Zweifel an der Testierfähigkeit – und das eingestellte Betreuungsverfahren

Die Einstellung eines Betreuungsverfahrens nach Vorlage einer Vorsorgevollmacht ist kein tragfähiges Indiz gegen das Vorliegen von Testierunfähigkeit, wenn nicht gesichert ist, dass die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bei Vollmachtserteilung umfassend geprüft worden ist.

Zweifel an der Testierfähigkeit – und das eingestellte Betreuungsverfahren

Nach § 2358 Absatz 1 BGB hat das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren unter Benutzung der vom Antragsteller angegebenen Beweismittel von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dem entspricht verfahrensrechtlich § 26 FamFG, der verlangt, dass das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat. Welche Nachforschungen geboten sind, bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die von Amts wegen einzuleitenden und durchzuführenden Ermittlungen sind jedoch so weit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert; mit anderen Worten muss das Verfahren geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die zu treffende Entscheidung zu erlangen.

Die richterliche Aufklärungspflicht ist verletzt, wenn Ermittlungen, zu denen nach dem Sachverhalt als solchem und dem Vorbringen der Beteiligten Anlass bestand, nicht durchgeführt worden sind; die Ermittlungen sind erst abzuschließen, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist. Diese Grenzen reichen aus, um die Annahme einer Amtsermittlungspflicht in Fällen zu unterbinden, in denen die Ermittlung sozusagen „ins Blaue“ hinein geschähe oder das Gericht einer lediglich denkbaren, rein theoretischen Möglichkeit nachginge. Auf der anderen Seite sind die Beteiligten, wie sich aus § 27 Absatz 1 und 2 ergibt, auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von der Verpflichtung, durch eingehende Tatsachendarstellung an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht befreit. Ihrer Mitwirkungs- und Verfahrensförderungslast genügen sie, indem ihr Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel dem Gericht Anhaltspunkte dafür geben, in welche Richtung es seine Ermittlungen durchführen soll. Insbesondere findet die Verpflichtung des Gerichts zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts dort ihre Grenze, wo es die Verfahrensbeteiligten allein oder hauptsächlich in der Hand haben, die notwendigen Erklärungen abzugeben und Beweismittel zu bezeichnen bzw. vorzulegen, um eine ihren Interessen entsprechende Entscheidung herbeizuführen1.

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Das Nachlassgericht hat keine hinreichenden Ermittlungen über die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin angestellt, wenn es naheliegende Möglichkeiten zu weiteren Nachforschungen nicht genutzt hat, obwohl der Sachverhalt hierzu Anlass gab.

Der im hier entschiedenen Fall von den Beteiligten vorgetragene Sachverhalt bietet an einigen Stellen Hinweise auf eine mögliche Testierunfähigkeit. So hat der im notariellen Testament benannte Testamentsvollstrecker mitgeteilt, ihm habe sich bei Gesprächen im Spätsommer und Herbst 2012 „aufgedrängt“, dass die Erblasserin seinerzeit nicht mehr testierfähig gewesen sei. Dies wird zwar nicht näher konkretisiert, weil konkrete Symptome einer psychischen Erkrankung nicht benannt werden. Das hätte dem Nachlassgericht aber Anlass zu einem Hinweis mit der Aufforderung geben sollen, den erkennbar auf eigenen Eindrücken des Testamentsvollstreckers beruhenden Vortrag zu ergänzen. Aus dem Akteninhalt ergibt sich außerdem, dass der häusliche Pflegedienst der Erblasserin ur kurze Zeit vor den streitigen Testamenten eine Betreuung angeregt habe und die langjährige Hausärztin nur zwei Tage vor den in Rede stehenden Verfügungen von einem Verdacht auf beginnende Demenz und deutlichen Gedächtnisstörungen ausgegangen ist; die Hausärztin wies dabei ausdrücklich darauf hin, dass die Erblasserin nicht mehr in der Lage sei, ihre finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln.

Es wurde schließlich der Hinweis gegeben, dass der Notar H. in O. eine Vorsorgevollmacht entworfen, aber nicht beurkundet habe, was Ermittlungen dazu naheliegend erscheinen lässt, was der Grund hierfür war, ob etwa Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin der Anlass waren, von einer Beurkundung abzusehen. Es erscheint auch nach dem Tode des Notars nicht ausgeschlossen, dass hierzu Auskunftspersonen – etwa Notariatsbedienstete – zur Verfügung stehen könnten.

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Im Beschwerdeverfahren ist ergänzend – wozu die Hausärztin als Zeugin benannt wurde – vorgetragen worden, die Erblasserin sei Jahrzehnte lang alkohol- und medikamentensüchtig gewesen. Sollte sich dies als zutreffend erweisen, könnte auch dies – je nach dem Ausmaß der Sucht – auf die Testierfähigkeit Einfluss gehabt haben. Auch in dieser Frage besteht Anlass, den Vortragenden zur Ergänzung seines Vorbringens um nähere Angaben zu Dauer und Symptomen der Sucht zu veranlassen.

Die Anhaltspunkte für eine mögliche Testierfähigkeit lassen sich allein aufgrund des Akteninhalts und ohne eine umfassende Beweisaufnahme nicht ausräumen.

Richtig ist allerdings, dass die Hausärztin dem Betreuungsgericht gegenüber die Einschätzung geäußert hat, dass die Erblasserin „in vielen Bereichen eindeutig ihren freien Willen“ äußere. Diese Angabe ist aber – zumal sie nachfolgend eingeschränkt wird (komplizierte Vertragstexte können nicht verstanden werden, Überweisungsvordrucke können nicht ausgefüllt werden) – ohne weitere Aufklärung nicht geeignet, Zweifel an der Testierfähigkeit zu beseitigen. Es ist bereits nicht erkennbar, ob die Hausärztin von einer Möglichkeit zur freien Willensäußerung gerade in den Bereichen ausgegangen ist, die für die Testierfähigkeit von Bedeutung sind. Es kommt hinzu, dass die von der Hausärztin testierte deutliche Gedächtnisstörung ebenfalls ein Umstand sein kann, der – je nach den Umständen im Einzelnen – zu einer Aufhebung der Testierfähigkeit führen kann.

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Die Betreuungsbehörde hat gegenüber dem Amtsgericht mit Schreiben vom 21.02.2013 die Einstellung des Betreuungsverfahrens befürwortet, nachdem es von der Leiterin des Pflegedienstes von einer Vorsorgevollmacht erfahren hatte. Aus dem Schreiben der Betreuungsbehörde ergibt sich aber auch, dass diese offenbar eigene Ermittlungen darüber, ob die Erblasserin bei Vollmachtserteilung geschäftsfähig war, nicht angestellt hat, sondern sogar von der Vollmacht nur vom Hörensagen erfahren hatte.

Die Einstellung des Betreuungsverfahrens beruht, wie die Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts Offenburg vom 01.03.2013 zeigt, offenbar ebenfalls nicht auf näheren Ermittlungen zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin bei Erteilung der Vorsorgevollmacht, sondern auf der Tatsache der Vollmachtserteilung und auf dem Bericht der Betreuungsbehörde, dessen Aussagekraft aus den unter bb)) geschilderten Gründen eingeschränkt ist. Dass die Einstellung des Betreuungsverfahrens von keinem der Beteiligten angegriffen worden ist, ist – entgegen der vom Nachlassgericht in der Nichtabhilfeentscheidung vertretenen Auffassung – kein tragfähiges Indiz dafür, dass die Erblasserin bei Errichtung der Vorsorgevollmacht geschäftsfähig war. Dass eine Beschwerde gegen die Einstellungsentscheidung nicht erfolgt ist, kann verschiedene Gründe haben, etwa dass der Bevollmächtigten eine sachgerechte Erledigung der Angelegenheiten der Erblasserin zugetraut worden ist und die Beschwerdeberechtigten daher unabhängig von der Wirksamkeit der Vollmacht keinen Anlass gesehen haben, die Einstellungsentscheidung anzugreifen.

Das Nachlassgericht weist in dem angefochtenen Beschluss zu Recht darauf hin, dass eine Demenz – sollte sie bei der Erblasserin vorgelegen haben – nicht in jeder Ausprägungsform zur Testierunfähigkeit führt. Gerade aus diesem Grunde ist es aber veranlasst, der Würdigung der Frage der Testierfähigkeit eine umfassende Erhebung der Anknüpfungstatsachen voranzustellen, insbesondere die Hausärztin als Zeugin zu befragen und deren Behandlungsunterlagen beizuziehen. Allein die Auswertung einer im Betreuungsverfahren abgegebenen schriftlichen Stellungnahme vermag dies nicht zu ersetzen.

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In der Frage der Testierfähigkeit kann nicht ohne aufwändige weitere Sachverhaltsermittlung entschieden werden. Nach dem Akteninhalt liegt es nahe, dass die Beteiligten zu möglichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit in einer mündlichen Beteiligtenanhörung Auskunft geben können. Als Auskunftspersonen, die als Zeugen befragt werden können, kommen insbesondere die Hausärztin und die Pflegekräfte in Betracht; zudem wird es für eine umfassende Beurteilung durch einen Sachverständigen erforderlich sein, die Pflegedokumentation bzw. die Behandlungsunterlagen beizuziehen. Bei den für die Erblasserin beschriebenen Diagnosen liegt es auch nahe, dass diese nicht nur von der Hausärztin, sondern auch von Fachärzten und Krankenhäuser behandelt worden ist, worüber die langjährige Hausärztin der Erblasserin dürfte Auskunft geben können. Die Behandlungsunterlagen von Fachärzten und Krankenhäuser sind, so vorhanden, für eine sachgerechte Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit durch einen Sachverständigen ebenfalls beizuziehen. Sollte die Erblasserin, was durch Befragung der Beteiligten festzustellen ist, Leistungen aus einer Pflegeversicherung bezogen haben, dürfte auch von deren medizinischem Dienst ein Gutachten erstellt worden sein, dass weitere Anknüpfungstatsachen für die Frage der Testierunfähigkeit liefern könnte.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 10. Juni 2015 – 11 Wx 33/15

  1. OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 782 14 f., m. w. N.[]