Insolvenzantrag eines Gläubigers – und dessen zuvor abgewiesene Anfechtungsklage

Wird die Anfechtungsklage eines Gläubigers gegen den Erwerber eines Grundstücks des Schuldners in einem Vorprozess rechtskräftig abgewiesen, kann ihm ein Rechtsschutzinteresse für einen unter Vorlage des vollstreckbaren Titels gegen den Schuldner gerichteten Insolvenzantrag nicht versagt werden, weil das klageabweisende Urteil weder für das Insolvenzverfahren noch für eine in seinem Rahmen zu erhebende Anfechtungsklage Rechtskraft entfaltet.

Insolvenzantrag eines Gläubigers – und dessen zuvor abgewiesene Anfechtungsklage

Nach § 14 Abs. 1 InsO muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Eröffnet wird das Verfahren, wenn ein Eröffnungsgrund gegeben ist (§ 16 InsO). Soll der Eröffnungsgrund aus einer einzigen Forderung des antragstellenden Gläubigers abgeleitet werden und ist diese Forderung bestritten, genügt ihre Glaubhaftmachung nicht. Sie muss dann für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewiesen sein1.

Den ihr obliegenden Beweis für den Bestand ihrer Forderung hat die Gläubigerin hier durch Vorlage des Vollstreckungsbescheids geführt2.

Im eröffneten Verfahren obliegt es dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen, wenn ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vorliegt (§ 179 Abs. 2 InsO). Diese Wertung gilt auch im Eröffnungsverfahren. Die Schuldnerin hätte ihre Einwendungen gegen die titulierte Forderung oder gegen deren Vollstreckbarkeit in dem für den jeweiligen Einwand vorgesehenen Verfahren überprüfen lassen können3. Das hat sie nicht getan4.

Das Insolvenzgericht kann diese Prüfung nicht nachholen. Ebenso wie es nicht Sache des Insolvenzgerichts ist, den Bestand ernsthaft bestrittener, rechtlich zweifelhafter Forderungen zu überprüfen, obliegt es ihm auch nicht, rechtlich und tatsächlich zweifelhaften Einwendungen gegen eine titulierte Forderung nachzugehen5. Solange die Vollstreckbarkeit des Titels nicht beseitigt ist, braucht das Insolvenzgericht die Einwendungen des Schuldners nicht zu berücksichtigen6.

Die Frage, ob Einwendungen gegen den vollstreckbaren Titel, der Grundlage des Insolvenzantrags des Gläubigers ist, ausnahmsweise nicht im dafür vorgesehenen Verfahren verfolgt werden müssen, wenn die Tatsachen, die dem Titel entgegenstehen, unstreitig oder offensichtlich sind7, stellt sich nicht. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass der von der Schuldnerin eingewandte Schadensersatzanspruch seinen Voraussetzungen nach zwischen den Beteiligten streitig ist. Diese Würdigung, die einer Prüfung der Forderung im Eröffnungsverfahren entgegensteht, wird von der Beschwerde nicht in Frage gestellt.

Schließlich kann sich die Schuldnerin nicht darauf berufen, aus dem von der Gläubigerin gegen ihre Tochter geführten Anfechtungsprozess ergebe sich, dass ihr gegen die Gläubigerin ein Schadensersatzanspruch in Höhe der geltend gemachten Forderung zustehe. An diesem Rechtsstreit war die Schuldnerin nicht beteiligt. Mithin erstreckt sich die Rechtskraft des Titels nicht auf das Verhältnis der Schuldnerin zu der Gläubigerin. Folglich ist in vorliegendem Verfahren von der Begründetheit der Forderung der Gläubigerin auszugehen.

Ein Rechtsschutzinteresse der Gläubigerin entfällt nicht deshalb, weil einer nach Verfahrenseröffnung zur Masseanreicherung gegen die Tochter der Schuldnerin erhobenen Anfechtungsklage (§ 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO) von vornherein keine Erfolgsaussichten beizumessen wären.

Die Anfechtungsbefugnis geht gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 AnfG mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners von anfechtenden Gläubigern auf den Insolvenzverwalter über. Hat ein Gläubiger vor Verfahrenseröffnung einen vollstreckbaren oder auch bereits rechtskräftigen Titel über einen Anfechtungsanspruch erwirkt, kann der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger im Sinne der §§ 727, 325 ZPO den Titel auf sich umschreiben lassen8.

Umgekehrt erwächst ein Urteil, das dem Einzelgläubiger den Anfechtungsanspruch versagt, nicht in Rechtskraft zum Nachteil der Insolvenzmasse. Dies folgt bereits daraus, dass die Parteien des Einzelgläubigeranfechtungsprozesses und des Insolvenzanfechtungsprozesses nicht identisch sind. Eine Rechtsnachfolge zu Lasten der Insolvenzmasse (§ 325 ZPO) greift nicht durch, weil der Gläubiger nicht zu Lasten der Insolvenzmasse wirksam über den materiellrechtlichen Anfechtungsanspruch disponieren darf. Im Übrigen dienen §§ 16 bis 18 AnfG dem Zweck, die Rechte der Gläubigergesamtheit im Verhältnis zum Einzelgläubiger zu stärken9. Bei dieser Sachlage ist die Insolvenzverwalterin durch die Rechtskraft des Vorprozesses nicht gehindert, die Tochter der Schuldnerin im Wege der Insolvenzanfechtung in Anspruch zu nehmen. Diese Befugnis kann der Insolvenzverwalterin auch deshalb nicht abgesprochen werden, weil im Streitfall die Möglichkeit besteht, dass nach Verfahrenseröffnung weitere Gläubiger Forderungen anmelden.

Schließlich hängt das Rechtsschutzinteresse der Gläubigerin für ihren Insolvenzantrag nicht davon ab, ob sie in dem eröffneten Verfahren eine Befriedigung erlangen kann. Auch im Falle völliger Masseunzulänglichkeit wird das Rechtsschutzinteresse für einen Eröffnungsantrag nicht berührt. Aus § 26 InsO ergibt sich, dass auch Verfahren ohne Verteilungsperspektive zu eröffnen sind, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind10. Der Umstand, dass die antragstellende Gläubigerin möglicherweise alleinige Gläubigerin der Schuldnerin ist, lässt ihr Rechtsschutzinteresse ebenso nicht entfallen11.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2016 – IX ZB 32/16

  1. BGH, Beschluss vom 14.01.2010 – IX ZB 177/09, WM 2010, 660 Rn. 6; vom 23.06.2016 – IX ZB 18/15, WM 2016, 1461 Rn. 12[]
  2. BGH, Beschluss vom 14.01.2010, aaO[]
  3. etwa §§ 767, 768, 732 ZPO[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 29.11.2007 – IX ZB 12/07, WM 2008, 227 Rn. 9[]
  5. BGH, aaO[]
  6. BGH, Beschluss vom 17.09.2009 – IX ZB 26/08, ZInsO 2009, 2072 Rn. 5 mwN; vom 14.01.2010, aaO[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 02.12 2010 – IX ZB 121/10, WM 2011, 135 Rn. 2; vom 23.06.2016, aaO Rn. 14[]
  8. MünchKomm-AnfG/Kirchhof, 2012, § 16 Rn. 14; Jaeger/Henckel, InsO, 2008 § 129 Rn. 301[]
  9. Jaeger/Henckel, aaO § 129 Rn. 302; MünchKomm-AnfG/Kirchhof, aaO § 16 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl. § 129 Rn.207; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, 14. Aufl., § 129 Rn. 24[]
  10. BGH, Beschluss vom 23.09.2010 – IX ZB 282/09, WM 2010, 2088 Rn. 11[]
  11. BGH, Beschluss vom 17.06.2009 – IX ZB 250/09, Rn. 5[]