2850[]
  2. BGH, Urteil vom 07.02.2013 – III ZR 121/12, BGHZ 196, 166 Rn.19 f[]
  3. vgl. BT-Drs. 14/9266 S. 50[]
  4. BT-Drs. aaO S. 51[]
  5. vgl. nur BGH, aaO[]
  6. vgl. nur Rundschreiben der Bundesnotarkammer Nr.20/2003 vom 28.04.2003 S. 9; Ganter in Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 3. Aufl., Rn. 1441; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl., Bd. 22, § 17 BeurkG Rn. 53; Staudinger/Hertel, BGB, Neubearb.2012, Vorbem zu §§ 127a, 128 (BeurkG) Rn. 530; Winkler, BeurkG, 17. Aufl., § 17 Rn. 182; Bücker/Viefhues, ZNotP 2008, 106, 107; Grziwotz, ZIP 2002, 2109, 2111 und ZfIR 2009, 627, 630; Rieger, MittBayNot 2002, 325, 335; großzügiger Armbrüster in Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG/DONot, 6. Aufl., § 17 BeurkG Rn. 230; a.A. wohl Strunz, ZNotP 2002, 389[]
  7. siehe BT-Drs. 14/9266 aaO[]
  8. vgl. BT-Drs. aaO S. 51[]
  9. siehe auch BGH, Urteil vom 07.02.2013 aaO Rn. 25 i.V.m. Rn. 15, 21[]
  10. vgl. Soergel/Mayer aaO § 17 BeurkG Rn. 38 Fn. 308[]
  11. anders Soergel/Mayer aaO; Winkler aaO § 17 Rn.204; Sorge, DNotZ 2002, 593, 606[]
  12. Wöstmann in Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung aaO Rn. 2206[]