Die bipolar verlaufende affektive Psychose – und die Gefährlichkeitsprognose

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

Die bipolar verlaufende affektive Psychose – und die Gefährlichkeitsprognose

Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1.08.2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 06.07.2016, BGBl. I 1610).

Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen1.

Die Diagnose einer bipolar verlaufenden affektiven Psychose mit Alkoholsowie Betäubungsmittelabhängigkeit führt für sich genommen indessen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit.

Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat2. Insoweit ist auch zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist3.

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So auch in dem hier vom Bundesgerichtshof beurteilten Fall: Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen ausführt, die festgestellten Taten des Angeklagten würden einem typisch manischen Verhalten entsprechen, der Angeklagte sei ab September 2016 bis November 2016 vom 20. bis 22.10.2017 in stationärer Behandlung gewesen und angesichts der Klinikaufenthalte und Arztberichte würden keine Zweifel daran bestehen, dass der Angeklagte jeweils in einer manischen Phase gehandelt habe, wird daraus nicht deutlich, ob und inwieweit bei dem Angeklagten zu den Tatzeitpunkten tatsächlich krankheitsbedingte Kontrollstörungen vorhanden waren und wie sich diese auf seine Tatmotivation und seine Handlungsmöglichkeiten ausgewirkt haben. Die von dem Angeklagten begangenen Taten – je nach Ausgestaltung Nötigungen, Bedrohungen, Vermögensund Trunkenheitsdelikte – sind im Grundsatz Delikte der allgemeinen Kriminalität, bei denen auch im Fall einer bipolar verlaufenden affektiven Psychose insbesondere bei den Trunkenheitsfahrten und der Hehlerei die Annahme einer aufgehobenen oder erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt auf der Hand liegt. Insbesondere die Trunkenheitsfahrten und die Hehlerei sind nicht von einem einheitlichen Begehungsmuster ohne Anlass geprägt, lassen eine psychotische Handlungsmotivation nicht erkennen und enthalten für sich genommen keinen Hinweis auf ein psychotisches Erleben oder ein grundlegendes Verkennen der Situation.

Daneben hätte das Landgericht auch in den Blick nehmen müssen, dass sich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbietet, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen länger andauernden Defekt, sondern erst durch einen aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere von Alkohol, herbeigeführt worden ist4. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defekts alkoholsüchtig ist, der – ohne pathologisch zu sein – in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht5.

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Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt ferner dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistigseelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auslösen können und dies getan haben6, wenn tragender Grund seines Zustands mithin die länger andauernde geistigseelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist7.

Das Landgericht hat jedoch weder tragfähig ausgeschlossen, dass die Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB bei der jeweiligen Tatbegehung nicht erst durch ein Zusammenwirken des psychischen Defektzustands des Angeklagten mit der im Tatzeitpunkt hinzutretenden alkoholischen Beeinflussung herbeigeführt worden ist (hier: Manie im Rahmen einer Alkoholintoxikation), noch verhalten sich die Urteilsgründe zu den dargelegten weiteren Voraussetzungen, die in einer solchen Fallgestaltung für eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB erfüllt sein müssen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Februar 2019 – 4 StR 566/18

  1. vgl. Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 06.07.2016 – 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15.01.2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; BGH, Beschluss vom 29.04.2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244[]
  2. st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 04.08.2016 – 4 StR 230/16 –[]
  3. BGH, Urteil vom 02.04.1997 – 2 StR 53/97 –, NStZ 1997, 383[]
  4. BGH, Beschluss vom 08.11.2017 – 4 StR 242/17[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 08.01.1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN; Beschluss vom 22.11.2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.; Beschlüsse vom 21.06.2016 – 4 StR 161/16, StV 2017, 588; vom 01.04.2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls][]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2017 – 4 StR 595/16, aaO[]
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Zweifel an der Schuldfähigkeit