Das war das Insolvenzrecht im August 2015:

Die durch das Finanzamt in einem solchen Fall erklärte Aufrechnung ist gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig. Das Finanzamt hat die Möglichkeit, mit den Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin gegen den Vorsteuervergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus der Vergütungsrechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters aufzurechnen, durch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters erlangt. Diese Leistung ist auf Grundlage des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 02.11.2010 [1] als eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung zu qualifizieren.
Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs [2], der sich der Bundesfinanzhof anschließt, zur Folge, dass sich der Insolvenzverwalter unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen kann. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter bei Geltendmachung der Hauptforderung, d.h. im Streitfall des Vorsteuervergütungsanspruchs, den Aufrechnungseinwand des Finanzamt durch die Gegeneinrede des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO abwehren kann.
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt dazu, dass die Hauptforderung, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen [3]. Die entsprechende Anwendung des § 146 Abs. 1 InsO gilt auch dann, wenn die Aufrechnungserklärung ‑wie im Streitfall- erst nach der Insolvenzeröffnung abgegeben wird [4]. Auch hier greift die Begründung des BGH, der sich der Bundesfinanzhof anschließt, insbesondere der Hinweis auf den Sinn und Zweck, dem Insolvenzverwalter durch den insolvenzrechtlichen Fortbestand der Hauptforderung ausreichend Zeit für die Prüfung der Anfechtbarkeit zu gewähren.
§ 146 Abs. 1 InsO verweist auf die regelmäßige Verjährung nach dem BGB, die gemäß § 195 BGB drei Jahre beträgt und gemäß § 199 Abs. 1 BGB am Ende desjenigen Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Da es im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO um den Fortbestand der Hauptforderung geht, kann es nicht schon auf den Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung (Erbringung der Leistung als vorläufiger Insolvenzverwalter) bzw. des Entstehens des Anfechtungsrechts im Jahr 2006 ankommen. Dies ergibt sich auch daraus, dass zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar war, wann sämtliche Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug erfüllt sein würden [5] und ob bzw. in welcher Höhe im Anschluss an die vorrangige Verrechnung gemäß § 16 Abs. 2 UStG [6] tatsächlich ein Vorsteuervergütungsanspruch entstehen würde.
Die Verjährungsfrist beginnt vielmehr frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem die Hauptforderung entstanden ist, die durch die Aufrechnung erloschen wäre [7], d.h. im Streitfall mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist. Dabei ist nicht auf die insolvenzrechtliche Begründung dieses Anspruchs abzustellen, sondern auf die steuerrechtliche Entstehung zum Ablauf des ersten Quartals 2010. Anderenfalls könnte die Hauptforderung bereits vor ihrer tatsächlichen Entstehung verjähren, was dem Sinn und Zweck des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO widerspräche.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann sich das Finanzamt im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall gegenüber dem Einwand des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht auf Verjährung berufen. Jedenfalls mit Einreichung der Klage innerhalb der dreijährigen Frist des § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. § 195 ff. BGB ist die Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht worden.
Aufgrund dieses Ergebnisses kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Verjährungsfrist tatsächlich bereits mit Ablauf desjenigen Jahrs beginnt, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch entstanden ist, oder ‑wie vom Finanzgericht angenommen- erst mit Ablauf desjenigen Jahrs, in dem nachfolgend die Aufrechnung erklärt wird [8]. In beiden Fällen begänne die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2010.
Ebenso kann offen bleiben, ob die vom BGH geforderte „gerichtliche“ Geltendmachung der Hauptforderung im Fall eines steuerlichen Anspruchs in dem Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids zu sehen ist und ob die Verjährung unter Berücksichtigung der Grundsätze im BGH, Beschluss in ZIP 2010, 2160, 2164 gehemmt war.
Schließlich erübrigt sich auch eine Prüfung, ob die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig war. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Anknüpfungspunkte schließen sich § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO nicht gegenseitig aus.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. Mai 2015 – VII R 37/13
- BFH, Urteil vom 02.11.2010 – VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374[↩]
- BGH, Urteile vom 28.09.2006 – IX ZR 136/05, BGHZ 169, 158; und vom 17.07.2008 – IX ZR 148/07, ZIP 2008, 1593, jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteile in BGHZ 169, 158; in ZIP 2008, 1593[↩]
- a.A. Kahlert, ZIP 2014, 1749[↩]
- vgl. hierzu BFH, Urteil vom 19.06.2013 – XI R 41/10, BFHE 242, 258, BStBl II 2014, 738[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 25.07.2012 – VII R 44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33[↩]
- BGH, Urteil in ZIP 2008, 1593[↩]
- BGH, Urteil in BGHZ 86, 349 zur alten Rechtslage nach der Konkursordnung; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 10. Aufl.2014, Rz 860; vgl. auch Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar, InsO, 3. Aufl.2013, § 96 Rz 39[↩]