Formunwirksame Honorarvereinbarung – und der Rückforderungsausschluss nach Treu und Glauben

Der Bundesgerichtshof musste sich aktuell mit den Voraussetzungen befassen, unter denen die Rückforderung von vereinbartem Anwaltshonorar nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist, wenn bei der Vereinbarung des Honorars die gesetzlich vorgeschriebene Form nicht eingehalten wurde:

Formunwirksame Honorarvereinbarung – und der Rückforderungsausschluss nach Treu und Glauben

In dem hier entschiedenen Streitfall verlangte der Mandant von den beklagten Rechtsanwälten die Rückzahlung von Anwaltshonorar. Er war im Jahr 2001 vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden und hatte diese anschließend verbüßt. Im Jahr 2008 beauftragte er die Rechtsanwälte mit seiner Vertretung in einem Wiederaufnahmeverfahren und bezahlte an sie zunächst in Teilbeträgen insgesamt 25.000 € und später auf Anforderung weitere 2.380 €. Mit seiner Klage verlangt der Mandant die Differenz zwischen den geleisteten Zahlungen abzüglich des Erstattungsbetrags und der nach seiner Ansicht geschuldeten gesetzlichen Vergütung in Höhe von 1.102,18 €, mithin den Betrag von 26.943,63 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten zurück. Das Landgericht Hamburg hat der Klage mit Ausnahme der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben1. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat die Verurteilung der Rechtsanwälte auf den Betrag von 2.380 € zuzüglich Zinsen herabgesetzt und die weitergehende Klage abgewiesen2. Auf die von ihm zugelassenen Revision änderte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung zugunsten des ehemaligen Mandanten:

Zunächst bejahte der Bundesgerichtshof, wie zuvor bereits das Hanseatische Oberlandesgericht, dass bei der von den Parteien getroffenen Vereinbarung über eine pauschale Vergütung in Höhe von 25.000 € für die Tätigkeit der Rechtsanwälte im Zusammenhang mit dem Wiederaufnahmeverfahren betreffend die Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth die durch § 3a Abs. 1 Satz 1 RVG vorgeschriebene Textform nicht eingehalten wurde. Der Formmangel macht die Vereinbarung zwar nicht nichtig. Er führt aber dazu, dass der Anspruch der Rechtsanwälte auf die gesetzliche Vergütung beschränkt ist (§ 4b Satz 1 RVG)3. Diese beläuft sich einschließlich Kopiekosten und Entgeltpauschale auf 1.102,18 €.

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Der daraus folgende Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der über die gesetzlichen Gebühren hinaus erbrachten Zahlungen (§ 4b Satz 2 RVG, § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB) ist, wie das Oberlandesgericht ebenfalls zutreffend ausführt, nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann das zur Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Die Anwendung der Norm setzt voraus, dass der Leistende zum Zeitpunkt seiner Leistung positiv gewusst hat, nicht zur Leistung verpflichtet gewesen zu sein. Allein die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen der rechtlichen Verpflichtung ergibt, genügt nicht. Der Leistende muss auch gewusst haben, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet4. Ein solches positives Wissen hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Es kann, entgegen der in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht, nicht aus der Äußerung des Mandanten geschlossen werden, er brauche keine Honorarvereinbarung, die Bezahlung sei für ihn eine Sache der Ehre. Ob der Mandant wusste, dass er ohne eine in Textform geschlossene Vergütungsvereinbarung rechtlich nicht verpflichtet war, die Vergütung in der vereinbarten Höhe zu zahlen, lässt sich dieser Äußerung nicht entnehmen. Möglicherweise wollte der Mandant auch nur zu verstehen geben, dass er den Abschluss der Vereinbarung später nicht abstreiten werde und deshalb eine schriftliche Niederlegung zu Beweiszwecken nicht erforderlich sei.

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Nicht folgen kann der Bundesgerichtshof hingegen der Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, der Mandant habe mit der wiedergegebenen Äußerung auf die Geltendmachung seines Bereicherungsanspruchs verzichtet.

Im Anschluss an Rechtsprechung des Reichsgerichts5 hat der Bundesgerichtshof entschieden, unabhängig von § 814 BGB könne eine Rückforderung nach § 242 BGB auch bei bloßen Zweifeln an der Verpflichtung ausgeschlossen sein, dann nämlich, wenn dem Empfänger erkennbar gemacht werde, der Leistende wolle die Leistung auch für den Fall bewirken, dass keine Verpflichtung dazu bestehe, wenn also das Verhalten des Leistenden derart sei, dass der Empfänger daraus schließen dürfe, der Leistende wolle die Leistung – einerlei, wie ihr Schuldgrund beschaffen sei – gegen sich gelten lassen6. Ob das Verhalten des Leistenden vom Empfänger in diesem Sinne verstanden werden kann, ist eine Frage der tatrichterlichen Auslegung, die in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt darauf überprüft werden kann, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist7.

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Oberlandesgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen. Treuwidrig im vorgenannten Sinne handelt ein Leistender nur dann, wenn er an einer in vollem Umfang wirksamen Verpflichtung zweifelt, sich aber gleichwohl in einer Weise verhält, dass der Leistungsempfänger annehmen darf, der Leistende sei sich der Möglichkeit einer fehlenden Verpflichtung bewusst, wolle hieraus aber keine Rechte ableiten. Solche den Rechtsanwälten erkennbare Zweifel des Mandanten an einer in vollem Umfang formwirksamen Verpflichtung hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Sie lassen sich den festgestellten Äußerungen des Mandanten auch nicht entnehmen. Diese Äußerungen können, wie bereits ausgeführt wurde, auch aus der Sicht der Rechtsanwälte allein die Frage des Nachweises der Vereinbarung betroffen haben. Den Schluss, der Mandant habe mit der Möglichkeit gerechnet, dass eine nur mündlich getroffene Vergütungsvereinbarung nicht den gesetzlichen Formvorschriften entspricht und deshalb nicht zur Zahlung des vereinbarten Honorars über die gesetzliche Vergütung hinaus verpflichtet, erlauben sie nicht.

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Gibt der an seiner Verpflichtung zweifelnde Leistende zu erkennen, dass er die Leistung in jedem Fall gelten lassen wolle, gleicht dies – wie auch das Oberlandesgericht gesehen hat – einem Verzicht auf die Rückforderung. An die Annahme eines Verzichts sind aber nach einer allgemein anerkannten Auslegungsregel strenge Anforderungen zu stellen8. Auch dies hat das Oberlandesgericht nicht beachtet. Grundsätzlich ist ein Verzicht auch bei Herausgabeansprüchen möglich, die auf der (Teil)Unwirksamkeit eines Vertrags wegen eines Verstoßes gegen zwingende Formvorschriften beruhen. Entgegen der Ansicht der Revision macht dies die Formvorschrift nicht abdingbar. Bei der unmittelbaren Rechtsfolge des Formverstoßes – der Unwirksamkeit der Vereinbarung oder der Deckelung der Ansprüche auf die gesetzlichen Gebühren – bleibt es; nur auf den sich daraus ergebenden Anspruch wird verzichtet. Die Annahme eines Erlasses setzt aber den unmissverständlichen rechtsgeschäftlichen Willen voraus, auf die Forderung zu verzichten. An die Feststellung eines solchen Willens sind strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden9.

Dies gilt in besonderem Maß, wenn sich der Erklärende mit dem Verzicht des Schutzes begibt, den zwingende Formvorschriften bezwecken. Das Formerfordernis des § 3a Abs. 1 Satz 1 RVG dient, auch wenn lediglich die Textform vorgesehen ist, neben Beweiszwecken und der Information der Beteiligten auch ihrer Warnung im Blick auf die Abweichung von den gesetzlichen Gebühren10. Wertet man das Verhalten eines Mandanten, der Zahlungen auf eine nur mündlich getroffene Honorarvereinbarung leistet, als Verzicht auf eine Rückforderung, ohne festzustellen, dass der Mandant der in der Formvorschrift vorgesehenen Belehrung nicht bedurfte und an der Wirksamkeit der eingegangenen Verpflichtung zweifelte, werden diese Schutzzwecke verfehlt. Eine Auslegung des Verhaltens als Verzicht kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Mandant für den Rechtsanwalt erkennbar zumindest mit der Möglichkeit rechnet, es könne wegen des Formmangels an einer Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten Honorars fehlen. Ein solches Bewusstsein des Mandanten lässt sich, wie oben ausgeführt wurde, nicht feststellen.

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Die Entscheidung des Oberlandesgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Berufung auf einen Formmangel kann ausgeschlossen sein, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Dabei sind aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Ergebnis darf die betroffene Partei nicht bloß hart treffen, sondern es muss schlechthin untragbar sein11. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Berufung des Mandanten auf den Formverstoß führt nicht zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis. Der handelnde Rechtsanwalt war sich des Formmangels bewusst. Er hat sich als Rechtsanwalt auf die Verletzung der Formvorschrift eingelassen, ohne vom Mandanten in einer Weise bedrängt worden zu sein, die es untragbar erscheinen ließe, dass die Rechtsanwälte anstelle der vereinbarten Vergütung nur die gesetzlichen Gebühren erhalten12.

Das Berufungsurteil kann daher, soweit mit ihm die Klage hinsichtlich des ersten Wiederaufnahmeverfahrens abgewiesen worden ist, keinen Bestand haben. Es ist in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nach dem vom Oberlandesgericht festgestellten Sachverhältnis, ohne dass es hierzu weiteren Vortrags und weiterer Feststellungen bedürfte, zur Endentscheidung reif ist, kann der Bundesgerichtshof nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Der Mandant hat gegen die Rechtsanwälte wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 4b Satz 2 RVG, § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB) einen Anspruch auf Erstattung der Zahlungen, die er für die Tätigkeit der Rechtsanwälte im Zusammenhang mit dem Wiederaufnahmeverfahren betreffend die Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth auf der Grundlage der Vergütungsvereinbarung in Höhe von 25.000 € erbracht hat, soweit diese über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.102, 18 € hinausgehen, mithin in Höhe von 23.897, 82 €.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2015 – IX ZR 100/13

  1. LG Hamburg, Urteil vom 18.09.2012 – 323 O 47/12[]
  2. OLG Hamburg, Urteil vom 27.03.2013 – 4 U 93/12[]
  3. BGH, Urteil vom 05.06.2014 – IX ZR 137/12, BGHZ 201, 334 Rn. 16 ff, 31[]
  4. BGH, Urteil vom 28.11.1990 – XII ZR 130/89, BGHZ 113, 62, 70; vom 07.05.1997 – IV ZR 35/96, NJW 1997, 2381, 2382; vom 11.11.2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580 Rn. 17[]
  5. RGZ 144, 89, 91[]
  6. BGH, Urteil vom 09.05.1960 – III ZR 32/59, BGHZ 32, 273, 278; vom 13.05.2014 – XI ZR 170/13, WM 2014, 1325 Rn. 112[]
  7. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 03.12 2014 – VIII ZR 224/13, WM 2015, 80 Rn. 37; vom 25.03.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rn. 33; jeweils mwN[]
  8. BGH, Urteil vom 14.03.1996 – VII ZR 75/95, WM 1996, 1099 f[]
  9. BGH, Urteil vom 07.03.2006 – VI ZR 54/05, NJW 2006, 1511 Rn. 10; vom 03.06.2008 – XI ZR 353/07, NJW 2008, 2842 Rn.20[]
  10. Mayer/Kroiß/Teubel, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Aufl., § 3a Rn. 11 f; Schons in Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl., § 3a Rn. 10; Anwaltkommentar-RVG/Onderka, 7. Aufl., § 3a Rn. 2[]
  11. BGH, Urteil vom 24.04.1998 – V ZR 197/97, BGHZ 138, 339, 348 mwN[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 27.10.1967 – V ZR 153/64, BGHZ 48, 396[]
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