Die versäumte Berufungsbegründungsfrist – und die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Mit dem Entfallen der rechtlichen Erheblichkeit eines Anwaltsverschuldens infolge eines späteren, der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnenden Ereignisses (hier: Erkrankung des Prozessbevollmächtigten) hatte sich der Bundesgerichtshof erneut1 zu befassen:

Die versäumte Berufungsbegründungsfrist – und die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nahm der Kläger die Beklagten nach Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs auf Räumung und Herausgabe in Anspruch. Das Amtsgericht Danneberg (Elbe) hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses, ihr am 27.02.2024 zugestellte Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung beim zuständigen Landgericht Lüneburg eingelegt. Nachdem das Landgericht Lüneburg mit Verfügung vom 30.04.2024 darauf hingewiesen hatte, dass eine Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingereicht worden sei, hat die Beklagte mit einem am 4.05.2024 beim Landgericht Lüneburg eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigte habe die Berufungsbegründung am 25.04.2024 fertiggestellt und um 20.10 Uhr mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) an das Amtsgericht Lüneburg übermittelt. Vor der Übermittlung habe sie den Schriftsatz und dessen Anlage geöffnet und überprüft, ob die richtigen Dateien hochgeladen worden seien. Nach der Übermittlung habe sie den Übermittlungsstatus im Sendebericht geprüft, welcher ihr den Eingang der Nachricht bei dem Amtsgericht Lüneburg angezeigt habe. Tags darauf habe sie das beA nicht genutzt und am Samstag, dem 27.04.2024, sei sie an einem grippalen Infekt erkrankt, aufgrund dessen sie bis zum 30.04.2024 arbeitsunfähig gewesen sei. Ohne ihre Erkrankung hätte sie das beA am letzten Tag der Frist, am Montag, dem 29.04.2024, dazu genutzt, um in einer Strafsache einen Schriftsatz an das Amtsgericht Hamburg-Mitte zu versenden. Dabei wäre ihr die fehlerhafte Versendung der Berufungsbegründung an das Amtsgericht Lüneburg mit Sicherheit aufgefallen. Ohne ihre Erkrankung wäre es daher noch zu einer fristgerechten Einreichung der Berufungsbegründung beim Landgericht Lüneburg gekommen.

Das Landgericht Lüneburg hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen2. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Beklagten hat der Bundesgerichtshof als unzulässig verworfen:

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen3, sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Das Landgericht Lüneburg hat die Berufung der Beklagten zu Recht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass die Beklagte die Berufung nicht innerhalb der am 29.04.2024 abgelaufenen Frist (§ 222 Abs. 2 ZPO), sondern erst mit einem am 4.05.2024 beim Landgericht Lüneburg eingegangenen Schriftsatz – und damit entgegen § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht rechtzeitig – begründet hat.

Anders als die Beklagte meint, erfordert die Sache eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) auch nicht im Hinblick auf die Versagung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist.

Insbesondere hat das Landgericht Lüneburg hierdurch weder die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt, noch ist es damit von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verbieten es den Gerichten, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren4.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht Lüneburg den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zu Recht und ohne Verletzung der vorgenannten Verfahrensgrundrechte sowie im Einklang mit den Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zurückgewiesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze beruht (§ 233 Satz 1 ZPO).

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen5.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen6.

Dabei entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen7.

Dies erfordert zunächst die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Es fällt in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren8. Diese Kontrollpflichten erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an das richtige Gericht erfolgte sowie – anhand des zuvor vergebenen Dateinamens – ob die richtige Datei übermittelt wurde9.

Der Rechtsanwalt kann diese Ausgangskontrolle zwar auf zuverlässiges Büropersonal übertragen und braucht sie nicht selbst vorzunehmen. Übernimmt er sie aber im Einzelfall selbst, muss er auch selbst für eine wirksame Ausgangskontrolle Sorge tragen10.

Diesen Sorgfaltsanforderungen hat die Prozessbevollmächtigte der Beklagten schon deshalb nicht genügt, weil sich ihrem Vortrag nicht entnehmen lässt, dass sie überprüft hat, ob vom Amtsgericht Lüneburg eine Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Bezugnahme auf den – offenbar von ihrer Büroverwaltungssoftware angezeigten – Sendebericht reicht dafür grundsätzlich nicht aus11. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssen, erlaubt der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zur Frage der Prüfung der Eingangsbestätigung nicht verhält, ohne weiteres den Schluss darauf, dass eine solche Prüfung nicht erfolgt ist und entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben12.

Ungeachtet dessen ergibt sich aber auch aus der eigenen Darstellung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Abrede gestellt, dass im Streitfall eine ausreichende, den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechende Ausgangskontrolle nicht stattgefunden hat. Diese beschränkte sich vielmehr auf die Prüfung, ob die richtigen Dateien hochgeladen worden sind, und bezog sich nicht auch darauf, ob es sich bei dem als Empfänger angegebenen Gericht um das zuständige Gericht handelte. Spätestens bei einem gewissenhaften Blick auf den im Sendebericht angegebenen Adressaten, das Amtsgericht Lüneburg, hätte der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auffallen müssen, dass der Schriftsatz an das falsche Gericht übersandt worden ist; dann wäre noch genug Zeit gewesen, um die Berufungsbegründung erneut fristwahrend an das zuständige Landgericht Lüneburg zu versenden.

Dieser der Beklagten demnach gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Fehler bei der Kontrolle der Übermittlung der Berufungsbegründung war auch ursächlich für die Fristversäumung.

Wie das Landgericht Lüneburg ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ist die rechtliche Erheblichkeit der – wie oben ausgeführt – unzureichenden Postausgangskontrolle auch nicht deshalb entfallen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch auf den zeitlich nachfolgenden Umstand zurückzuführen ist, dass die Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach ihrer anwaltlichen Versicherung vom 27. bis zum 30.04.2024 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und infolgedessen – wie sie geltend macht – die fehlerhafte Adressierung der Berufungsbegründung vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht hätte bemerken können.

Die Rechtsbeschwerde weist zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass nach den Grundsätzen der sogenannten „überholenden Kausalität“ ein früheres Verschulden einer Partei oder eines Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann nicht ausschließt, wenn dessen rechtliche Erheblichkeit durch ein späteres, der Partei oder ihrem Bevollmächtigten nicht zuzurechnendes Ereignis entfällt13. In einem solchen Fall tritt das mitursächliche Verschulden des Prozessbevollmächtigten einer Partei hinter eine wesentliche andere Ursache zurück und ist damit bei wertender Würdigung des Ursachenverlaufs die rechtliche Erheblichkeit des Anwaltsverschuldens zu verneinen14.

Die Wertung, dass die rechtliche Erheblichkeit eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten infolge einer späteren Ursache entfällt, erscheint jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte durch eine allgemeine Arbeitsanweisung Vorsorge dafür getroffen hatte, dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist trotz seines Verschuldens gewahrt worden wäre. Es muss sich demnach um eine Anweisung handeln, die bestimmt und geeignet ist, gerade die Folgen des Anwaltsfehlers zu verhindern15.

Nach dieser Maßgabe genügt es nicht, dass die Frist durch „irgendeinen“ hypothetischen Verlauf gewahrt worden wäre. Vielmehr hätte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Vorfeld Vorkehrungen in Gestalt organisatorischer Maßnahmen treffen müssen, um Fehlern wie dem hier vorliegenden zu begegnen. Davon kann nach ihren eigenen Angaben im Streitfall nicht ausgegangen werden, da sie lediglich behauptet hat, ihr wäre die fehlerhafte Übermittlung der Berufungsbegründung aus Anlass einer von ihr beabsichtigten Versendung eines Schriftsatzes in einem anderen (Straf-)Verfahren aufgefallen. Wie das Landgericht Lüneburg zutreffend erkannt hat, rechtfertigt es ein solchermaßen zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht, die rechtliche Erheblichkeit des Anwaltsverschuldens zu verneinen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. September 2025 – VIII ZB 34/24

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17.06.2025 – VIII ZB 54/24, WRP 2025, 1201 Rn. 42 ff.[]
  2. LG Lüneburg, Beschluss vom 28.05.2024 – 6 S 13/24[]
  3. vgl. nur BGH, Beschluss vom 10.10.2023 – VIII ZB 60/22, NJW 2024, 83 Rn. 17 mwN[]
  4. st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, NZA 2016, 122 Rn. 9 ff.; BGH, Beschlüsse vom 16.11.2021 – VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 11; vom 30.01.2024 – VIII ZB 85/22, NJW-RR 2024, 792 Rn. 11 mwN[]
  5. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 30.01.2024 – VIII ZB 85/22, NJW-RR 2024, 792 Rn. 13; vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, NJW 2025, 1508 Rn. 17; jeweils mwN[]
  6. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 30.01.2024 – VIII ZB 85/22, aaO Rn. 14; vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn. 18; jeweils mwN[]
  7. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 30.01.2024 – VIII ZB 85/22, aaO Rn. 15; vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, aaO; jeweils mwN[]
  8. vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2023 – VI ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 14; vom 06.09.2023 – IV ZB 4/23, NJW 2023, 3432 Rn. 14; vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn.19; vom 11.03.2025 – XI ZB 17/24, NJW-RR 2025, 701 Rn. 8; jeweils mwN[]
  9. vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.05.2021 – VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 46; vom 21.03.2023 – VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668 Rn.20; vom 30.01.2024 – VIII ZB 85/22, aaO; vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, aaO; jeweils mwN[]
  10. vgl. nur BGH, Beschluss vom 11.02.2025 – VIII ZB 65/23, aaO Rn.20 mwN[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2025 – XI ZB 17/24, NJW-RR 2025, 701 Rn. 9 mwN; BSG, Beschluss vom 27.09.2023 – B 2 U 1/23 R 10; BeckOK IT-Recht/Loos, Stand: 1.07.2025, § 130a ZPO Rn. 33c.1[]
  12. vgl. BGH, Beschlüsse vom 03.12.2015 – V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rn. 16; vom 15.12.2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 13; vom 25.02.2016 – III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 11; vom 26.05.2021 – VIII ZB 55/19 15; jeweils mwN[]
  13. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22.11.2022 – XI ZB 13/22, NJW 2023, 1224 Rn. 14 f.; vom 21.11.2024 – I ZB 34/24, NJW-RR 2025, 188 Rn. 17; vom 17.06.2025 – VIII ZB 54/24, WRP 2025, 1201 Rn. 43 mwN[]
  14. vgl. BGH, Beschlüsse vom 09.05.2019 – IX ZB 6/18, NJW 2019, 2028 Rn.19; vom 17.06.2025 – VIII ZB 54/24, aaO[]
  15. BGH, Beschluss vom 17.06.2025 – VIII ZB 54/24, aaO Rn. 44 mwN[]

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