Gespräche von Richtern mit der Staatsanwaltschaft über eine Teileinstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO unterliegen den Transparenz- und Dokumentationsregeln des § 243 Abs. 3 StPO.

Die Hinweispflicht nach § 243 Abs. 4 StPO betrifft zwar unmittelbar nur Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, die auf eine Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 3 StPO bezogen sind. Durch die Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.07.20091 sollen aber nicht nur Möglichkeiten zu informellen Absprachen über das Prozessergebnis unterbunden, sondern zugleich gegenüber der Öffentlichkeit schon der Anschein geheimer Erörterungen über das Entscheidungsergebnis ausgeschlossen werden.
Daher hat das Verständigungsgesetz umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten des Tatgerichts statuiert. Sie zielen darauf, nicht nur eine Verständigung im engeren Sinne, sondern bereits Vorgespräche, die mit Blick auf das Prozessergebnis geführt werden, in die Hauptverhandlung einzuführen, auch wenn dort eine Verständigung nicht zustande kommt.
Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, die das Entscheidungsergebnis im Urteilsverfahren betreffen, verlangen § 243 Abs. 4 StPO und der hierdurch konkretisierte Fairnessgrundsatz eine Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Hauptverhandlung. Diese Mitteilung ist sodann gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO zu protokollieren2.
Aus diesem Grund unterliegen auch Gespräche von Richtern mit Verfahrensbeteiligten über eine Teileinstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung entsprechenden Transparenz- und Dokumentationsregeln. Dies muss auch deshalb gelten, weil die Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ohne Verletzung des Verbots der Verständigung über den Schuldspruch gemäß § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO3 Gegenstand einer förmlichen Verständigung sein kann4.
Ein Gesetzentwurf des Bundesrats, wonach die §§ 154 ff. StPO ausdrücklich von einer Verständigung unberührt bleiben sollten (§ 243a Abs. 2 Satz 3 StPO des Entwurfs in BT-Drs. 16/4197), ist nicht Gesetz geworden5.
Zur Vermeidung informeller Absprachen hierüber sind die Förmlichkeiten zur Herstellung von Transparenz und zur Dokumentation des Verfahrensablaufs an den Maßstäben der §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO zu messen6.
Im vorliegenden Fall wäre es demnach erforderlich gewesen, in der Hauptverhandlung darauf hinzuweisen, dass das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung mit der Staatsanwaltschaft die fehlende Entscheidungsreife des Verfahrens hinsichtlich des zweiten Anklagepunkts sowie die Möglichkeit einer Teileinstellung des Verfahrens besprochen und die Staatsanwaltschaft einem solchen Vorgehen zugestimmt hatte. Dieser Hinweis hätte sodann in das Protokoll der Hauptverhandlung aufgenommen werden müssen.
Die genaue Mitteilung und Dokumentation des Vorgangs war im vorliegenden Fall zusätzlich auch deshalb angezeigt, weil ein Wahlverteidiger, der für den noch anstehenden Verhandlungstag nur noch mit der Urteilsverkündung rechnete, dann nicht mehr anwesend war. Dieser Verteidiger hat aus eigenem Recht eine Rechtsmittelbefugnis für die Urteilsanfechtung; er muss auch deshalb den Vorgang nachvollziehen können.
Aber auch die Öffentlichkeit sollte in der Hauptverhandlung nicht davon überrascht werden, dass nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft am vorletzten Verhandlungstag, das Gericht möge gegen den Angeklagten zwei Einzelstrafen aussprechen und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe bilden, aus nicht genannten Gründen eine Einzelstrafe fallen gelassen und nur die andere Einzelstrafe – annähernd in der von der Staatsanwaltschaft beantragten Höhe – verhängt wurde.
Die Bemerkung der Vorsitzenden der Strafkammer in der Hauptverhandlung, die Teileinstellung des Verfahrens sei vorab mit der Staatsanwaltschaft besprochen worden, reicht, von fehlender Protokollierung abgesehen, inhaltlich nicht aus. § 243 Abs. 4 StPO verlangt vielmehr, dass angegeben wird, wer an Erörterungen über potenziell entscheidungserhebliche Umstände außerhalb der Hauptverhandlung teilgenommen hat, welche Vorstellungen dabei geäußert wurden und welchen Standpunkt die Beteiligten dazu eingenommen haben. Daran fehlt es hier. Die Gründe für die Teileinstellung des Verfahrens in Abweichung von den vorher gestellten Schlussanträgen der Staatsanwaltschaft wurden nicht in der Hauptverhandlung mitgeteilt. Die Bezugnahme der Staatsanwaltschaft „auf ihre bereits gestellten Anträge“ im neuen Schlussvortrag des Sitzungsvertreters blieb danach unklar.
Der Bundesgerichtshof kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler zum Nachteil des Angeklagten beruht, der seine Beteiligung am besonders schweren Raub bestritten hat. Verstöße gegen die gesetzlichen Regeln über Transparenz und Dokumentation gestatten es dem Revisionsgericht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler auszuschließen7. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Die Teileinstellung des Verfahrens und deren Gründe hätten das Verteidigungsverhalten des Angeklagten in Bezug auf das Urteil über den verbleibenden Tatvorwurf beeinflussen können; dies wiederum wäre möglicherweise für die Sachentscheidung der Strafkammer von Bedeutung gewesen. Die Beruhensfrage ist außerdem mit Blick auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung zu beantworten8. Blieb der Grund der Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich eines von nur zwei Tatvorwürfen für die nicht bei den Erörterungen anwesenden Verfahrensbeteiligten und für die Öffentlichkeit und die über das Vorgespräch nicht inhaltlich informierten Verfahrensbeteiligten im Dunkeln, liegt vielmehr ein Fall vor, in dem das Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Transparenz- und Dokumentationsregeln nicht ausgeschlossen werden kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 139/14
- BGBl. I S. 2353 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628, 2883/10, 2155/11, BVerfGE 133, 168, 215[↩]
- krit. LR/Stuckenberg, StPO 26. Aufl., § 257c Rn. 29[↩]
- vgl. BeckOK-StPO/Eschelbach, 21. Ed., § 257c Rn. 16; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 257c Rn. 13; KK/Moldenhauer/Wenke, StPO 7. Aufl., § 257c Rn. 15; SK/Velten, StPO 4. Aufl., § 257c Rn. 11[↩]
- SSW/Ignor, StPO § 257c Rn. 58[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 10.09.2014 – 5 StR 351/14, StV 2015, 153[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.01.2015 – 1 StR 315/14, NJW 2015, 645 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.01.2015 – 2 BvR 878/14 und 2 BvR 2055/14, StV 2015, 269, 270[↩]