Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art.19 Abs. 4, Art.20 Abs. 3 GG)1 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen.

Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das, wie hier gemäß § 345 ZPO, der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung nur insoweit, als sie darauf gestützt werden kann, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat. Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist dabei vollständig und schlüssig in der Rechtsmittelbegründung vorzutragen2.
Zwar war die Säumnis der Beklagten nicht bereits wegen des Antrags ihres Prozessbevollmächtigten, den anberaumten Termin nochmals zu verlegen, unverschuldet. Denn der von einer Partei gestellte Antrag auf Verlegung eines Verhandlungstermins entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der Parteidisposition entzogen sind3. Es kann auch auf sich beruhen, ob die Beklagte einen erheblichen Grund (§ 227 Abs. 1 ZPO) für eine – zur Wahrung des rechtlichen Gehörs zwingende4 – Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung dargelegt hat.
Allerdings begegnet die Ansicht des Landgerichts Berlin5, es liege eine prozessuale Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor, die ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, weil nicht zumindest er im Termin am 26.09.2014 erschienen sei und er auch nicht nochmals bei Gericht nachgefragt habe, für den Bundesgerichtshof durchgreifenden Bedenken.
Denn im vorliegenden Fall kann aufgrund der von der Beklagten behaupteten Zusagen des Gerichts gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der nochmaligen Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung eine solche Pflichtverletzung nicht angenommen und deshalb nicht von einer schuldhaften Versäumung des Termins am 26.09.2014 ausgegangen werden.
Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 MRK, Art.19 Abs. 4, Art.20 Abs. 3 GG)1 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen.
Diese Voraussetzungen sah der Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Streitfall als gegeben an:
Die Beklagte war zwar zu dem bereits einmal verlegten Termin im September 2014 ordnungsgemäß geladen und war in diesem Termin säumig, weil auch ihr Prozessbevollmächtigter nicht erschienen ist. Er hatte allerdings bereits am 3.07.2014 einen Antrag auf nochmalige Verlegung der mündlichen Verhandlung gestellt. Daraufhin hat die Richterin den Parteien schriftlich mitgeteilt, eine Terminierung komme auf den 24.10.2014 in Betracht, um Stellungnahme binnen einer Woche gebeten, und eine Wiedervorlagefrist der Akte zur Verlegung des Termins verfügt. Nach Darstellung der Beklagten hat die Richterin ihrem Prozessbevollmächtigten die beabsichtigte Verlegung in einem Telefongespräch am 9.07.2014 ausdrücklich bestätigt und ihm mitgeteilt, dass eine Ladung auf den 24.10.2014 entsprechend folgen werde. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob dieses vom Kläger bestrittene Telefongespräch zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der zuständigen Richterin geführt worden ist, ist dieses mit dem behaupteten Inhalt für die Beurteilung im Rechtsbeschwerdeverfahren als zutreffend zugrunde zu legen.
Danach musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach dem Telefongespräch mit der Richterin den Termin am 26.09.2014 nicht auch ohne die Geschäftsführerin der Beklagten wahrnehmen oder jedenfalls zuvor nochmals bei Gericht nachfragen. Er konnte und durfte vielmehr aufgrund der mündlichen Äußerungen der zuständigen Richterin von einer Verlegung des Verhandlungstermins ausgehen, zu der es ausweislich eines, von der Richterin allerdings nicht unterzeichneten, Vermerks nur aufgrund eines gerichtlichen Versehens nicht gekommen ist. Auf der Grundlage der Zusage der Richterin, eine neue Ladung werde noch erfolgen, konnte und durfte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf vertrauen, dass der Termin entsprechend nochmals verlegt wird, zumal auch der Kläger sein Einverständnis dazu schriftlich erklärt hatte. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten konnte deshalb erwarten, die angekündigte neue Ladung zu erhalten, und auch ohne ausdrückliche Aufhebung des Termins und bereits vorliegende neue Ladung berechtigterweise annehmen, dass der Termin am 26.09.2014 nicht stattfinden werde, wie er sich dies nach seiner Darstellung auch notiert hatte. Nach dem Inhalt des Gesprächs mit der Richterin und der Zustimmung auch des Klägers bestand für ihn deshalb weder im Hinblick auf den Zeitablauf nach diesem Telefonat noch aufgrund der prozessualen Situation (drohender Erlass eines bereits zweiten Versäumnisurteils) eine erhöhte Sorgfaltspflicht und eine Notwendigkeit, von sich aus nochmals tätig zu werden und etwa einen erneuten Terminverlegungsantrag zu stellen. Er durfte die angekündigte Ladung, nunmehr auf den 24.10.2014, abwarten.
Da nach den bislang getroffenen Feststellungen somit nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorlagen, durfte die Berufung der Beklagten auf dieser Grundlage nicht als unzulässig verworfen werden. Das Berufungsgericht wird deshalb weitere Feststellungen, insbesondere zu dem streitigen Telefongespräch zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der zuständigen Richterin, zu treffen und danach eine erneute Beurteilung vorzunehmen haben.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Februar 2017 – III ZB 137/15
- vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 25.06.2009 – III ZB 99/08, BeckRS 2009, 21139 Rn. 9[↩][↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.06.2010 – II ZR 233/09, NJW 2010, 2440 Rn. 5 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1981 – III ZR 85/80, NJW 1982, 888, sowie BGH, Beschluss vom 07.06.2010 aaO Rn. 7[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2007 – RiZ (R) 4/07, NJW 2008, 1448 Rn. 31; BVerwG NJW 1991, 2097[↩]
- LG Berlin, Beschluss vom 16.10.2015 – 55 S 275/14[↩]