Bankzertifikate, Emittentenrisiko – und die Aufklärungspflicht der Bank

Eine beratende Bank hat den Anleger bei Erwerb von Zertifikaten über das sog. allgemeine Emittentenrisiko aufzuklären.

Bankzertifikate, Emittentenrisiko – und die Aufklärungspflicht der Bank

Vollständige Risikodarstellung[↑]

Nach gefestigter Rechtsprechung gehört zu einer vollständigen Risikodarstellung der Anlageform des Zertifikats gegenüber dem Anleger, dass kein vom sonstigen Vermögen des Emittenten getrenntes Sondervermögen gebildet wird und damit die Rückzahlung generell von der Bonität des jeweiligen Emittenten bzw. Garantiegebers zum Zeitpunkt der Rückzahlbarkeit der Anleihe abhängt. Der Anleger muss informiert sein, dass er im Falle von dessen Zahlungsunfähigkeit das angelegte Kapital vollständig verliert1.

Wissensstand des Anlegers[↑]

Zu den die Beratungspflicht im konkreten Fall bestimmenden Umständen in der Person des Anlegers gehört dessen Wissensstand über die Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art. Nicht aufklärungsbedürftig sind deshalb Kunden, die über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen mit den beabsichtigten Geschäften verfügen oder sich als erfahren gerieren2.

Allerdings kann nicht bereits aus der beruflichen Tätigkeit des Anlegers auf dessen mangelnde Aufklärungsbedürftigkeit geschlossen werden. Die berufliche Qualifikation eines Kunden allein reicht nicht aus, um Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit bestimmten Anlagegeschäften zu unterstellen, solange keine konkreten Anhaltspunkte bestehen, dass er solche Kenntnisse im Zusammenhang mit der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit tatsächlich erworben hat3.

Ob ein Anleger durch frühere Anlagegeschäfte ausreichende Kenntnisse bezüglich des betroffenen Anlageprodukts erworben hat, muss der Tatrichter aufgrund der Umstände des Einzelfalls bestimmen. Der Anleger kann bei diesen Anlagegeschäften über das konkret in Frage stehende Risiko aufgeklärt worden sein. Die Feststellung einer konkreten früheren Beratung ist aber nicht erforderlich, wenn der Anleger das generelle Gegenparteirisiko bei Zertifikaten unmittelbar aus seinen bisherigen Anlagegeschäften kennt4.

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Früher bei einer anderen Depotbank erworbenen Kenntnisse des Anlegers sind nicht deshalb von vornherein ohne Bedeutung, weil er im Zeitpunkt der Beratung insoweit kein „präsentes Wissen“ hatte. Es besteht nämlich kein erneuter Aufklärungsbedarf, wenn der Anleger tatsächlich über ausreichende Kenntnisse zum allgemeinen Emittentenrisiko verfügt. Vergegenwärtigt er sich dieses Wissen im Zeitpunkt der konkreten Anlageentscheidung nicht, so geht das grundsätzlich zu seinen Lasten.

Schriftliches Informationsmaterial[↑]

Die beratende Bank kann ihre Aufklärungspflicht durch die rechtzeitige Übergabe von schriftlichem Informationsmaterial erfüllen5. Auch allgemein gehaltenes schriftliches Material wie hier die Basisinformationen kann geeignet sein, über das allgemeine Emittentenrisiko aufzuklären6.

Eine weitergehende Anforderung, die Bank hätte zur Erfüllung ihrer Pflicht, auf das allgemeine Emittentenrisiko hinzuweisen, jeweils ausdrücklich auf bestimmte Seiten der Basisinformationen Bezug nehmen und dem Anleger diese Seiten zur Lektüre anempfehlen müssen, ist damit nicht vereinbar.

Aufklärung im Erstgespräch[↑]

Im vorliegend entschiedenen Fall schloss die Bank mit dem Anleger nicht erst im Zusammenhang mit den konkreten Empfehlungen zu den hier streitgegenständlichen Anlagegeschäften, sondern bereits im Rahmen des ausführlichen Erstgesprächs, in dem die Anlagestrategie festgelegt und zur Reduzierung der Risiken von Aktienanlagen allgemein der Erwerb von Zertifikaten vereinbart worden ist, konkludent einen Beratungsvertrag und übergab dabei die Basisinformationen. Durch die in einem solchen Zusammenhang erfolgte Übergabe von schriftlichem Informationsmaterial ist für einen Anleger hinreichend deutlich, dass diese Informationen der ergänzenden Aufklärung und Beratung für nachfolgende konkrete Anlagegeschäfte dienen sollen. Erfassen die übergebenen schriftlichen Informationen die später gezeichneten Anlagen hier Zertifikate kann der Anleger auch allgemein gehaltenem schriftlichem Material die zu dieser Anlageform mitgeteilten Risiken hier das allgemeine Emittentenrisiko entnehmen7, ohne dass es eines ausdrücklichen Hinweises auf bestimmte Seiten der schriftlichen Informationen und einer Aufforderung zu deren Lektüre bedarf. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Berater später ausdrücklich oder konkludent den Eindruck erweckt hätte, den Anleger im Rahmen der Empfehlung der einzelnen Anlagen erschöpfend mündlich aufgeklärt und beraten zu haben. Dafür ist vorliegend jedoch nichts festgestellt.

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Aus der Bundesgerichtshofsrechtsprechung zu „Basisinformationen über Börsentermingeschäfte“8 ergibt sich nichts Gegenteiliges, denn das dort in verschiedenen Formen überlassene sehr umfangreiche Informationsmaterial enthielt nicht nur verstreute und lückenhafte, sondern zum Teil widersprüchliche Angaben9.

Das allgemeine und das konkrete Emittentenrisiko[↑]

Die Hinweispflichten zum allgemeinen und zum konkreten Emittentenrisiko betreffen dieselbe wirtschaftliche Gefahr für den Anleger, nämlich die mögliche Unfähigkeit des Emittenten der Anleihe zu deren Bedienung im Fälligkeitszeitpunkt. Das allgemeine Emittentenrisiko beschreibt die generelle Abhängigkeit der Rückzahlung von der Bonität des Emittenten10, während das konkrete Emittentenrisiko im Einzelfall bestehende Anhaltspunkte für die drohende Zahlungsunfähigkeit dieses Emittenten betrifft11, also eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich das allgemeine Emittentenrisiko bei der konkret betroffenen Kapitalanlage verwirklichen könnte. Deswegen vermittelt eine Risikoaufklärung über die Bedeutung der aktuellen Bonität des Emittenten eines Zertifikates im Allgemeinen zugleich die zugrunde liegende Kenntnis, dass die Rückzahlung der betreffenden Anleihe von der Zahlungsfähigkeit dieses Emittenten abhängt.

Provisionsinteresse und Festpreisgeschäft[↑]

Eine Pflicht der Bank, den Anlger, der die streitgegenständlichen Zertifikate von der Bank im Wege eines Festpreisgeschäfts erworben hat, über ihr damit verbundenes Provisionsinteresse aufzuklären, besteht nicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die beratende Bank ihr generelles, für jeden Anbieter wirtschaftlicher Leistungen am Markt typisches Gewinnerzielungsinteresse nicht offenbaren12. Eine Bank ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, ihren Kunden darüber aufzuklären, dass sie fremde Anlageprodukte im Wege des Eigengeschäfts (§ 2 Abs. 3 Satz 2 WpHG) oder des Eigenhandels (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 WpHG) zu einem über ihrem Einkaufspreis liegenden Preis veräußert13. Ein Umstand, der wie die Gewinnerzielungsabsicht des Verkäufers für den Kunden im Rahmen des Kaufvertrags offensichtlich ist, lässt innerhalb des Beratungsvertrags seine Schutzwürdigkeit entfallen14. Dabei ist unerheblich, in welcher Weise die Bank bei einem Veräußerungsgeschäft ihr Gewinninteresse realisiert15.

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Etwas anderes gilt lediglich, wenn besondere Umstände hinzutreten, die so schwer wiegen, dass sie dem Anleger zu offenbaren sind. Diese Voraussetzung ist etwa dann erfüllt, wenn die beratende Bank, die als Kaufkommissionärin dem Kunden für die Beschaffung eines empfohlenen Wertpapiers eine Provision in Rechnung stellt, darüber hinaus auch eine verborgene Vertriebsvergütung vom Emittenten des empfohlenen Produkts erlangt16.

Danach war vorliegend die Verfolgung eigener Gewinninteressen der Bank für den Anleger offenkundig: Der Anleger erwarb die streitgegenständlichen Zertifikate von der Bank im Wege eines Festpreisgeschäfts. Anders als bei einem Kommissionsgeschäft war damit die Bank nicht für Rechnung des Zedenten, sondern erkennbar für eigene Rechnung tätig17.

Davon ausgehend war die Bank nicht zur Aufklärung ihres mit den Veräußerungsgeschäften verbundenen Gewinninteresses verpflichtet. Unerheblich ist, dass sie ihren Gewinn vorliegend mit einer Provisionszahlung der Emittenten erzielt hat18. Ebenso ist ohne Bedeutung, ob die Bank zusätzlich zum Nenn- oder Kurswert vom Anleger einen weiteren Aufschlag oder wie hier eine „Provision“ verlangt hat19. Beides Nenn- bzw. Kurswert einerseits und Aufschlag bzw. Provision andererseits sind lediglich Bestandteile des insgesamt von der Bank verlangten Verkaufspreises.

Ob das zwischen Anleger und Bank vereinbarte Effektengeschäft als Kauf- oder Kommissionsvertrag zu qualifizieren ist, richtet sich nicht nach den von der Bank später erstellten Wertpapierabrechnungen, sondern nach dem Inhalt der vertraglichen Abreden, die gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln sind. Die Bezeichnung des Erwerbsgeschäfts in der Wertpapierabrechnung liefert lediglich ein Indiz für vorher getroffene Absprachen20.

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Beratungspflichtverletzung und kausaler Schaden[↑]

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt im Falle einer feststehenden Aufklärungspflichtverletzung zwar die beratende Bank die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung, dass der Anleger das Kapitalanlagegeschäft auch bei gehöriger Aufklärung abgeschlossen hätte21.

Kennt allerdings der Anleger die von der Bank empfangene Vergütung dem Grunde nach, stellt dies ein vom Tatrichter zu würdigendes, gegen die Kausalität einer fehlerhaften Aufklärung sprechendes Indiz dar22.

Nicht geschuldete, aber unzutreffende Angaben[↑]

Die Angaben eines Anlageberaters zu Provisionszahlungen müssen unabhängig davon inhaltlich zutreffend sein, ob ein Hinweis aufgrund des Beratungsvertrags geschuldet ist23.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Februar 2015 – XI ZR 202/13

  1. BGH, Urteil vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 26 f. mwN[]
  2. BGH, Urteile vom 28.09.2004 – XI ZR 259/03, WM 2004, 2205, 2206; vom 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311, 320; vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 30; und vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11, NJW 2013, 1223 Rn. 30 f.[]
  3. BGH, Urteil vom 22.03.2011 – XI ZR 33/10, BGHZ 189, 13 Rn. 25 mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 28.06.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311, 320; vom 27.09.2011 – XI ZR 178/10, WM 2011, 2261 Rn. 32; und vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11, NJW 2013, 1223 Rn. 30 f.[]
  5. BGH, Urteile vom 11.05.2006 – III ZR 205/05, WM 2006, 1288 Rn. 9; vom 18.01.2007 – III ZR 44/06, WM 2007, 542 Rn. 17 aE; und vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn.20 f. mwN[]
  6. vgl. BGH, Urteile vom 11.11.2003 – XI ZR 21/03, WM 2004, 24, 26 f.; vom 27.09.2011 – XI ZR 178/10, WM 2011, 2261 Rn. 32; vom 29.04.2014 – XI ZR 477/12 29; und vom 25.11.2014 – XI ZR 480/13 32[]
  7. vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.11.2014 – XI ZR 480/13 32 mwN[]
  8. BGH, Urteile vom 14.05.1996 – XI ZR 188/95, WM 1996, 1214, 1215; vom 24.09.1996 – XI ZR 244/95, WM 1997, 309, 310 f.; und vom 28.09.2004 – XI ZR 259/03, WM 2004, 2205, 2207[]
  9. BGH, Urteile vom 14.05.1996; und vom 24.09.1996, jeweils aaO[]
  10. BGH, Urteil vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 25[]
  11. BGH, Urteile vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 24; und vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11, NJW 2013, 1223 Rn. 28; BGH, Beschluss vom 03.12 2013 – XI ZR 301/11, WM 2014, 123 Rn. 7[]
  12. BGH, Urteile vom 26.06.2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, 1520 Rn. 46; vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 49; und vom 24.09.2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, 2065 Rn. 23[]
  13. BGH, Urteile vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 37; vom 26.06.2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, 1520 Rn.19; und vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 27[]
  14. BGH, Urteile vom 27.09.2011 – XI ZR 182/10, BGHZ 191, 119 Rn. 44; vom 26.06.2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, 1520 Rn.19; vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 27; und vom 17.09.2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 Rn. 11[]
  15. BGH, Urteile vom 26.06.2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, 1520 Rn.19; und vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 28[]
  16. BGH, Urteil vom 24.09.2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, 2065 Rn. 25 f.[]
  17. vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 31[]
  18. vgl. dazu BGH, Urteile vom 26.06.2012 – XI ZR 316/11, WM 2012, 1520 Rn.19; und vom 16.10.2012 – XI ZR 367/11, NJW-RR 2013, 244 Rn. 28[]
  19. BGH, Urteil vom 17.09.2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 Rn. 14[]
  20. vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2002 – XI ZR 239/01, WM 2002, 1687, 1688[]
  21. BGH, Urteile vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff.; vom 24.09.2013 – XI ZR 204/12, WM 2013, 2065 Rn. 38; und vom 15.10.2013 – XI ZR 51/11 24[]
  22. BGH, Beschluss vom 15.01.2013 – XI ZR 8/12, BKR 2013, 203 Rn. 22 und BGH, Urteil vom 04.02.2014 – XI ZR 398/12, BKR 2014, 200 Rn.19[]
  23. vgl. BGH, Urteile vom 29.06.2010 – XI ZR 104/08, BGHZ 186, 96 Rn. 36; und vom 23.04.2013 – XI ZR 405/11, BKR 2013, 280 Rn. 23[]
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