Außerhalb des Anwendungsbereichs der Unschuldsvermutung kann die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nach Maßgabe des ohne die Verfahrenseinstellung zu erwartenden Verfahrensausgangs getroffen werden. Nach dem Tod des Angeklagten ist der Verteidiger hinsichtlich der zu treffenden Kostenentscheidung beschwerdebefugt.

Beschwerdebefugnis des Verteidigers
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob der Wahlverteidiger nach dem Tod des Angeklagten befugt ist, Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen einzulegen. Bejaht wurde dies vom Oberlandesgericht Nürnberg1, verneint wurde es früher von den Oberlandesgerichten München2 und Hamburg3. Das Oberlandesgericht Stuttgart folgt der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg, dass die Beschwerdebefugnis des Verteidigers fortbesteht.
Der Sache nach wurde die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof4 im Beschluss vom 08.06.1999 zu den Rechtsfolgen des Todes des Betroffenen während des Bußgeldverfahrens im hier angenommenen Sinn entschieden. Der Bundesgerichtshof hält es nämlich ausdrücklich für geboten, im Fall des Todes des Betroffenen während des gerichtlichen Verfahrens eine Kosten- und Auslagenentscheidung zu treffen5. Im Strafverfahren, dessen Regelungen § 46 Abs. 1 OWiG grundsätzlich für sinngemäß anwendbar erklärt, gilt nichts anderes. Dann kann es aber nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass dem Nachlass des Angeklagten auch die Befugnis zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des Gerichts zusteht, die § 464 Abs. 3 StPO vorsieht. Andernfalls hätte der Nachlass eine schwächere Rechtsstellung als ein von einer sonstigen Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO betroffener Angeklagter, obwohl er von der Regelung der Kosten- und Auslagenfolgen des Verfahrens unmittelbar betroffen wird. Das Fortwirken der Vollmacht des Wahlverteidigers im Verfahren folgt dann aus § 672 Abs. 1 i.V.m. § 168 BGB. Der Wert des Beschwerdegegenstands in der Sache übersteigt vorliegend 200 € ( § 304 Abs. 3 StPO)).
Kostenerstattung
§ 467 Abs. 1 StPO ordnet an, dass die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Fall der Verfahrenseinstellung der Staatskasse zur Last fallen. Nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO kann das Gericht hiervon absehen, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Die herrschende Auffassung6 behandelt § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO als eine selten anzuwendende Ausnahmevorschrift. Aus der Voraussetzung, dass nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird, folgt dabei, dass im Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung ein voller Schuldnachweis gegen den Angeklagten geführt sein muss, wobei allerdings ein umfassendes Tatgeständnis des Angeklagten genügt. Dem folgt auch das Oberlandesgericht. Ein solches umfassendes Tatgeständnis hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung erster Instanz nach dem Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichts abgelegt. Im Beschwerdeverfahren kann das Oberlandesgericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO das Hauptverhandlungsprotokoll erster Instanz – anders als im Revisionsverfahren – heranziehen. Auf Grund des Geständnisses wäre der Schuldspruch in der neuen Berufungsverhandlung bestätigt worden. Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht Tettnang nicht der Staatskasse aufzuerlegen sind, weil der Angeklagte nur aufgrund seines Versterbens nicht verurteilt worden ist. Das Oberlandesgericht sieht keine Veranlassung, bei der Ermessensausübung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO von dieser Kostenfolge abzusehen.
Hinsichtlich der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten in den Berufungsverfahren und im Revisionsverfahren stellt das Oberlandesgericht bei der Ermessensausübung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO auf den wahrscheinlichen Verfahrensausgang im Falle des Nichtversterbens des Angeklagten ab. Auch insoweit ist nicht die Unschuldsvermutung, die regelmäßig die Kosten- und Auslagentragung der Staatskasse nahe legt, maßgebend, weil diese für die Rechtsfolgen der Tat nicht gilt7. Vielmehr geht es nur noch um die Abwicklung der Kosten- und Auslagenfolgen des Verfahrens, für die – ähnlich wie im Zivilprozess bei der Erledigung der Hauptsache nach § 91a ZPO – der ohne die Einstellung zu erwartende Verfahrensausgang einen sachgerechten Maßstab bietet. Dabei ist zu beachten, dass nach § 473 Abs. 3 StPO die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen sind, wenn ein beschränktes Rechtsmittel Erfolg hat, und dass das nach § 473 Abs. 4 StPO bei einem Teilerfolg insoweit zu geschehen hat, als es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Im Zweifel ist auch zu berücksichtigen, dass der Verbleib der notwendigen Auslagen beim Angeklagten nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO Ausnahmecharakter hat.
Hierzu trägt der Beschwerdeführer zu Recht vor, dass die erhebliche Verfahrensverzögerung beim Landgericht Ravensburg nach der Aufhebung des ersten Berufungsurteils durch das Oberlandesgericht am 8.12 2011 einerseits für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und andererseits für die Strafhöhe von Bedeutung gewesen wäre. Angemessen erscheint es nach der Auffassung des Oberlandesgerichts, zwei Drittel der notwendigen Auslagen in den Berufungs- und Revisionsverfahren auf die Staatskasse zu übernehmen. Zum Einen konnte der Angeklagte zum Zeitpunkt seines Versterbens nach etwa 2, 5 Jahren an vergangener Zeit seit seiner erstinstanzlichen Verurteilung am 6.06.2011 mit der Strafaussetzung zur Bewährung der festzusetzenden Freiheitsstrafe rechnen, die er angestrebt hatte und die von seinem Verteidiger schon in der Berufungshauptverhandlung am 29.08.2011 beantragt worden war. Zum Anderen wäre aufgrund des Zeitablaufs bei ansonsten nachvollziehbarer Strafhöhe des amtsgerichtlichen Urteils bei der Strafzumessung im engeren Sinn und bei der Bemessung eines Abschlags wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung nach der sog. Vollstreckungslösung8 ein – allerdings maßvoller – Abschlag zu gewähren gewesen. Im dargelegten Umfang hält es das Oberlandesgericht für unbillig, dem Nachlass des Angeklagten die Auslagenerstattung durch die Staatskasse zu verweigern.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 19. November 2014 – 2 Ws 142/14
- OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.03.2010 – 1 Ws 113/10, bei juris[↩]
- OLG München, NStZ 2003, 501[↩]
- OLG Hamburg, NStZ 2004, 280 f.[↩]
- BGHSt 45, 108 ff.[↩]
- BGH, a.a.O.[↩]
- OLG Nürnberg a.a.O.; Gieg in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 467 Rn. 10, 10a; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 467, Rn. 18[↩]
- vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage, Art. 6 MRK, Rn. 12[↩]
- vgl. BGHSt 52, 124 ff., bei 56[↩]