Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel – nach der Änderungskündigung

War die Arbeitgeberin zum Zeitpunkt des Abschluss des Arbeitsvertrages tarifgebundenes Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands, kann es sich bei einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag um eine sogenannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehandelt haben1. Aufgrund der in Folge der Änderungskündigung zustande gekommenen Änderungsvereinbarung liegt dem Arbeitsverhältnis der Parteien nunmehr jedoch ein sogenannter Neuvertrag zugrunde, der die entsprechenden Tarifverträge (hier: für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen) dynamisch in Bezug nimmt.

Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel – nach der Änderungskündigung

Das Bundesarbeitsgericht hat seine oben genannte Rechtsprechung zur Auslegung vertraglicher Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel lediglich aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform vereinbart worden sind2. Bei Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1.01.2002 abgeschlossen worden sind („Altverträge“), kommt die Anwendung der früheren Auslegungsregel jedoch dann nicht – mehr, zum Tragen, wenn sie nach dem 31.12 2001 geändert worden sind. Dabei kommt es für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung dieser Klausel um einen „Neu-“ oder „Altvertrag“ handelt, maßgebend darauf an, ob die Klausel – erneut, zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Nur wenn dies der Fall ist, wird die jeweilige Klausel von der Vertragsänderung erfasst3. Dabei ist das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass allein der Umstand einer Vertragsänderung noch nicht zwingend dazu führt, dass zugleich stets alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart oder bestätigt würden. Ob eine solche Abrede gewollt ist, ist deshalb anhand der konkreten Vertragsänderung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen4. Ein deutlicher Ausdruck, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist, liegt beispielsweise in der Formulierung, „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag [bleiben] unberührt“5 oder die „dabei nicht genannten Regelungen gelten weiter“6. Eine solche Regelung hindert die Annahme eines „Altvertrags“ und eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes7.

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Rechtsfehlerhaft hat in der Vorinstanz das Landesarbeitsgericht Düsseldorf angenommen, die Bezugnahmeklausel in Ziffer 2 des Arbeitsvertrags sei im Zuge des Abschlusses der Änderungsvereinbarung aufgrund der Änderungskündigung vom 24.04.2009 nicht zum Gegenstand der Willensbildung der Parteien gemacht worden8.

Das Landesarbeitsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, eine Änderungskündigung sei ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft9. Anders als die Ausübung des Weisungsrechts zielt die Änderungskündigung auf eine Änderung des Vertrags10. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen, wobei dieses so konkret gefasst sein muss, dass es der Arbeitnehmer ohne Weiteres annehmen kann. Ihm muss klar sein, welche Vertragsbedingungen künftig gelten sollen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Arbeitgebers11.

Nimmt ein Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter dem in § 2 Satz 1 KSchG benannten Vorbehalt an, kommt die Änderung des Arbeitsvertrags zustande, die unter der gemäß § 8 KSchG auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der gerichtlich festzustellenden Sozialwidrigkeit steht12. Dabei wird regelmäßig im Ergebnis davon auszugehen sein, dass bei der Annahme eines Änderungsangebots unter Vorbehalt zwar eine Kontinuität hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses besteht, allerdings aufgrund der zwei unmittelbar aneinandergereihten Arbeitsverträge insoweit eine Diskontinuität gegeben ist13. Das spricht dafür, im Falle der Annahme des Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer stets insgesamt einen Neuvertrag anzunehmen, auch wenn Streitgegenstand der Änderungsschutzklage nach der Rechtsprechung des Zweiten Bundesarbeitsgerichts nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Vertragsbedingungen ist14. Dies kann im vorliegenden Fall letztlich offenbleiben, weil schon die Auslegung des konkreten Änderungsangebots ergibt, dass auch die Bezugnahmeklausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.

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Im Hinblick auf den revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab kann es dahinstehen, ob es sich bei dem Angebot der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin um eine atypische Willenserklärung oder um eine Willenserklärung handelte, die nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen entwickelten Grundsätzen auszulegen ist. Zwar unterliegt die Auslegung atypischer Willenserklärungen – anders als die Auslegung von AGB – durch das Landesarbeitsgericht nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Bundesarbeitsgericht überprüft insoweit nur, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt wurden, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung völlig unterlassen worden ist15.

Selbst wenn man unterstellt, es handele sich bei dem Änderungsangebot der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin um eine atypische Willenserklärung, hält die berufungsrichterliche Auslegung dieses Angebots, das die Arbeitnehmerin zunächst unter dem Vorbehalt nach § 2 Satz 1 KSchG angenommen hat, welcher mit der Rücknahme der Änderungsschutzklage später erlosch (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO iVm. § 4 Satz 2, § 7 Halbs. 2 KSchG)16, auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.

Obwohl das Landesarbeitsgericht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung solcher Angebote referiert, nach der ein deutlicher Ausdruck dafür, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist und die Parteien trotz der geänderten Gesetzeslage auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1.01.2002 ausdrücklich an den zuvor getroffenen Abreden festhalten wollen, beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung liegt, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben“, hat es die im Änderungsangebot verwandte Formulierung „alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben“ nicht näher darauf überprüft, ob damit nicht auch Ziffer 2 des Arbeitsvertrags zum Gegenstand der Erklärung gemacht worden ist.

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Mit dieser Formulierung hat die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin in dem schriftlichen Änderungsangebot aber gerade deutlich zum Ausdruck gebracht, alle übrigen Vertragsklauseln, die aktuell keiner Änderung unterliegen sollten, seien ebenfalls geprüft worden und sollten nicht umformuliert werden. Eine solche Umformulierung der Bezugnahmeklausel wäre aber nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform erforderlich gewesen, damit eine Bezugnahme auch weiterhin nur für den Fall einer Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin bestehen sollte17. Dementsprechend überzeugt auch der – an sich zutreffende – Hinweis des Landesarbeitsgerichts nicht, die angebotenen Änderungen dürften sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist18. Hätte die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin eine neue Bezugnahmeklausel angeboten, die auch nach der Schuldrechtsreform als Gleichstellungsabrede anzusehen ist, so hätte dies gerade keine Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen dargestellt, die zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung hätte führen können.

Die ausdrückliche Inbezugnahme aller übrigen „Vertrags“-Bedingungen musste die Arbeitnehmerin als Empfängerin des Angebots auf den Wortlaut ihres Arbeitsvertrags beziehen. Anders als in dem Sachverhalt, über den das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 19.10.201119 entschieden hat, war das Angebot damit nicht auf die bisherigen Arbeitsbedingungen bezogen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. März 2018 – 4 AZR 208/17

  1. vgl. zur Auslegung von sogenannten Altverträgen BAG 23.02.2011 – 4 AZR 536/09, Rn. 17 f. mwN[]
  2. BAG 14.12 2005 – 4 AZR 536/04, Rn. 24 ff., BAGE 116, 326; 18.04.2007 – 4 AZR 652/05, Rn. 29 ff., BAGE 122, 74; bestätigt durch BVerfG 26.03.2009 – 1 BvR 3564/08; 21.04.2009 – 1 BvR 784/09[]
  3. BAG 8.07.2015 – 4 AZR 51/14, Rn. 26; 24.02.2010 – 4 AZR 691/08, Rn. 25 mwN[]
  4. BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09, Rn. 27[]
  5. vgl. BAG 7.12 2016 – 4 AZR 414/14, Rn. 31; 30.07.2008 – 10 AZR 606/07, Rn. 49, BAGE 127, 185[]
  6. vgl. BAG 21.10.2015 – 4 AZR 649/14, Rn. 34[]
  7. BAG 18.11.2009 – 4 AZR 514/08, Rn. 25, BAGE 132, 261[]
  8. LAG Düsseldorf 28.02.2017 – 14 Sa 852/16[]
  9. siehe iE: KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 14 mwN[]
  10. BAG 26.01.2012 – 2 AZR 102/11, Rn. 14, BAGE 140, 328[]
  11. BAG 17.02.2016 – 2 AZR 613/14, Rn. 18 mwN[]
  12. vHH/L/Linck KSchG 15. Aufl. § 2 Rn. 100[]
  13. vgl. Niemann RdA 2016, 339, 340 mwN[]
  14. BAG 26.01.2012 – 2 AZR 102/11, Rn. 13, BAGE 140, 328[]
  15. vgl. BAG 25.10.2017 – 4 AZR 684/14, Rn. 24 mwN[]
  16. vgl. MünchKomm-BGB/Hergenröder 7. Aufl. § 2 KSchG Rn. 64[]
  17. zu einer möglichen Formulierung einer Gleichstellungsabrede vgl. BAG 5.07.2017 – 4 AZR 867/16, Rn. 25, BAGE 159, 351[]
  18. vgl. BAG 20.10.2017 – 2 AZR 783/16 (F), Rn. 44; 18.05.2017 – 2 AZR 606/16, Rn. 11[]
  19. BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09, Rn. 32 f.[]
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