Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Finanzgericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zu Grunde zu legen. Insbesondere sind der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen.

Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO1.
Dies gilt auch, wenn das finanzgerichtliche Urteil auf eine mündliche Verhandlung erging, an der der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht teilgenommen hat. Die Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung bedeutet keinen Rügeverzicht.
Dabei kann es der Bundesfinanzhof offen lassen, ob es sich bei dem Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO überhaupt um eine Verfahrensvorschrift handelt, auf die gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verzichtet werden kann. Jedenfalls liegt in der bloßen Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung kein Verzicht auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften2. Auch wenn die Klägerin ihre besondere Prozessverantwortung wahrgenommen und an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte3, hätte sie erst aus dem Urteil erfahren, dass sich das Finanzgericht mit ihrem Vorbringen nicht auseinandergesetzt hat.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. Februar 2015 – V B 87/14