Eine Zwangsvollstreckung aus einem bereits vorhandenen Titel kann nicht allein deshalb nach § 775 Nr. 1 ZPO eingestellt werden, weil ein festgestellter Schuldenbereinigungsplan vorliegt.

§ 775 Nr. 1 ZPO ordnet die Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch das Vollstreckungsorgan an, wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Dem Schuldenbereinigungsplan kommt nicht die Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zu, die zur Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung führen würde, § 89 InsO. Im Gegenteil fingiert der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO, mit dem die Annahme des Schuldenbereinigungsplans festgestellt wird, die Rücknahme des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 308 Abs. 2 InsO.
Der Schuldenbereinigungsplan selbst stellt keine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar. Hierunter fallen nur Urteile und Beschlüsse. Der vom Schuldner vorgelegte und von den Gläubigern angenommene Schuldenbereinigungsplan hat materiellrechtlich die Wirkung eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB. In ihm wird über die Zwangsvollstreckung aus dem ursprünglichen Titel keine vollstreckbare Entscheidung getroffen.
Auch der Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO, in dem dieses die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger bestätigt, enthält inhaltlich keine Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Beschluss, dem Insolvenzgericht kommt darüber hinaus keine materiellrechtliche Prüfungskompetenz zu.
Aus dem Umstand, dass der Auszug aus dem Schuldenbereinigungsplan, dessen Annahme durch die Gläubiger durch Beschluss nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO bestätigt worden ist, die Wirkung eines Prozessvergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat, § 308 Abs. 1 Satz 2 InsO, ergibt sich nichts Gegenteiliges.
Nach ganz allgemeiner Meinung kann ein Prozessvergleich nicht unmittelbar zur Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen führen, da es sich bei einem Prozessvergleich nicht um eine gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 775 Nr. 1 ZPO handelt1.
Für den Schuldenbereinigungsplan gilt nichts anderes. Er stellt in gleicher Weise wie der gerichtliche Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO keine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 775 Nr. 1 ZPO dar, auch wenn das Insolvenzgericht nach § 308 Abs. 1 Satz 1 InsO die Annahme des Schuldenbereinigungsplans durch die Gläubiger oder deren Ersetzung durch Beschluss feststellt und insoweit ein Vollstreckungstitel geschaffen wird.
Aus dem Schuldenbereinigungsplan ist die Vollstreckung zulässig, soweit er einen vollstreckbaren Inhalt hat. Ob daneben auch noch die Vollstreckung aus dem ursprünglichen Titel – gegebenenfalls beschränkt auf den Betrag, dem der Gläubiger im Schuldenbereinigungsplan zugestimmt hat – möglich ist, ist Sache der Vereinbarungen der Parteien im Schuldenbereinigungsplan. Ursprünglich erwirkte Titel oder Pfändungspfandrechte können aufrechterhalten, modifiziert, beschränkt oder beendet bzw. aufgehoben werden2. Insbesondere bei bereits begonnener Vollstreckung kann wegen der rangwahrenden Wirkung von Pfändungsmaßnahmen hierfür ein Bedürfnis bestehen. Das ist von den Parteien frei vereinbar und gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln3. Der Schuldenbereinigungsplan hat daher nicht generell und in jedem Fall die Wirkung der Aufhebung oder Beschränkung eines früher ergangenen Titels über eine einbezogene Forderung oder der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel.
Der Schuldenbereinigungsplan ist daher – wie auch die Restschuldbefreiung4 – keine vollstreckbare Entscheidung, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist. Eine entsprechende Anwendung des § 775 Nr. 1 ZPO scheidet aus. Die Aufzählung in § 775 ZPO ist erschöpfend5. Es ist nicht Aufgabe des Vollstreckungsorgans, im streng formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu entscheiden, ob die Parteien im Schuldenbereinigungsplan den ursprünglichen Titel aufrechterhalten oder aufgehoben haben oder die Zwangsvollstreckung aus ihm beschränkt oder eingestellt haben. Dies ist dem Prozessgericht im Verfahren nach § 767 ZPO vorbehalten, da es sich insoweit um materiellrechtliche Einwendungen aus dem Vergleich, § 779 BGB, handelt6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Juli 2011 – VII ZB 118/09
- BayObLG, NJW-RR 1999, 506; OLG Hamm, NJW 1988, 1988; LAG Bremen, LAGE § 888 ZPO 2002 Nr. 8; LG Itzehoe, SchlHA 2006, 205; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 775 Rn. 4a; Musielak/Lackmann, ZPO, 8. Aufl., § 775 Rn. 3; PG/Scheuch, ZPO, § 775 Rn. 5; MünchKomm-ZPO/K. Schmidt, 3. Aufl., § 775 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.08.2007 – VII ZB 115/06, BauR 2007, 1934 = NZBau 2007, 706; Beschluss vom 16.07.2004 – IXa ZB 326/03, NJW-RR 2004, 1718[↩]
- vgl. LG Trier, NZI 2005, 405[↩]
- FKInsO/Kohte, 5. Aufl., § 308 Rn. 1[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.09.2008 – IX ZB 205/06, NJW 2008, 3640[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.09.2008 – IX ZB 205/06, aaO; HkZPO/Kindl, 4. Aufl., § 775 Rn. 1; Musielak/Lackmann, ZPO, 8. Aufl., § 775 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 775 Rn. 3[↩]
- vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 308 Rn. 13; Buck in Braun, InsO, 2. Aufl., § 308 Rn. 8; Hess, InsO, § 308 Rn. 7; Nerlich/Römermann, InsO, 21. Erg., § 308 Rn. 16; Vallender, DGVZ 1997, 97, 101[↩]