Berufungsfrist – und das vorschnelle Aufgeben der Telefaxübermittlung

Einem Rechtsanwalt gereicht es zum Verschulden, wenn er den Versuch, einen fristgebundenen Schriftsatz (hier: Berufungsschrift) per Telefax an das Gericht zu übermitteln, vorschnell aufgibt und die für ihn nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten der Risikosphäre des Empfangsgerichts zuschreibt1.

Berufungsfrist – und das vorschnelle Aufgeben der Telefaxübermittlung

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall verlangt der Kläger Schadensersatz im Zusammenhang mit seinem Beitritt zu einem Fonds. Das Landgericht hat die Klage mit dem Kläger am 25.11.2020 zugestelltem Urteil abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat er mit beim Oberlandesgericht am 29.12.2020 eingegangenem Schriftsatz vom 28.12.2020 Berufung eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 28.12.2020, eingegangen beim Oberlandesgericht am 8.01.2021, hat er um die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nachgesucht. Zur Begründung seines Antrags hat er geltend gemacht, im unmittelbaren Anschluss an die Zustellung des Urteils des Landgerichts habe er sich um die Erteilung einer Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers bemüht. Nach deren Zugang bei den seinerzeit von ihm mandatierten Prozessbevollmächtigten (im Folgenden: Prozessbevollmächtigten) am 28.12.2020 um 11.56 Uhr habe deren Mitarbeiterin M. M. P. am selben Tage um 14.00 Uhr, 14.27 Uhr, 15.03 Uhr und 15.05 Uhr jeweils erfolglos versucht, die Berufungsschrift per Telefax an das Oberlandesgericht unter der ihnen bekannten Nummer des Telefaxanschlusses zu übermitteln. In den durch das in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten befindliche Faxgerät ausgegebenen Sendeprotokollen sei jeweils das Fehlschlagen der Übermittlung der Rechtsmittelschrift ausgewiesen worden. Der beim Oberlandesgericht am Nachmittag des 28.12.2020 diensthabende Justizbedienstete H. B. habe den Prozessbevollmächtigten weder die Rufnummer eines alternativen Telefaxanschlusses bekanntgegeben, noch habe er ihnen einen telefonischen Kontakt zu einer Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts vermittelt. Daraufhin hätten seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift noch am 28.12.2020 auf dem Postweg an das Oberlandesgericht versandt.

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Dem Wiedereinsetzungsgesuch waren unter anderem vom Faxgerät der Prozessbevollmächtigten ausgedruckte Sendeprotokolle beigefügt, die für den 28.12.2020 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.05 Uhr fünf erfolglose Übermittlungsversuche ausweisen. Mit Verfügung vom 11.01.2021 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Parteien mitgeteilt, dass dort am 28.12.2020 in der Zeit zwischen 14.00 Uhr und 15.31 Uhr 15 Telefaxsendungen ordnungsgemäß eingegangen und fehlgeschlagene Übermittlungsversuche während dieses Zeitraums nicht verzeichnet worden seien. Das letzte Telefax sei an dem betreffenden Tage um 23.23 Uhr ordnungsgemäß empfangen worden.

Das Oberlandesgericht Naumburg hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen2. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht – unter anderem – ausgeführt:

Die bis zum Ablauf der Berufungsfrist unterbliebene Übermittlung der Berufungsschrift an das Berufungsgericht beruhe auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Der Kläger habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sich seine Prozessbevollmächtigten in dem sich an die erfolglosen Übermittlungsversuche anschließenden Zeitraum von 15.05 Uhr bis 24.00 Uhr des 28.12.2020 bemüht hätten, die Rechtsmittelschrift an den Telefaxanschluss des Oberlandesgerichts zu übermitteln.

Die Prozessbevollmächtigten hätten nach ihren Versendungsversuchen am frühen Nachmittag nicht davon ausgehen dürfen, dass eine Telefaxübermittlung vor Fristablauf nicht möglich sein werde. Bekanntermaßen häuften sich gerade am Nachmittag die Telefaxsendungen an die Gerichte. Daher liege bei einem Scheitern der Übermittlung zu dieser Zeit die Vermutung nahe, dass der Telefaxanschluss des Gerichts durch andere Sendungen besetzt sei. Die Prozessbevollmächtigten hätten deshalb versuchen müssen, die Berufungsschrift zu einem späteren Zeitpunkt durch Telefax zu übermitteln. Dies wäre jedenfalls erfolgreich gewesen. Am 28.12.2020 seien beim Oberlandesgericht zwischen 16.41 Uhr und dem Ende des Tages insgesamt nur sieben Telefaxsendungen eingegangen, während die Telefaxeingänge zwischen 14.00 Uhr und 16.41 Uhr sich auf insgesamt 30 belaufen hätten.

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Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, die der Bundesgerichtshof nun jedoch ebenfalls verworfen hat:

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. In Sonderheit verletzt der angefochtene Beschluss nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des Klägers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen, weil seine Prozessbevollmächtigten die Frist zur Einlegung der Berufung schuldhaft versäumt haben. Das beruht darauf, dass sie die Versuche, die Berufungsschrift an das Berufungsgericht per Telefax zu übermitteln, am Tag des Fristablaufs bereits um 15.05 Uhr und damit vorschnell aufgegeben haben3.

Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass das Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war4.

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Zwar dürfen die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels Telefax herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Vielmehr hat er mit der Wahl einer Telefaxübertragung bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Fristablauf – hier am 28.12.2020 bis 24.00 Uhr – zu rechnen ist. Das gilt auch, wenn das Empfangsgerät des Gerichts gestört ist. Denn in diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts5.

Auch Störungen der Übermittlungsleitungen sind dem gewählten Übertragungsmedium immanent, weil ein Telefax nur über sie zum Empfangsgerät gelangt. Leitungsstörungen, die zur fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgerätes führen – eine solche macht der Kläger geltend , sind daher ebenfalls der Risikosphäre des Gerichts zuzuordnen6.

Dies befreit den Prozessbevollmächtigten indessen nicht davon, alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen, wenn wegen einer technischen Störung eine Telefaxverbindung (zunächst) nicht zustande kommt, wobei die Gerichte die Anforderungen an die dem Prozessbevollmächtigten obliegende Sorgfalt nicht überspannen dürfen7. Er muss deswegen nicht – unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen – innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellen8. Wohl aber ist er gehalten, bis zum Fristablauf weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich liegen9. Das gilt jedenfalls dann, wenn er auch eine lediglich zeitlich beschränkte – das heißt bis zum Fristablauf wieder behobene – technische Störung in Betracht ziehen muss10. Es gereicht ihm deshalb zum Verschulden, wenn er unter diesen Voraussetzungen seine Übermittlungsversuche vorschnell weit vor Fristablauf aufgibt und die für ihn letztlich nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten dem Empfangsgericht zuschreibt11.

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Danach ist der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom Oberlandesgericht Naumburg zu Recht zurückgewiesen worden:

Der Kläger hat vorgetragen, dass sein Wiedereinsetzungsantrag nicht so zu verstehen sei, er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax an der Belegung des Telefaxgerätes des Berufungsgerichts durch andere eingehende Sendungen gescheitert sei; die Faxprotokolle hätten nämlich nicht den Vermerk „Belegt“ getragen. Als Vermerk auf den Faxprotokollen mit der Überschrift „Fax fehlgeschlagen“ sei vielmehr am rechten Rand unter der Rubrik „Status“ der Hinweis „Keine Antwort“ erschienen, was auf eine fehlende Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts habe schließen lassen; hätte ihm das Berufungsgericht einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt, hätte er dies auch so vorgetragen und seinerzeit schon eine entsprechende eidesstattliche Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten beigefügt.

Dies ist jedoch unerheblich. Denn der Kläger hat nichts zur Dauer der von seinen Prozessbevollmächtigten – infolge des Vermerks „Keine Antwort“ in den Faxprotokollen – angenommenen fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts vorgetragen. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine bis zum Fristablauf ununterbrochen andauernde technische Störung lassen sich weder seinem Vorbringen noch beigefügten oder sonstigen Unterlagen entnehmen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten daher (auch) in Betracht ziehen müssen, dass das Scheitern der Übermittlungsversuche am 28.12.2020 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.05 Uhr auf einer lediglich vorübergehenden technischen Störung beruhte, und deswegen nach dieser Zeit weitere Versuche unternehmen müssen. Dass sie dies nicht getan, sondern stattdessen die Berufungsschrift noch am 28.12.2020 auf dem Postweg an das Oberlandesgericht versandt haben, ist ihnen als dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnender – schuldhafter Verstoß gegen die sie treffende erhöhte Sorgfaltspflicht bei Übersendung eines Schriftsatzes am letzten Tag der Frist vorzuwerfen12.

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Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen der Fristwahrung ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre13. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Fall eines nach 15.05 Uhr vorgenommenen Wiederholungsversuchs die Berufungsschrift noch fristgerecht an das Berufungsgericht übermittelt worden wäre, wofür im Übrigen – ohne dass dies noch entscheidungserheblich ist – spricht, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vom Nachmittag des 28.12.2020 bis 24.00 Uhr noch mehrere Telefaxsendungen bei ihm eingingen. Dabei lässt der Bundesgerichtshof offen, ob ein Rechtsanwalt in einer derartigen Situation gehalten ist, die Übermittlungsversuche gegebenenfalls bis 24.00 Uhr fortzusetzen. Jedenfalls die Beendigung der Versuche bereits um 15.05 Uhr ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers als vorschnelles Aufgeben im Sinne der Rechtsprechung anzulasten14.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. August 2021 – III ZB 9/21

  1. Fortführung von BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014 – II ZB 25/13, NJW 2015, 1027 Rn.20 ff; und vom 20.08.2019 – VIII ZB 19/18, NJW 2019, 3310 Rn. 16 ff[]
  2. OLG Naumburg, Beschluss vom 27.01.2021 – 5 U 188/20[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 20.08.2019 – VIII ZB 19/18, NJW 2019, 3310 Rn. 14[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 06.04.2011 – XII ZB 701/10, VersR 2011, 1417 Rn. 8; vom 08.04.2014 – VI ZB 1/13, NJW 2014, 2047 Rn. 7; vom 14.09.2017 – IX ZB 81/16, FamRZ 2017, 1946 Rn. 6; und vom 20.08.2019 aaO Rn. 15[]
  5. st. Rspr.; vgl. BVerfG, NJW 2006, 829; BGH, Beschlüsse vom 14.09.2017 aaO Rn. 7; und vom 20.08.2019 aaO Rn. 16; jew. mwN[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014 – II ZB 25/13, NJW 2015, 1027 Rn.19; und vom 14.09.2017 aaO[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2017 aaO Rn. 8[]
  8. BGH, Beschlüsse vom 04.11.2014; und vom 14.09.2017, jew. aaO, mwN[]
  9. BGH, Beschluss vom 11.01.2011 – VIII ZB 44/10 9[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 20.08.2019 aaO Rn. 23[]
  11. BGH, Beschluss vom 11.01.2011 aaO, mwN[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 04.11.2014 aaO Rn. 21[]
  13. BGH, Beschluss vom 23.10.2018 – III ZB 54/18, NJW-RR 2018, 1529 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 14.09.2017 aaO Rn. 10[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 04.11.2014 aaO Rn. 22[]
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