Dieselskandal – die Haftung der Lieferantin der Motorsteuerungssoftware

Durch eine Handlung, die eine Handlungspflicht eines Anderen (hier: Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft) erst begründet, wird regelmäßig nicht schon ihre Verletzung gefördert.

Dieselskandal – die Haftung der Lieferantin der Motorsteuerungssoftware

Dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag eine Klage von Volkswagen-Aktionären gegen die Softwarelieferantin, die Ersatz des Unterschiedsbetrags zwischen ihren Erwerbsaufwendungen und dem Veräußerungserlös für die Aktien als Schadenersatz begehrten. Sowohl das erstinstanzlich hiermit befasste AmtsgerichtLudwigsburg1 wie auch in der Berufungsinstanz das Landgericht Stuttgart2 haben die Klage abgewiesen. Und der Bundesgerichtshof wies nun auch die Revision der Aktionäre zurück; die Die Lieferung der Motorsteuerungssoftware durch die Softwarelieferantin erfüllt den objektiven Tatbestand der Beihilfe nicht:

Das Landgericht Stuttgart hat offengelassen, ob die Volkswagen AG durch die nicht rechtzeitige Unterrichtung über die Verwendung der Motorsteuerungssoftware eine unerlaubte Handlung begangen hat (§§ 31, 823 Abs. 2, § 826 BGB). Von der Begehung einer solchen Handlung ist daher nach dem Sachvortrag der Aktionäre revisionsrechtlich auszugehen. Jedenfalls bei den strafbewehrten Verboten der unrichtigen Darstellung nach § 331 Nr. 1 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG handelt es sich um Gesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, die auch das Vertrauen potentieller Anleger und gegenwärtiger Aktionäre der Gesellschaft in die Richtigkeit und Vollständigkeit bestimmter Angaben über die Geschäftsverhältnisse schützen. Dies hat der Bundesgerichtshof für § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG bereits entschieden3. Wegen der formellen Subsidiarität jener Vorschrift zu § 331 Nr. 1 HGB kann für diese nichts Anderes gelten.

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Zu diesem revisionsrechtlich zu unterstellenden deliktischen Verhalten der Volkswagen AG hat die Softwarelieferantin jedoch nicht schon durch die Lieferung der Motorsteuerungssoftware Hilfe geleistet. Sie ist nicht als Gehilfin für den von den Aktionären beklagten Schaden verantwortlich (§ 830 Abs. 2 BGB).

fördert oder erleichtert; nicht erforderlich ist, dass sie für den Eintritt des Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird4. Für den Gehilfen muss ein Verhalten festgestellt werden, das den rechtswidrigen Eingriff in ein fremdes Rechtsgut unterstützt hat und das von der Kenntnis der Tatumstände und dem auf die Rechtsgutsverletzung gerichteten Willen getragen war5. Gleichgültig ist, in welchem Zeitpunkt der Ausführung der Gehilfe fördernd tätig wird. Beihilfe kann schon zu bloßen Vorbereitungshandlungen geleistet werden und sogar schon vor der Entschließung des Täters einsetzen6. Die Haupttat muss aber zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder gefördert worden sein7.

Nach diesen Maßstäben hat die Softwarelieferantin zur unrichtigen oder nicht rechtzeitigen Unterrichtung potentieller Anleger und gegenwärtiger Aktionäre durch die Volkswagen AG keine Hilfe geleistet.

Die Lieferung der Motorsteuerungssoftware lässt sich nach natürlichem Sprachgebrauch unter keinem denkbaren Wortverständnis als Erleichterung oder Förderung der der Volkswagen AG angelasteten Kapitalmarktdelikte begreifen.

Die Softwarelieferung kann überhaupt erst die Pflicht der Volkswagen AG mitbegründet haben, den Kapitalmarkt über die spätere Verwendung der Software in ihren Dieselfahrzeugen zu informieren. Durch eine Handlung, die eine Handlungspflicht eines Anderen erst begründet, wird aber regelmäßig und so auch hier nicht zugleich ihre Verletzung gefördert. Denn andernfalls erschöpfte sich die Förderung der Pflichtverletzung darin, dass die Pflicht nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass ihre Verletzung entfiele. Dadurch würde das für die Beihilfe konstitutive Merkmal der Erleichterung oder Förderung einer fremden Haupttat seines strafbarkeitsbegründenden Sinns entleert.

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Eine Ausnahme mag bei einer Garantenstellung des Gehilfen (§ 13 StGB) anzunehmen sein, die ihn verpflichtet, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs wenigstens zu erschweren8. Eine derartige Garantenstellung hatte die Softwarelieferantin hinsichtlich der potentiellen Anleger und Aktionäre der Volkswagen AG aber nicht. Sie ergab sich insbesondere nicht aus Ingerenz. Auch die Ingerenz ist nach dem Schutzzweck der die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens begründenden Norm begrenzt. Dies führt dazu, dass nicht jedes pflichtwidrige und zusätzlich gefahrverursachende Verhalten zu einer Garantenpflicht führt, sondern dass stets auf die Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Pflichtverletzung sowie des später eintretenden Erfolgs und ihres Verhältnisses zueinander abzustellen ist. Maßgeblich ist, ob die Pflichtwidrigkeit gerade in einer Verletzung eines solchen Gebots besteht, das dem Schutz des Rechtsguts zu dienen bestimmt ist9. Fehlt es daran, kommt Ingerenz nicht in Betracht10. Auch wenn die Pflichtwidrigkeit der Softwarelieferung hinsichtlich der Käufer der Dieselfahrzeuge der Volkswagen AG unterstellt wird, ergibt sich daraus noch nicht deren Pflichtwidrigkeit hinsichtlich der potentiellen Anleger und Aktionäre der Volkswagen AG. Während es bei den Endkunden um durch den Steuerpflichtigen grundsätzlich keine Beihilfe zu dem Steuervergehen11.

Der Bewertung der Lieferung der Motorsteuerungssoftware durch die Softwarelieferantin als bezogen auf die unrichtige Darstellung objektiv tatbestandslos steht nicht entgegen, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits im Stadium der Tatvorbereitung strafbare Hilfe geleistet werden kann. Denn auch eine solche Hilfeleistung muss sich entweder schon auf Vorbereitungshandlungen des Täters beziehen12 oder bei nachfolgendem Tatentschluss des Täters zumindest „die dann stattfindende Ausführung der Tat erleichtern“13. Die Verwendung der Software durch die Volkswagen AG ist aber keine Vorbereitung der nicht rechtzeitigen Information potentieller Anleger oder gegenwärtiger Aktionäre darüber und die unrichtige Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse wird durch die Lieferung der Motorsteuerungssoftware auch nicht erleichtert.

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Im Streitfall ist zudem zu berücksichtigen, dass die Aktionäre der Volkswagen AG mit der nicht rechtzeitigen Unterrichtung des Kapitalmarkts über die Verwendung der Motorsteuerungssoftware in tatsächlicher Hinsicht ein Unterlassen vorwerfen. Zwar ist Beihilfe auch zu einem Unterlassen möglich14. Der Beihilfe an einem Unterlassen macht sich aber nur schuldig, wer den Entschluss des zum Handeln Verpflichteten durch Rat oder Tat fördert oder festigt, also das Unterlassen des zum Handeln Verpflichteten vorsätzlich unterstützt, dagegen nicht, wer in anderer Weise den Erfolg zu verhindern trachtet, den die Gebotsnorm, ohne tatbestandlich auf ihn abzustellen, erreichen will15. Eine derartige Förderung oder Festigung des Tatentschlusses der Organe der Volkswagen AG durch die Softwarelieferantin machen die Aktionäre nicht geltend.

Soweit die Aktionäre der Softwarelieferatin Beihilfe zu einer sittenwidrigen Schädigung durch die Volkswagen AG anlasten, läge überdies eine bloß mittelbare Schädigung vor. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht16. Auf eine derartige Eingrenzung der Haftung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen17. Als Zulieferin traf die Softwarelieferantin hinsichtlich der potentiellen Anleger und Aktionäre der Volkswagen AG aber keine besondere Unterlassungspflicht, deren Verletzung das Sittenwidrigkeitsverdikt tragen könnte18. Dies wird vekannt, wenn auf einen Beitrag der Softwarelieferatin zur sittenwidrigen Schädigung der Erwerber der Dieselfahrzeuge durch die Volkswagen AG abgestellt wird. Dass die Softwarelieferantin auch eine Schädigung der potentiellen Anleger und der Aktionäre für möglich hielt, genügt nicht, um sie als sittenwidrig zu bewerten.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Juli 2021 – II ZR 152/20

  1. AG Ludwigsburg, Urteil vom 11.12.2019 – 7 C 337/19[]
  2. LG Stuttgart, Urteil vom 20.08.2020 – 5 S 11/20[]
  3. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02, ZIP 2004, 1593, 1594 mwN, insoweit in BGHZ 160, 149 nicht abgedruckt[]
  4. BGH, Urteil vom 16.11.2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384 Rn. 40; Urteil vom 10.07.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 15; Urteil vom 18.06.2013 – II ZR 217/12, GmbHR 2013, 1321 Rn. 7[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 04.11.1997 – VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89, 102; Urteil vom 13.07.2004 – VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425; Urteil vom 11.09.2012 – VI ZR 92/11, ZIP 2012, 2302 Rn. 24; Urteil vom 22.02.2019 – V ZR 244/17, BGHZ 221, 229 Rn. 46[]
  6. RGSt 28, 287 f.; BGH, Urteil vom 24.04.1952 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345 f.; Urteil vom 08.03.2001 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410; Urteil vom 19.12.2017 1 StR 56/17, NStZ 2018, 328[]
  7. BGH, Beschluss vom 09.07.2015 – 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343, 344; Beschluss vom 04.02.2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; Beschluss vom 17.05.2018 – 1 StR 108/18, NStZ 2019, 461 Rn. 7[]
  8. vgl. RGSt 71, 176, 178; 73, 52, 54; BGH, Urteil vom 27.10.1953 – 5 StR 723/52, NJW 1953, 1838[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16, BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 2 Tatentdeckung 5 Rn. 78 mwN[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16, BGHR AO § 371 Abs. 2 Nr. 2 Tatentdeckung 5 Rn. 77 ff., 81[]
  11. BGH, Urteil vom 13.04.1988 – 3 StR 33/88, BGHR § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3[]
  12. etwa BGH, Urteil vom 08.03.2001 – 4 StR 453/00, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 22 mwN[]
  13. RGSt 28, 288 f.; etwa BGH, Urteil vom 01.08.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115[]
  14. RGSt 51, 39, 41; 77, 268, 269; BGH, Urteil vom 06.05.1960 – 2 StR 65/60, BGHSt 14, 280, 282; Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84[]
  15. BGH, Urteil vom 06.05.1960 – 2 StR 65/60, BGHSt 14, 280, 282; BayObLG, NJW 1990, 1861[]
  16. BGH, Urteil vom 07.05.2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urteil vom 13.04.2021 – VI ZR 276/20, MDR 2021, 743 Rn. 7[]
  17. BGH, Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 236 f.[]
  18. vgl. auch Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb.2018, § 826 Rn. 37, 117b[]
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Der Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung

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