Negative Zwischengewinne stellen grundsätzlich keine Verluste i.S. des § 15b Abs. 1 EStG dar [1]. § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG kann nicht dahin verstanden werden, dass ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG stets dann vorliegt, wenn sich ein Verlust im Rahmen der Anwendung des progressiven Steuersatzes auswirkt, während ein Gewinn lediglich dem Abgeltungsteuersatz unterliegt [1].

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Münster [2] liegt in einem solchen Fall bereits deshalb kein Steuerstundungsmodell gemäß § 15b Abs. 1, § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG (jetzt: § 20 Abs. 7 Satz 1 EStG n.F.) vor, weil die negativen Zwischengewinne keine Aufwendungen zur Erzielung unangemessener steuerlicher Vorteile in Form negativer Einkünfte und daher keinen Verlust i.S. des § 15b Abs. 1 EStG darstellen.
Gemäß § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG gilt die in § 15b EStG vorgesehene eingeschränkte Verlustverrechnung sinngemäß auch für Kapitaleinkünfte.
Nach § 15b Abs. 1 EStG dürfen Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell nur mit Einkünften, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt, verrechnet werden. Ein Steuerstundungsmodell i.S. des Abs. 1 liegt vor, wenn aufgrund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen (§ 15b Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzeptes die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen (§ 15b Abs. 2 Satz 2 EStG). Dabei ist es ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen (§ 15b Abs. 2 Satz 3 EStG).
Das Gesetz schränkt den Begriff der negativen Einkünfte nicht ausdrücklich ein, verknüpft diesen jedoch mit dem Merkmal der modellhaften Gestaltung. Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt § 15b EStG eine Verlustverrechnungsbeschränkung im Zusammenhang mit sog. Steuerstundungsmodellen dar, die in der Form von Personengesellschaften oder Gemeinschaften betrieben werden und deren Gesellschaftszweck darauf gerichtet ist, den Beteiligten (Anlegern) konzeptionell einen steuerlichen Verlust zuzuweisen. Jedoch ist ‑so die Begründung- nicht jede Betätigung, die verlustbehaftet ist, eine modellhafte Gestaltung und nicht jedes Modell konzeptionell auf eine Verlustzuweisung ausgerichtet [3]. In diesem Sinne sind bestimmte Verluste wie z.B. solche, die in der Anfangsphase planmäßig aus einer „normalen“ unternehmerischen Tätigkeit wie der eines Existenzgründers entstehen, dem Anwendungsbereich des § 15b EStG entzogen [3]. Diese Verluste entstehen im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und werden nicht modellhaft zur Erlangung steuerlicher Vorteile erzielt.
Somit erfasst die Verrechnungsbeschränkung des § 15b EStG ‑trotz der Regelung in § 15 Abs. 2 Satz 3 EStG- nicht ausnahmslos alle Verluste, sondern solche, die ihre Ursache in Aufwendungen des Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Erzielung unangemessener steuerlicher Vorteile in Form negativer Einkünfte haben [4].
Danach fallen negative Zwischengewinne grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der §§ 15b, 20 Abs. 2b Satz 1 EStG. Zwar können auch negative Einnahmen aufgrund von Zwischengewinnen zu negativen Einkünften führen. Sie stellen jedoch regelmäßig keine Aufwendungen zur Erzielung unangemessener steuerlicher Verluste in Form von negativen Kapitaleinkünften dar.
Der Zwischengewinn des Veräußerers des Investmentanteils ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 InvStG das Entgelt für die ihm noch nicht zugeflossenen oder als zugeflossen geltenden Zinserträge, zinsähnlichen Erträge und Ansprüche des Investmentvermögens. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz InvStG gehört der Zwischengewinn zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn es sich nicht um Betriebseinnahmen des Anlegers, Leistungen nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG oder Leistungen i.S. des § 22 Nr. 5 EStG handelt. Diese Regelung gilt für sämtliche Anleger von Investmentfonds und damit auch für Privatanleger [5]. Mit dem Zwischengewinn werden die Zinserträge und Zinssurrogate, die bereits während des Geschäftsjahres des Investmentvermögens „erzielt“ werden, im Falle der unterjährigen Rückgabe oder Veräußerung des Investmentanteils der Besteuerung unterworfen.
Die Zahlung von Zwischengewinnen durch den Erwerber entspricht nicht nur Marktusancen, sondern sie gleicht auch wirtschaftlich den Zinsanspruch des bisherigen Gläubigers aus [6]. Zudem dient die Berücksichtigung von gezahlten Zwischengewinnen als negative Einnahme aus Kapitalvermögen beim Käufer der Investmentanteile der Vermeidung einer Überbesteuerung beim späteren Ertragszufluss (Ausschüttung, Ertragsthesaurierung bzw. vereinnahmter Zwischengewinn) [7].
Erzielt der Erwerber eines Investmentfonds negative Einnahmen aufgrund von Zwischengewinnen, so ist dies der zutreffenden wirtschaftlichen Zuordnung des Zinsanspruchs geschuldet. Ein entsprechender Verlust und ein sich in der weiteren Folge ergebender Steuerstundungseffekt sind Folge des getätigten Rechtsgeschäftes, nicht hingegen einer modellhaften Gestaltung.
Die Zahlung von Zwischengewinnen führt daher regelmäßig nicht zu einem wirtschaftlich unangemessenen Steuervorteil des Anteilserwerbers i.S. des § 15b EStG [8].
Dies gilt auch dann, wenn der Zwischengewinn 10 % des Kaufpreises übersteigt [9]. Denn auch in diesem Fall soll durch die steuerliche Berücksichtigung des negativen Zwischengewinns eine Überbesteuerung des Anlegers vermieden werden [10].
Aus den dargelegten Gründen ist es ebenfalls ohne Belang, ob auf der Ebene des Fonds hohe Zwischengewinne durch ein sog. Bond-Stripping verursacht werden, zumal sich auch der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 20 Abs. 2b EStG nicht entnehmen lässt, dass ein solches sog. Bond-Stripping als modellhafte Gestaltung angesehen wurde. Die Erstreckung der Verlustverrechnungsbeschränkung sollte der Vermeidung von Umgehungsgestaltungen, die insbesondere bei Kapitallebensversicherungen und sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) entwickelt worden waren [11], dienen.
Danach sind auch die im Streitfall erzielten Zwischengewinne keine Verluste i.S. des § 15b EStG. Ob dies möglicherweise anders zu beurteilen ist, wenn nach dem Gesamtkonzept eine Fremdfinanzierung des Erwerbs vorgesehen und damit zur Erzielung negativer Einkünfte eingesetzt wird [12], kann dahinstehen, denn der Anleger hat den Erwerb nicht fremdfinanziert.
Eine Einschränkung der Verlustverrechnung folgt auch nicht aus § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG. Danach liegt ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG auch vor, wenn die positiven Einkünfte nicht der tariflichen Einkommensteuer unterliegen.
Zwar genügt die Vorschrift den Bestimmtheitsanforderungen des Rechtsstaatsprinzips [13]. Sie führt nach ihrem Wortlaut jedoch nicht zu dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Ausnutzung der Steuersatzspreizung bei der Einführung der Schedule als Missbrauch zu qualifizieren und zu verhindern [14].
Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG Modelle erfassen, die das Steuersatzgefälle zwischen der tariflichen Einkommensteuer gemäß § 32a EStG und dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes (UntStRefG) 2008 dadurch ausnutzen, dass die negativen Einkünfte der tariflichen Einkommensteuer und die positiven Einkünfte der Abgeltungsteuer unterliegen [15].
Diese Zielsetzung kommt in dem Wortlaut des § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG jedoch nicht zum Ausdruck [16].
So lässt die Regelung des § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG bereits offen, in welchem Veranlagungszeitraum „die positiven Einkünfte nicht der tariflichen Einkommensteuer unterliegen“ müssen, damit ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG vorliegt [10].
Zudem handelt es sich auch bei dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 um eine „tarifliche Einkommensteuer“, da dieser, wie der progressive Steuersatz des § 32a EStG, im Abschnitt „IV. Tarif“ des EStG geregelt ist. Dass der Gesetzgeber mit dem Begriff der „tariflichen Einkommensteuer“ lediglich den progressiven Steuersatz nach § 32a EStG bezeichnen wollte, kommt in der gesetzlichen Regelung schon deshalb nicht zum Ausdruck, weil „positive Einkünfte“ nie der tariflichen Einkommensteuer des § 32a EStG unterliegen, sondern nur das zu versteuernde Einkommen i.S. des § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG [17].
Danach kann § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG nicht dahin verstanden werden, dass ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG stets dann vorliegt, wenn sich ein Verlust im Rahmen der Anwendung des progressiven Steuersatzes auswirkt, während ein Gewinn lediglich dem Abgeltungsteuersatz unterliegt.
Vor diesem Hintergrund kann allein der Umstand, dass im Streitfall die aus den Zwischengewinnen resultierenden negativen Einkünfte dem progressiven Steuersatz unterliegen, während die im Jahr 2009 zu versteuernden positiven Einkünfte der Abgeltungsteuer unterfallen, keine Verlustverrechnungsbeschränkung gemäß § 15b EStG begründen, und zwar auch dann nicht, wenn die Grenze des § 15b Abs. 3 EStG überschritten ist [18].
Schließlich kann aus der Ausnutzung des Steuersatzgefälles nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO geschlossen werden. Der Bundesfinanzhof kann dahingestellt lassen, ob die Anwendung des § 42 AO im Streitfall bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil die §§ 20 Abs. 2b Satz 2, 15b EStG als speziellerer Missbrauchstatbestand lex specialis und damit vorrangig und ausschließlich anwendbar sind. Denn ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO liegt nicht vor, da Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze der Schedulenbesteuerung immanent sind [19].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. Mai 2019 – VIII R 29/15
- Anschluss an das BFH, Urteil vom 28.06.2017 – VIII R 57/14, BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩][↩]
- FG Münster, Urteil vom 18.06.2015 – 12 K 689/12 F[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/254, S. 5[↩][↩]
- vgl. auch BFH, Urteil vom 28.06.2017 – VIII R 57/14, BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩]
- BFH, Urteile vom 17.11.2015 – VIII R 27/12, BFHE 252, 112, BStBl II 2016, 539; in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩]
- so auch Brandtner/Geiser, DStR 2009, 1732; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach ‑HHR‑, § 20 EStG Rz 635; vgl. auch OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 28.04.2009 – S 2241b A – 1 – St 213; OFD Magdeburg, Verfügung vom 22.12 2008 – S 2252 – 104 – St 214, DStR 2009, 532; OFD Magdeburg vom 13.06.2008 – S 2252 – 104 – St 214 V, DStR 2008, 1833[↩]
- vgl. BMF, Schreiben vom 18.08.2009 – IV C 1 ‑S 1980- 1/08/10019, 2009/0539738, BStBl I 2009, 931, Rz 21a; BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩]
- so im Ergebnis auch Brandtner/Geiser, DStR 2009, 1732, 1733 ff.; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz – I 14, – I 73; vgl. auch BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144; a.A. Verfügungen der OFD Rheinland und OFD Münster vom 13.07.2010 – S 2252 – 1045 – St 222, S 2210 – 45 – St 22 – 31, DStR 2010, 1625[↩]
- a.A. z.B. Verfügungen der OFD Rheinland und OFD Münster in DStR 2010, 1625[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩][↩]
- BT-Drs. 16/2712, S. 50[↩]
- vgl. hierzu HHR/Intemann, § 20 EStG Rz 635; vgl. auch Verfügungen der OFD Rheinland und OFD Münster in DStR 2010, 1625, Rz 1[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144[↩]
- Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2007 vom 10.07.2006, S. 65; Korn/Strahl, Kölner Steuerdialog 2006, 15312, 15327; im Regierungsentwurf BT-Drs. 16/2712, S. 50 fehlt jedoch eine entsprechende Begründung[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144; vgl. auch Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz – I 29 f.; Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 20 Rz 381; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 434[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rz – I 29; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 434[↩]
- a.A. Verfügungen der OFD Rheinland und OFD Münster in DStR 2010, 1625, anders noch BMF, Schreiben vom 14.05.2007 – IV B 8 S 2252/0, Verfügungen der OFD Magdeburg in DStR 2008, 1833, und in DStR 2009, 532, und der OFD Münster vom 07.11.2008, Der Betrieb 2008, 2681[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 258, 421, BStBl II 2017, 1144; vom 24.02.2015 – VIII R 44/12, BFHE 249, 224, BStBl II 2015, 649[↩]
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