Bildberichterstattung über eine strafgerichtliche Hauptverhandlung – und die sitzungspolizeiliche Anordnung

Die Berichterstattung über eine strafrechtliche Hauptverhandlung beschränkende sitzungspolizeiliche Anordnungen sind mit der Beschwerde anfechtbar.

Bildberichterstattung über eine strafgerichtliche Hauptverhandlung – und die sitzungspolizeiliche Anordnung

Ob der Vorsitzende das ihm bei dem Erlass einer sitzungspolizeilichen Anordnung eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, kann das Beschwerdegericht nur überprüfen, wenn die Begründung der Entscheidung die Abwägung der dabei zu berücksichtigenden Rechtsgüter und Interessen nachvollziehbar macht.

Zulässigkeit der Beschwerde

Bezüglich der Statthaftigkeit der Beschwerde nach § 304 StPO gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen schließt sich das Oberlandesgericht der in der neueren Rechtsprechung ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, dass die Beschwerde jedenfalls dann eröffnet ist, wenn mit den Anordnungen eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung verbunden ist und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des davon Betroffenen dauerhaft berührt sind1. Diese Voraussetzungen liegen bei der Beschränkung der Berichterstattung durch Medienunternehmen vor2.

Die Beschränkung des § 305 Satz 1 StPO greift nicht, weil diese nach der in § 305 Satz 2 StPO getroffenen gesetzlichen Regelung bei Entscheidungen, durch die dritte Personen, also nicht unmittelbar an dem Verfahren Beteiligte, betroffen sind, nicht gilt.

Begründetheit der Beschwerde

Gesetzliche Grundlage der getroffenen Anordnungen ist § 176 GVG, der die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden zuweist und ihn zu Maßnahmen ermächtigt, die erforderlich sind, um den störungsfreien Ablauf der Sitzung zu sichern. Dies dient der Sicherung einer geordneten Rechtspflege sowie dem Schutz des Prozesses der Wahrheits- und Rechtsfindung und der Rechte der Verfahrensbeteiligten und betroffener Dritter3.

Art und Umfang der sitzungspolizeilichen Maßnahmen sind hingegen nicht festgelegt. Die Ausübung der sitzungspolizeilichen Gewalt obliegt dem Vorsitzenden, setzt sie doch Prognosen sowohl über die Intensität und die Bedeutung von Gefahren für die Ordnung der Sitzung als auch über die Wirksamkeit etwaiger Maßnahmen voraus, die allein dem Vorsitzenden aufgrund der größeren Sachnähe, einschließlich der Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck von den Verfahrensbeteiligten, den Zuhörern und sonstigen Anwesenden zu verschaffen, möglich sind. Es ist deshalb in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass dem Vorsitzenden der durch § 176 GVG eingeräumten Befugnisse ein Ermessen zusteht, das vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler überprüft wird, insbesondere dahin, ob er seiner Entscheidung einen vollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat und die getroffene Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt und verhältnismäßig ist4.

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Wird durch sitzungspolizeiliche Anordnungen die Berichterstattung durch Medien beschränkt, so muss die getroffene Maßnahme vor allem der Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit Rechnung tragen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt neben der Freiheit der Verbreitung von Nachrichten den gesamten Bereich publizistischer Vorbereitungstätigkeit, zu welcher auch die Informationsbeschaffung gehört. Sie schließt grundsätzlich das Recht der im Pressewesen tätigen Personen ein, über Vorgänge in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung durch Bildberichterstattung zu informieren. Die Pressefreiheit findet allerdings nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch § 176 GVG zählt. Die im Rahmen einer sitzungspolizeilichen Anordnung erforderliche Ermessensausübung hat danach einerseits die Pressefreiheit und andererseits den Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung und des sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art.20 Abs. 3 GG ergebenden Anspruchs der Beteiligten auf ein faires Verfahren zu beachten.

Die Befugnis der Medien zur Gewinnung und Veröffentlichung visueller Aufzeichnungen der bei einer Verhandlung anwesenden Personen ist insbesondere an dem Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts zu messen, das dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten nicht nur über die Verwendung, sondern auch für die Anfertigung von Fotografien und Aufzeichnungen seiner Person durch andere bietet5. Die für die einwilligungslose Verbreitung von Personenbildnissen durch die Massenmedien entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe6 sind auch zu beachten, wenn über die Anfertigung bestimmter Personenbildnisse am Rande der Hauptverhandlung mit dem Ziel der Verbreitung in den Massenmedien zu entscheiden ist. Danach sind Gerichtsverhandlungen, auf die ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerichtet ist, Ereignisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte; der Schutz des Persönlichkeitsrechts der daran Beteiligten fordert daher kein völliges Filmverbot7. Bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzes des Rechts am eigenen Bild ist allerdings zu berücksichtigen, dass zumindest ein Teil der Verfahrensbeteiligten sich regelmäßig in einer für sie ungewohnten und belastenden Situation befinden. Sie sind vielfach – etwa die Zeugen oder der Angeklagte eines Strafverfahrens – zur Anwesenheit verpflichtet. Speziell auf Seiten der Angeklagten sind auch mögliche Prangerwirkungen oder Beeinträchtigungen des Anspruchs auf Achtung der Vermutung seiner Unschuld und von Belangen späterer Resozialisierung zu beachten, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden können8. Hinsichtlich der Zeugen und Nebenkläger ist deren besondere Belastungssituation zu berücksichtigen, insbesondere wenn sie Opfer der Tat sind, über die gerichtlich verhandelt wird. Vergleichbares gilt für Nebenkläger, die Angehörige eines Tatopfers sind. Personen, die im Gerichtsverfahren infolge ihres öffentlichen Amtes oder in anderer Position als Organ der Rechtspflege im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, haben dagegen nicht in gleichem Ausmaße einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson9.

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Stellt eine Anordnung nach § 176 GVG einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar, bedarf es der nachvollziehbaren Darlegung konkreter, auf die vorstehend angeführten Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe, wenn diese nicht auf der Hand liegen10.

Den sich daraus ergebenden Anforderungen wurden die von der Beschwerdeführerin beanstandeten Anordnungen im vorliegenden Verfahren nicht vollständig gerecht:

Soweit die zeitliche Beschränkung von Bild- und Tonaufnahmen in der Verfügung vom 02.03.2020 mit der Gewährleistung einer reibungslosen Organisation der Verhandlung begründet wird, handelt es sich um eine wertende Beschreibung, deren Tragfähigkeit das Oberlandesgericht mangels Mitteilung der tatsächlichen Grundlagen nicht beurteilen kann. Dass die Anwesenheit von Medienvertretern im Zusammenhang mit der Fertigung von Bild- und Tonaufnahmen den Ablauf der Sitzung in einem Ausmaß beeinträchtigt, dass es des zeitweiligen Verbots solcher Aufnahmen bedarf, versteht sich auch keineswegs von selbst, zumal sich nicht erschließt, weshalb die Vorsitzende diese Beschränkung nunmehr am ersten und letzten Verhandlungstag – an denen erfahrungsgemäß mit dem größten Andrang von Medienvertretern zu rechnen ist – nicht mehr für erforderlich hält.

Die Beschränkung bezüglich der Film- und Bildaufnahmen von Angeklagtem, Nebenklägern und Zeugen ist ebenfalls nicht ausreichend begründet.

Die Verfügungen lassen auch in der Zusammenschau die gebotene Gewichtung der in die Abwägung einzustellenden Interessen vermissen; sie setzen sich zudem nicht hinreichend mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinander. Insbesondere lässt sich der Begründung nicht hinreichend entnehmen, ob bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit alle dafür bedeutsamen Umstände in die Beurteilung mit dem ihnen zukommenden Gewicht einbezogen wurden.

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Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist dabei vor allem der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, in Strafverfahren insbesondere die Schwere der angeklagten Straftat von Bedeutung. Daneben ist aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Tat aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor der Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern oder ihren Angehörigen gewonnen hat, zu berücksichtigen. Dabei kommt dem Informationsinteresse umso mehr Bedeutung zu, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt11.

Soweit das mediale Interesse an dem Verfahren nach der Begründung der angefochtenen Verfügungen maßgeblich durch die Person des Auftraggebers begründet sein soll, steht dies in Widerspruch zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die ein besonderes öffentliches Interesse an einer Berichterstattung auch aus den übrigen Umständen der als „Auftragsmord“ bezeichneten Tat ableitet, worauf in den angefochtenen Begründungen nicht eingegangen wird. Bereits wegen dieses Begründungsdefizits können die diesbezüglichen Anordnungen keinen Bestand haben.

Das Oberlandesgericht betont allerdings, dass damit keine Aussage über die inhaltliche Zulässigkeit der getroffenen Anordnungen verbunden ist. Vielmehr legen die in der Verfügung vom 02.03.2020 angeführten Gründe nahe, dass ein überwiegendes Interesse an nicht anonymisierten Aufnahmen der Nebenkläger nicht besteht. Auch bezüglich des Angeklagten wird ein Interesse an nicht anonymisierten Aufnahmen unter Berücksichtigung der auch für einen geständigen Angeklagten geltenden Unschuldsvermutung im Ergebnis wohl nur zu bejahen sein, wenn aufgrund besonderer Umstände ein Interesse gerade an der persönlichen Identifizierung des Angeklagten besteht.

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Hinsichtlich des allein auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen gestützten vollständigen Verbots von Bildaufnahmen von Zeugen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die in der Verfügung vom 02.03.2020 vorgenommene Bewertung, dass eine Anonymisierungsanordnung insoweit nicht ausreiche, ohne nähere Ausführungen dazu12 nicht nachzuvollziehen ist. Die generalisierende Beurteilung lässt zudem nicht erkennen, ob Unterschiede in der Schutzbedürftigkeit von Zeugen berücksichtigt worden sind. So werden Zeugen, die – wie Polizeibeamte – wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Zeugen auftreten, durch die Veröffentlichung von Bildaufnahmen regelmäßig weniger belastet sein, als solche Personen, die nur in einem zufälligen Zusammenhang mit der Tat stehen13.

Das Verbot der Veröffentlichung nicht anonymisierter Bildaufnahmen von Zuschauern wird von der Begründung in der Verfügung vom 02.03.2020 ebenfalls nicht getragen. Zuschauer einer öffentlichen Gerichtsverhandlung begeben sich freiwillig in die Öffentlichkeit, woraus ein gegenüber der Privatsphäre reduziertes Schutzbedürfnis resultiert. Zudem lässt die getroffene Anordnung unberücksichtigt, dass eine herausgehobene Berichterstattung über Zuschauer einer Gerichtsverhandlung regelmäßig nicht zu erwarten ist, eine Identifizierung in aller Regel nur Personen, die mit den Aufgenommenen persönlich bekannt sind, möglich sein wird und nachteilige Folgen des bildlichen Festhaltens des Besuchs einer öffentlichen Gerichtsverhandlung in Strafsachen regelmäßig auszuschließen sein werden. Dass sich an einem Besuch Interessierte davon wegen der Möglichkeit abhalten lassen, dass dabei nicht anonymisierte Bildaufnahmen von ihnen gefertigt werden, liegt danach fern.

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Die Vorsitzende Richterin wird zu prüfen haben, ob sie eine neue Anordnung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der sich daraus ergebenden Begründungsanforderungen erlässt.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 Ws 49/20

  1. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.04.2015 – 1 BvR 3276/08 = NJW 2015, 2175; OLG Karlsruhe – Oberlandesgericht , NJW 1977, 309; OLG Celle NStZ-RR 2016, 26; OLG Bremen StV 2016, 549; OLG Stuttgart NStZ-RR 2016, 383, jew. m.w.N. auch zur Gegenauffassung[]
  2. OLG Bremen a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.[]
  3. BVerfGE 50, 234; NJW 1996, 310; OLG Bremen a.a.O.[]
  4. BVerfGE 119, 309; OLG Celle a.a.O.; OLG Bremen a.a.O.; OLG Stuttgart a.a.O.[]
  5. vgl. BVerfGE 101, 361[]
  6. vgl. dazu BVerfGE 35, 202; 101, 361[]
  7. vgl. BVerfGE 87, 334; 91, 125[]
  8. BVerfGE 35, 202; 103, 44[]
  9. BVerfGE 103, 44; 119, 309[]
  10. zum Ganzen BVerfGE 119, 309; NJW 2009, 350; 2014, 3013; 2020, 38[]
  11. BVerfGE 35, 202; 199, 309[]
  12. vgl. BVerfG NJW 2009, 350; 2020, 38[]
  13. vgl. BVerfGE 119, 309; NJW 2020, 38[]