Im zivilprozessualen Verfahren darf das Gericht nur über von den Parteien gestellte Anträge entscheiden, lediglich in den in § 308a ZPO genannten Mietsachen ist eine Entscheidung ohne Antrag statthaft.

Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes liegt unter anderem dann vor, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dies beantragt zu haben, oder das Gericht der klagenden Partei einen Anspruch abspricht, den diese nicht erhoben hat1. Ein Verstoß der Vorinstanzen gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten2.
So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Das Landesarbeitsgericht hat in dem angefochtenen Schlussurteil über den Streitgegenstand „Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016“ entschieden, ohne dass der Arbeitnehmer seine zuvor schriftsätzlich klageerweiternd anhängig gemachten Zahlungsanträge in der Berufungsverhandlung gestellt hat.
Zwar soll der Arbeitnehmer die schriftsätzlich angekündigten Zahlungsanträge nach dem Tatbestand des Berufungsurteils auch tatsächlich gestellt haben. Dies folgt aus § 313 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach im Tatbestand des Urteils die gestellten Anträge dargestellt werden sollen. Die gemäß § 297 ZPO in der mündlichen Verhandlung zu stellenden Sachanträge der Parteien sind indes auch als wesentliche Förmlichkeit im Protokoll festzustellen, § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Unterbleibt dies, fehlt nach §§ 165, 308 ZPO die Befugnis des Gerichts zur Sachentscheidung3. Im Protokoll über die letzte Berufungsverhandlung am 17.09.2020 heißt es dazu: „Der Arbeitnehmer nimmt Bezug auf die in der Verhandlung vom 18.07.2019 gestellten Anträge in der Fassung des Schriftsatzes vom 11.10.2019 mit der Erweiterung, dass es statt ‚Oktober 2019‘ ‚17.09.2020‘ heißen muss.“ Dagegen ergibt sich aus dem Protokoll nicht, dass der Arbeitnehmer auch die Anträge aus der auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016 gerichteten Klageerweiterung im Schriftsatz vom 08.12.2019 gestellt hätte.
Damit widersprechen sich zum Streitgegenstand „Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016“ die Feststellungen im Protokoll der Berufungsverhandlung und im Tatbestand des angefochtenen Schlussurteils. In einem solchen Fall gilt das Protokoll4. Denn der Beweis der Beachtung von wesentlichen Förmlichkeiten – wie derjenigen der gestellten Anträge (§ 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) – kann nur durch das Sitzungsprotokoll erbracht werden, § 165 Satz 1 ZPO5.
Deshalb muss das Bundesarbeitsgericht davon ausgehen, dass das Landesarbeitsgericht über einen Streitgegenstand entschieden hat, den der Arbeitnehmer zwar mit seiner Klageerweiterung vom 08.12.2019 anhängig gemacht, den er jedoch in der – nach dem zeitlichen Verlauf allein in Betracht kommenden letzten – Berufungsverhandlung (noch) nicht zur Entscheidung gestellt hat. Dabei gibt es keine Anhaltspunkte dafür, der Arbeitnehmer habe an der Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nicht mehr festhalten wollen, auch wäre eine entsprechende Klagerücknahme entgegen § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO nicht protokolliert. Vielmehr belegen sowohl das Berufungsurteil als insbesondere auch die Nichtzulassungsbeschwerde des Arbeitnehmers, dass dieser sehr wohl eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch zu diesem Streitgegenstand wollte. Die unterlassene Protokollierung dürfte somit ein Versehen des Berufungsgerichts sein, das möglicherweise nach seinem Teilurteil in dem umfangreichen Berufungsverfahren – ebenso wie der Arbeitnehmer – nicht mehr ausreichend im Blick hatte, welcher der zahlreichen Anträge wann und in welchem Schriftsatz angekündigt worden war. Wegen der vom Landesarbeitsgericht verletzten Pflicht, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), und dem Gebot eines fairen Verfahrens muss dem Arbeitnehmer in einem fortgesetzten Berufungsverfahren die Möglichkeit eröffnet werden, die Anträge aus der Klageerweiterung auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016 entsprechend den Erfordernissen aus § 160 Abs. 3 Nr. 2, § 297 ZPO zu stellen6 und eine Entscheidung über seine Anträge ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO zu erreichen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. Februar 2022 – 5 AZR 347/21
- BAG 22.07.2021 – 2 AZR 6/21, Rn. 42; 25.08.2015 – 1 AZR 754/13, Rn.20 mwN, BAGE 152, 240[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BAG 25.03.2021 – 6 AZR 41/20, Rn. 15; 18.09.2019 – 5 AZR 240/18, Rn. 11 mwN, BAGE 168, 25[↩]
- vgl. nur Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 297 Rn. 4; Musielak/Voit/Huber ZPO 18. Aufl. § 297 Rn. 4[↩]
- vgl. BGH 24.07.2018 – VI ZR 294/17, Rn. 11; 12.05.2015 – VI ZR 102/14, Rn. 48; Zöller/Feskorn ZPO 34. Aufl. § 314 Rn. 8; Musielak/Voit/Musielak ZPO 18. Aufl. § 314 Rn. 3, 7 und Musielak/Voit/Ball aaO § 559 Rn.19; Anders/Gehle/Hunke ZPO 80. Aufl. § 314 Rn. 7 – jeweils mwN[↩]
- vgl., zur wesentlichen Förmlichkeit der Verkündung des Urteils, BAG 14.10.2020 – 5 AZR 712/19, Rn. 10[↩]
- vgl. BAG 12.10.2021 – 9 AZR 133/21, Rn. 24; generell zum verfassungsrechtlichen Gebot eines fairen Verfahrens BVerfG 30.05.2012 – 1 BvR 509/11, Rn. 8; BAG 14.09.2020 – 5 AZB 23/20, Rn. 27, BAGE 172, 186[↩]